Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 11 Jan.

Damals in Las Vegas

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 9 Comments

Seltsam genug, dass zwei „aus der alten Clique“, wie man so sagt, schon mehr als ein halbes Leben lang ein Paar geblieben sind, und wenn ich die kleine Geschichte richtig erinnere (ich sass erst gestern in ihrem Dortmunder Häuschen), dann heirateten sie damals, in den sog. „wilden Zeiten“, in Las Vegas, und erlebten in diesem verrückten Wüstenort in plüschigen Sofas, live, und mit Ein-Liter-Bierkrügen (incl. Eiswürfel) auf dem Tisch, The Highwaymen, und das waren schon damals ganz grosse „Nummern“, die man sicher auch in den Mount Rushmore gemeisselt hätte, wenn der in jener Wüstenzone beheimatet wäre, Waylon Jennings, Willie Nelson, Johnny Cash und Kris Kristoffersen. Nun steht speziell Klaus der amerikanischen Country-Tradition näher, und so war es ein schöner Zufall, dass ich mich, wie aus dem Nichts, für die von etlichen Geistern der Südstaaten bevölkerten, neuen Lieder von Rosanne Cash so erwärmen kann, „The River and The Thread“. Dieser Auftritt jedenfalls muss ihnen schon damals wie ein Traum vorgekommen sein. Wir schwelgten aber nicht nur in Erinnerungen (die ich ja zum Teil gar nicht besass), wir sprachen auch über unseren alten Englischlehrer, über neue Lieblingsbücher, B. tauchte nur zu gerne ein in Alice Munros „Tricks“, K. entdeckte für sich Paul Austers vielleicht schönsten Roman, „Mond über Manhattan“, und ich erzählte von Neil Gaimans „Ozean am Ende der Strasse“. Aus dem Eisschrank bekam ich noch diesen sardischen Likör serviert, Myrrhta (oder so ähnlich, soll in einem grossen italienischen Supermarkt in der Nordstadt vorrätig sein), und gerne hätte der Nachmittag endlos so weiter gehen können. War ein bisschen wie damals in der Dachstube, als Leonard Cohen die ersten Runden in unserem Leben auf einem Plattenteller drehte. Und die Zukunft noch einen süsseren Geschmack im Mund hatte, Patchouli-like.

 
 
 

 

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9 Comments

  1. Martina:

    Von Paul Auster habe ich fast alles gelesen, und für mich ist „Mond über Manhatten“ definitiv sein bester Roman. Das einzige, was ich an diesem Buch bereue, ist, dass ich es nicht früher gelesen habe. Mein Kollege P, mit dem ich ab und zu lange Abende im Café verbringe, um über Literatur und das Leben zu reden, sagte einmal, Paul Auster hätte irgendwann das Prinzip seines Erfolges begriffen und würde sich nur noch wiederholen, indem er bei jedem Roman genau die Zutaten, auf die sein Publikum anspricht, wieder neu mischt. Das mag sein, ich bin trotzdem süchtig danach, mich immer wieder in diese Romane fallen zu lassen. Was mich bei Paul Auster unter anderem umhaut, sind seine großartigen, auf eine ganz eigenwillige Weise ungeheuer starken und doch so sensiblen Frauenfiguren. Ich gehöre zu den Leuten, die mit Bleistift lesen, auch Romane. Okay, ganz wichtige, wenige Stellen streiche ich sogar mit Buntstift an. In meine Ausgabe des Mondes über Manhatten habe ich sogar eine Büroklammer eingefügt. Was für eine Synchronizität, sie ist an der Stelle, in der jemand sich künstlerisch neu aktiviert, denn da ist dieser Maler, der an einer verborgenen Stelle in der Wüste endlich wieder den Drang zum Malen verspürt und der dann in einer Geste den gegenüberliegenden Berg skizziert, und schon war die Zeichnung fertig. In den nächsten zweieinhalb Monaten fertigt er fast vierzig Gemälde an, die glücklichste Zeit seines Lebens. Es war von Anfang an klar, dass niemals jemand diese Werke sehen würde, Kunstwerke ohne Beurteilung von außen. Und das ließ ihn ganz anders an seine Kunst herangehen. „Der wahre Zweck der Kunst bestand (…) im Begreifen, im Durchdringen der Welt und darin, seinen Platz zu finden. (…) Er hatte keine Angst mehr vor der Leere, die ihn umgab.“

  2. Uwe:

    Ueber die Weihnachtstage habe ich das „Winterjournal“ (sein aktuelles Buch) gelesen. Teilweise etwas ausufernd (ALLE Wohnungen aufgelistet und beschrieben in denen er je gewohnt hat) aber auch sehr beruehrend weil jemand der im letzten Viertel seines Lebens steht sich erinnert.

