„Sequencing is always a major part of how music is ultimately perceived.“ (Craig Taborn)
Ein dummer Fehler war schuld: ich hatte mir ein Interview mit Justin Vernon (Bon Iver) angehört, das Michael Maurer zu dessen neuer CD „Bon Iver, Bon Iver“ geführt hatte. Einen OTON wollte ich ihm daraus abkaufen, der die Geschichte zum Song „Hinnom, Tx“ erzählt. Das Highlight seines Interviews. Leider landete der OTON im Spam, so daß ich den Song (als die Lieferfrist abgelaufen war) rausschmiss und eine wirklich spannende Stunde lang nach einem neuen Eröffnungstrack der nächsten „Klanghorizonte“ suchte. Schliesslich fand ich einen Donovan-Song aus seinem alten Doppelalbum A GIFT FROM A FLOWER TO A GARDEN. Mittlerweile missfiel mir auch meine Entscheidung, eine zehnminütige Komposition aus der neuen Arbeit des isländischen Komponisten Johann Johannsson zu verwenden. Eine gelungene Hommage an das Schicksal von englischen Grubenarbeitern, aber es schien mir nicht ganz in den flow der Stunde zu passen. Ich suchte ein kurzes, kammermusikalisches Stück und wurde bei ENGLABORN fündig.
Die Klanghorizonte erlauben ja, aus jedem Musikgenre Tracks herzunehmen. Das macht die Sache spannend und (ein bisschen) schwierig: denn eine Dramaturgie muss her, was hier bitteschön nicht hochtrabend klingen soll: die Reihenfolge der Stücke muss (auch wenn ich zuweilen mit Brechungen und Kontrasten spiele) stimmig sein, fast schon eine sich selbst erzählende Geschichte darstellen. Dazu kommt noch eine kleine Limitierung: zwei Monate vor der Sendung habe ich für diverse Programmankündigungen schon jeweils drei Namen für die Sendungen des Nachtradios zu nennen. In diesem Fall waren es: Johann Johannsson, Popol Vuh und Low. Zwar achte ich darauf dass diese Zusammenstellung eine gewisse stimulierende (nicht unbedingt zwingende) Logik hat, doch sind damit drei feste Größen formuliert, um die herum das „Sequencing“ entsteht.
Es taten sich neue Spielräume auf, als ich aus einem 10-Minuten-Stück des Isländers ein 1-Minuten-Stück an dessen Stelle gesetzt hatte. Durch das Email-Interview mit Craig Taborn war ich noch tiefer in AVENGING ANGEL eingedrungen, und es wäre widersinng gewesen, dieses Meisterwerk nicht in das fröhliche Spannungsfeld der Stunde einzubauen. In einer kleinen „ECM-Corner“ gesellte sich Marylin Mazur hinzu, dessen CELESTIAL CIRCLE eine ihrer besten Platten ist. Spirituell empfindende Menschen (wie die Dänin) müssen aufpassen, dass aus ihrem kosmischen Grundempfinden kein raunendes Pendant zum Bäume-Umarmen wird, und all diese Gefahren umgeht der HIMMLISCHE KREIS sehr gekonnt, mit den Mitteln der Reduktion.
Im Lauf des „Sequencing“ galt es noch, die zahlreichen Vorträge der Rick Holland-Gedichte zu den Tracks der neuen Brian Eno-CD so zu gestalten, dass man beim Hören nicht überfrachtet wird. Und so sorgte ich durchgängig dafür, daß nach einer Gedichtübersetzung, und nach dem darauf zu hörenden Eno-Stück (what a fabulous record, by the way!) erstmal keine neue Moderation kam, sondern jeweils reine Instrumentalmusik, welche die „spoken-word-performances“ nachwirken lässt und auch dem Raum zwischen den Klängen Luft (diesen Job erledigen Fourcolor, Johannsson, M. Ostermeier und Rafael Toral glänzend!).
Und dann war´s geschafft. Ich warf einen letzten Blick auf die „playlist“ (s.a. Kommende Radiosendungen mit M.E.) und stellte mit einem Schmunzeln fest, was so noch gar nicht im Schilde geführt war: eine heitere Psychedelik, wenn man auf die Namen etlicher Alben blickt: da wimmelt es nur so von „Farben“, „Blumen“, „Himmel“, „Glocken“, „Garten“, „Weltraum“, „Winter“ (Bon Iver heisst eben auch „Guter Winter“). Aber ich verspreche: es wird kein bisschen kitschig. Und Eno nach Donovan: das passt hundertprozentig. Nicht nur, weil beide eine „romantische Ader“ haben. Die Brian gerne verleugnet, wenn er sich einen „anti-romantic“ nennt. Da irrt er aber. Bei ihm verwandeln sich selbst halb-automatisierte Kompositionen mit scheinbar extrem geringem Input des Komponisten (z.B. „Discreet Music“ oder „Neroli“) in reine Sehnsuchtsstoffe (nicht nur in dieser Hinsicht ist die jüngst erschienene Doku-DVD „Brian Eno 1971-1977; The Man Who Fell To Earth sehr empfehlenswert). Tja, und ich bin also ein „Sequencer“. Welche Handbewegung hätte ich mir wohl dafür ausgedacht, in den Sechziger Jahren, bei Robert Lemkes „Was bin ich“?