In einem Interview beklagt die Piraten-Politikerin Marina Weisband den Druck auf Journalisten, ständig Neuigkeiten rauszuhauen und dabei wenig Zeit zu haben für Recherche. Recht hat sie: das Tempo, in dem heute die Medien Schlagzeilen und Themen generieren müssen, macht den Thesen des Geschwindigkeitsphilosophen Paul Virilio vom „rasenden Stillstand“ alle Ehre. Dennoch besteht ja jederzeit für Jedermann die Möglichkeit, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen, sich geruhsam in literarische Gefilde zu vertiefen – um so den tagesaktuellen und oberflächlichen Aufregungen zu entkommen.
Wie einst Virilio den Finger auf die Wunde des Zeitgeistes legte, so tut das neuerdings der Philosoph Byung-Chul Han. Auch die Piratenpartei bekommt dabei ihr Fett weg, denn die hat die Forderung nach Transparenz auf ihre Fahnen geschrieben. Transparenz, Müdigkeit (Burnout) und eine Agonie des Eros aufgrund ausufernder Wahlmöglichkeiten – das aber sind Hans wunde Punkte. Im Vergleich zu seinem „Ex-Chef“ Peter Sloterdijk (dem Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung) ist er weniger affirmativ, inklusiv und erbaulich – eher depressiv. Folgende Notiz findet sich dazu in Sloterdijks Zeilen und Tagen:
„Ein Autor der NZZ will in Fragen der Psychopolitik das letzte Wort behalten: Nicht Zorn und Wut seien die Affekte, auf die es ankommt, die Zukunft gehöre der Depression. So outet der Verfasser sich als zustimmender Leser des Kollegen Han, dessen jüngst gehaltene Antrittsvorlesung an unserem Haus über die „Müdigkeitsgesellschaft“ bei den Kollegen und Studierenden wenig Anklang fand, um so mehr bei den abgehetzten Mitarbeitern von deutschen Kulturredaktionen.“
Womit wir wieder bei Frau Weisband wären und der Forderung nach mehr Zeit und Qualität für journalistische Arbeit. Den Wert von Hans Werken mag jeder selbst überprüfen – es muss ja nicht alles affirmativ sein: der Lauf der Welt gibt auch zu Negativität und Skepsis Anlass. Unsereins vertieft sich bis auf weiteres unbeirrt in Sloterdijks Notizbücher, liest dort amüsiert von waghalsigen Radtouren des Autors, von Luxushotels in Abu-Dhabi und von Trinkgelagen mit dem Maler Neo Rauch – abseits des rasenden Stillstands tagesaktueller Kata-Strophen und diesseits des weissen Qualms vatikanischer Schornsteine.