    „Mond ueber Manhattan“ merke ich mir fuer die Lektuere gerne vor ! .-D

    Von Auster kenne ich bisher nur die drei Verfilmungen, also „Smoke“, „Blue In The Face“ und „Lulu On The Bridge“ !

    Empfehlenswert sind auch die Buecher von Siri Hustvedt, mit der Auster verheiratet ist.

  3. Martina:

    Wir wissen nie, wann wir im letzten Viertel unseres Lebens stehen, zum Glück. Sind denn bewegende Gedanken im „Winterjournal“ zu lesen, Uwe? Hat dich das Buch irgendwie berührt? Ich las, der Körper sollte im Mittelpunkt stehen. Das kann ja so oder so sein.

    An Reflektivem über seine Anfangszeit als Schriftsteller gibt es von Auster auch den umfangreichen Band „Von der Hand in den Mund“, den habe ich sogar als Hardcover hier. Ich puste mal eben den Staub von den Seiten. Tja, auch hier zahlreiche Bleistiftunterstreichungen. Hier mal eine, Seite 310: „Wir musterten einander sorgfältig, zum erstenmal sahen wir uns als Menschen an. Plötzlich und kaum zu beschreiben änderte sich die Atmosphäre im Büro.“

    Am besten ist Auster aber in seinen Romanen. Die Filme haben mich nicht so überzeugt. Ich mag die Sprache Paul Austers. Ein Lyriker ist er aber auch nicht, auch wenn es einen Gedichtband von ihm gibt.

    Siri Hustvedt reicht meiner Meinung nach überhaupt nicht an Paul Austers literarische Qualitäten heran. Sie hat leider diese typisch klischeehafte weibliche Art, Geheimnisse nicht stehen lassen zu können und alles erforschen und alles ausdrücken und damit auch irgendwie beherrschen zu wollen. Ihren Roman „Was ich liebte“ fand ich allerdings doch ziemlich gut. Wenn der Titel auch richtig schlimm klingt.

  4. Uwe Meilchen:

    Ja, das „Winterjournal“ hat mich beruehrt weil ich mir mit meinen 48 Jahren auch ab und an meine Gedanken ueber die mir verbleibende Lebenszeit mache. Vermutlich werde ich ja nicht 96 Jahre alt; also ist die Haelfte bei mir dann auch schon herum; ein leises Ticken der Uhr ist da manchmal schon hoerbar …

    Diesen Auszug aus einer Rezension der ZEIT finde ich ganz treffend:

    zeit.de/autobiografie-paul-auster

    Das Leben von Paul Auster, dem bewunderten Kultautor, der „Die Erfindung der Einsamkeit“ geschrieben hat, Die „New York Trilogie“ und „Mond über Manhattan“ – ist natürlich kein unbekanntes. Wie oft haben die Feuilletons dieser Welt es schon erzählt!

    Die Geschichte eines jüdischen Jungen, seine Errettung aus provinzieller Enge mittels der gut ausgestatteten Bibliothek von Newark, New Jersey, nicht zu vergessen seine Begeisterung für erschöpfende Sportarten. Die Studentenjahre in Paris. Ehe mit der Autorin Siri Hustvedt, was für ein glamouröses Paar sie doch sind, sie so langbeinig und blond, er so stämmig und dunkel.

    Familienleben im alten Brownstone-Haus in Brooklyn, das sich im Glanz der Austers sonnt. Es ist die klassische Erfolgsstory – und sehr, sehr amerikanisch. Und doch schreibt Auster selber seine Geschichte hier als die eines Beschädigten. Sein Erzählgestus berührt Versehrtheiten, so wie einer mit dem Finger über seinen Körper streicht und Narben sucht, um unter ihrer Glätte alten Schmerz aufzuspüren.

