Manafonistas

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2011 1 Jul

Ein exzellenter Songschmied veröffentlicht einen Roman

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Bright's Passage: A NovelSo Runs the World Away

Ich habe den Roman noch nicht gelesen, aber weiß, dass Motive daraus in sein letztes Album eingeflossen sind, SO RUNS THE WORLD AWAY. Der alte Dampfer auf dem Cover der CD gibt schon mal Ton und Richtung an. Und erinnert mich an eine alte Taschenbuchausgabe von Mark Twains Mississipi-Erkundungen. Auf diesem Album werden  Landkarten studiert, Berge bestiegen und der Südpazifik erkundet. Die Protagonisten bewegen sich vorrangig durch verlassene Zonen, und selbst mitten in einer brodelnden Metropole träumen sie von einer neuen unbekannten Welt. Josh Ritter hat sich im Vorfeld dieser Arbeit vertieft in alte Schriften von und über besessene Gelehrte und skurrile Forschungsreisende früherer Jahrhunderte. Und dieses Völkchen mit ins Boot genommen seiner Reise-, Liebes-, und Mordgeschichten, in denen sich die Welt auf höchst unterschiedliche Weise verflüchtigt. Hätte er nicht selbst den perfekten Titel für das Album gefunden, hätten auch zwei andere Titel Sinn gemacht, welche die Musikgeschichte allerdings schon vor Jahrzehnten archiviert hat: BEFORE AND AFTER SCIENCE, und SONGS OF LOVE AND HATE.

Musikalisch darf sich Ritter glücklich schätzen, eine Band um sich geschart zu haben, die ihn bei diesem Meisterstück einfallsreich unterstützt. Im Begleitheft der CD (das uns rasch in die Schwingungen alter Zeiten eintauchen läßt)  sind nicht nur die Texte abgedruckt, sondern auch für jeden einzelnen Song die Instrumente aufgelistet. Wenn Josh Ritter auf seiner Homepage erzählt, daß er auf SO RUNS THE WORLD AWAY gleichsam mit Öl auf großer Leinwand agiert habe, geben ihm die mit Bedacht gewählten Klangfarben all der Mellotrone, Fender Rhodes Pianos, Ukulelen, Vibraphone, Omnichords, Kontrabässe und Englischhörner nur Recht, die das klassiche Singer/Songwriter-Set erweitern. Und er hat dabei kein bisschen dick aufgetragen.

Eine im 19. Jahrhundert angesiedelte love story zwischen einer Mumie und einem Archäologen (THE CURSE) ist das Kernstück des Albums. Ritters Lieder haben mitunter ein episches Ausmaß, er meistert auch diese Klippe: geschickt setzt er in längeren Texten Spannungs-und Reizpunkte. Surreal geht es zu, wenn Ritter in FOLK BLOODBATH einen Song von Mississippi John Hurt aufgreift, und über dieser ewigalten Melodie die Geschichte des Mordes an einem Liebespaar erzählt. Der Killer erinnert an das Ungeheuer in Cormac McCarthys NO COUNTRY FOR OLD MEN: -Stacklee shot Louis in the back of his head / the angels laid him away / Stackalee said to Louis, Oh now do not grieve, I-m sending you to Delia you won-t ever have to leave.

Wer meint, auf diesem Album sei man ja ganz gut unterwegs zwischen Finsterwald und Twilight Zone, sei beruhigt: ähnlich wie THE NATIONAL auf ihrem fiebernden Songreigen HIGH VIOLET, findet auch Josh Ritter Auswege aus allzu endloser Nacht, ohne dabei auf die Trickkiste künstlicher Besänftigung zu setzen. Einmal gar, auf dem kurzen SEE HOW MAN WAS MADE, zieht er, in der Beschwörung häuslichen Glücks, einen entfernten Verwandten von Neil Youngs A MAN NEEDS A MAID aus dem Hut. Dieses Stück von HARVEST galt ja stets als leicht grenzwertig:) Wer aber zwischen den Tönen hören kann, merkt, daß dies keine bürgerliche Phantasie ist, sondern eine Sehnsuchtphantasie all der hier unter Sternen herumgeisternden Figuren.

Auch stimmlich ist Josh Ritter in Hochform. Ganz gleich, ob der Song nun balladesk ist oder rockendes Gewitter, findet er den eigenen Ton, in dem entfernte Verwande kurz aufleuchten: ein Hauch von Paul Simon in LARK, eine Mischung aus Bob Dylan und Donovan in LANTERN. Das mindert aber nicht die Wucht und die Originalität, mit der Josh Ritter all diese Songs ausbreitet. Die, die denken, daß alle Geschichten schon erzählt worden sind, alle großen Lieder gesungen, werden hier mit einer Einladung Erster Klasse versorgt: der alte Dampfer, ladies and gentlemen, steht schon bereit!

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