    Wir lesen von Herzklopfen, von Schweißausbrüchen, Panikattacken. Von Süchten (Alkohol, Rauchen), von medizinischen Notständen (Blutgerinnsel, Furunkel, Hornhautriss), von schlechten Nachrichten (Todesbotschaften, Terrorattacken), von Irrwegen, Verlorenheiten.

    Die Aufzählung bewährt sich für Auster als Instrument, Ordnung in das Chaos der Dinge zu hämmern.

    Ein anderer Auster-Manierismus ist es ja, sich in eine Szene zu verbeißen, etwa in ein Sportereignis, daran sich über Seiten hinweg festzukrallen wie auf einem Floß, das von der Dünung des Lebens zwar hin und her geworfen wird, aber doch immerhin nicht kentert. Die Struktur des Winterjournals wird jedoch eher von der Aufzählung bestimmt.

    Da wäre die Aufzählung von Orten seines Lebens (Beth Israel Hospital Newark; Rue du Louvre, Paris; 456 Riverside Drive oder W 115th Street, Manhattan), tatsächlich 21 Locations, würde der Filmemacher Auster sagen. Es folgen die Aufzählung weiblicher Körper, die seine Hand erinnert („Intellektuelle und Sportliche, Launische und Gesellige, Weiße, Schwarze und Asiatische …“), die Aufzählung von Lieblingsessen (Root Beer Float, Thunfischsandwich, Mokkaeis …), Aufzählungen von unliebsamen Krankheitszuständen (Tripper, Filzläuse), vor allem die Aufzählung von Momenten, in denen Auster schon je und immer wieder an der Schwelle zum Abgrund stand.

    Jede Stunde, jeder Tag dieses Lebens erscheint so als dem Tode abgerungene Zeit, das Leben als vom Tod durchgetaktet.

    Der Tag, an dem er vom Tod seines Vaters erfuhr. Das Jahr, in dem seine Mutter starb. Die Nacht, als er durch den Schneesturm steuern musste. Der Abend, an dem er einen Unfall verursachte.

  5. Martina:

    Hm, klar. Was das Thema Annehmen des Lebens – und auch seiner Begrenzungen – angeht, der ganzen Palette des Lebens, darin ist Paul Auster ein Meister im Mutmachen, gerade weil seine Figuren nach konventionellen Maßstäben scheitern und weil immer alles noch schlimmer kommt als es zunächst vorstellbar gewesen wäre. Es ist die Art, wie die Figuren erst aufleben und dann scheitern und wie sie ihr Scheitern beschreiben, also in Sprache fassen, und immer wieder das Geliebte loslassen und trotzdem auf eine irgendwie gestärkte Weise in Richtung des nächsten Sonnenuntergangs weiter taumeln, was mich an Paul Auster immer fasziniert hat. Ich hatte meine erste Paul-Auster-Phase zwar leider später als es vom Erscheinen der Bücher her möglich gewesen wäre, aber dennoch für mich in der richtigen Zeit, nämlich als für mich darum ging, ob ich einen bestimmten beruflichen Weg, der eher konventionell gewesen wäre, einschlage oder nicht. Ich habe mich dagegen entschieden und es keine Sekunde bereut. Die Romane von Paul Auster haben mir immer das Gefühl vermittelt, dass es sich lohnt, sich auf das Leben einzulassen, gerade auch dann, wenn es sinnlos oder riskant erscheint. Es geht immer darum, Erfahrungen zu machen, einfach zu leben.

    Aber das Winterjournal ist nichts für mich. Das ist mir zu autobiographisch. Und an glamouröse Liebespaare glaube ich sowieso nicht.

  6. Michael Engelbrecht:

    Das, was ihr euch so erzählt, interessiert mich mehr, als jeder Paul Auster oder Siri H.-Roman der letzten 12 Jahre. Ich halte es mit dem Kumpel von Martina: mich langweilt Auster einfach nur noch, weil er ewig Muster wiederholt. Das langweiligste Auster-Buch ( für mich ) hiess, glaube ich „Musik des Zufalls“, pseudokafkaeske Katatonie. Ähnlich schlimm wie Handkes Chinese des Schmerzes. Gerne verrissen, von mir aber als Hundefreund gerne gelesen: Timbuktu. Ein melancholisches Märchen. Ich besprach damals Austers Mond über Manhattan für den Deutschlandfunk. Traf ihn zum Interview bei der Buchmesse. Wie der Protagonist, erinnere ich noch, hatte auch Auster nichts vom Rock´n Roll- Wirbel der späten Sechziger mitbekommen. Da war er selbst genauso Aussenseiter wie einzelne seiner Figuren. Ich habe dann irgendwann aufgehört, ihn zu lesen. Ist mir sicher das eine oder andere entgangen, aber in den Auster-Club will ich nicht mehr. Alles hat seine Zeit.

    Ich finde mein Glück derzeit in Neil Gaimans kleinem Mystery-Roman. Und danach wartet auf zig meiner Bekannten und Freunde der neue Murakami, während ich mich entscheiden werde zwischen Hakan Nessers Himmel über London und einem alten Ullsteinkrimitaschenbuch von Michael Collins :)

  7. Michael Engelbrecht:

    Hier noch etwas zu Michael Collins und seinem Detektiv Dan Fortune:

    „We are a species that preys on itself. We live on our own kind, hunt each other. That’s what I wanted to tell the girl who faced me across the desk in the office part of my one-room loft, but I didn’t. I told her what the police had told me.“
    — from Minnesota Strip (1987)

    Not your typical let’s-get-physical hardboiled dick (having only one arm sorta cuts down on the urge for fisticuffs), Dan has to rely more on his intelligence and compassion. Fortunately, Danny’s no dummy. Well-read and self-educated, his underdog’s empathy for other people makes him a great interrogator. People seem to really open up for him.

    And the infinite, broken sadness, based on real people and real lives, that lies at the heart of the series reveals the glib, cynical posturing of much modern „noir“ for exactly what it is.

  8. Martina:

    This guy Dan Fortune seems to be an interesting one.

    D´accord, „Die Musik des Zufalls“ ist am Rande des Slapstick. Darin habe ich auch gar nicht viel unterstrichen :)

    Und bei Handke bin ich schon lange ausgestiegen.

  9. Michael Engelbrecht:

    Please Don’t Tell Me How The Story Ends ist eine Sammlung früher Aufnahmen und Demos des jungen Kris Kristofffersen.

    Um mal zurück nach Vegas und Nashville zu kommen.

    Da war er einst, der junge Kris, in der Metropole der Countrymusik, ein vielbelächelter Hippie. A lucky fucker. The womanizer of town. Bei der Stimme war sicher nicht alles reines Gold, und wer brauchte schon reines Gold, und die Töne trafen schon mal scharf daneben. Man könnte davon sprechen, daß sich hier ein Talent zur Decke streckte und früh verriet, wieso es halt nicht zum Status eines Neil Young reichte. Aber so sollte man nicht an diese Arbeit herangehen. Dann wären auch schnell wieder die zur Stelle, die behaupten, seine Songs hätten immer von Anderen die beste Interpretation erfahren.

    Schluss mit den langweiligen Standardsprüchen aus der Rockhistorie. KK glänzt mit diesen Demos. Seine Lieder zeigen Brüchigkeit, Verlorenheit, Sehnsuchtspotentiale! Man lauscht dem jungen KK, dem Hippie in der Countrymetropole. Und ist wie gebannt. Man rennt auch nicht gleich zum Plattenschrank und will die berühmten Versionen auflegen.

    Man verweilt bei den Liedern, in diesem kleinen Studio, in einer lang vergangenenen Ära. Und schon drohen wieder neue Sprüche: ja, damals! Weißt du noch? Und dann merkt man diesen scheinbar spröden und völlig ungekünstelten Darbietungen etwas an, das mehr als alles andere verblüfft: es ist nicht die zeitliche Distanz, die den Schauer erzeugt, nicht der geheime Blick in die alte Songschmiede, es ist die Tatsache, daß nichts hier gealtert scheint. Bei manchen Zeilen stellen sich die Haare senkrecht! Der Schauer verfliegt nicht! Emotion pur. Skelettiert. Code Blue.

    P.S.: Und dann ist da noch dieses 60-seitige Begleitheft, mit Aussagen und Texten von Dennis Hopper (R.I.P.), Merle Haggard, Kinky Friedman u.a. – und jeder der – natürlich – abgedruckten Songexte wird kommentiert von Herrn Kristofferson persönlich. Sowas nennt man eine Fundgrube.


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