Natürlich hat Fussball viel mit Musik zu tun. Wie sich die abgezockten Italiener die Nationalhymnen aus dem Leib sangen, war wesentlich überzeugender als die braven Gesichtsausdrücke der deutschen Chorknaben. Dagegen sah Buffon (der tatsächlich noch beklopptere Interviews gibt als Balotelli) mit einer leicht irrsinnigen Mimik aus, als wollte er allein durch Gedankenkraft den Ereignissen einen großartigen Verlauf bescheren, und so waren es die Heldentaten von Buffon, Balotelli und Pirlo, die bei diesem Sieg des Tollkühnen über das Biedere entscheidend waren.
Herr Löw aber versagte mit seinen Umstellungen komplett, und ließ zähem Sicherheitsdenken den Vortritt vor fantasievollen Angriffsfussball. So nämlich hätte es ein grosses Spiel werden können, in dem auch eine Niederlage akzeptiert worden wäre. Aber was will man von einem Team erwarten, in dem die Führung schon mal Begriffe wie „Stahlhelm“ in den Mund nimmt, um teutonische Qualität ins billige rechte Licht zu rücken.
In einer seltsamen Nibelungentreue schleppte Löw seinen „emotionalen Leader“ Schweinsteiger sowie Podolski durch das Turnier. Das Experiment mit Kroos ging gründlich daneben, Signore Pirlo wurden keineswegs die Wege zugestellt. Schweinsteiger wurde wieder Schweini, nur ohne die alte Unbekümmertheit und Klasse. Schon nach dem Desaster gegen die Dortmunder Borussen im Pokalfinale flüsterte er einem Reporter in modulationsarmen Sätzen zu: „Auch wenn es komisch klingt, wir waren insgesamt die bessere Mannschaft“. Solche Wahrnehmungsverzerrungen führen dann gewiss auch dazu, sich vor dem Italienspiel als 100 Prozent fit zu bezeichnen. Sein Einsatz war Löws größter Fehler.
Der Bundesjogi wird als Bauernopfer vielleicht Podolski den Stammplatz nehmen, an seinem Bayernblock wird er nicht rütteln, höchstens auf öffentlichen Druck. Dazu passt, wie er Hummels als die Wurzel der Niederlage ausmachte: gewiss agierte der Dortmunder in dieser Szene unglücklich, aber genauso beteiligt war Özil, der dem alten Pirlo leider nicht die paar Meter am Mittelkreis hinterher lief, um dessen Flanke an die Aussenlinie zu unterbinden. Und Badstuber hätte gegen Balotelli nach der Flanke von Cassano ins faire Tackling gehen müssen, Neuer durchaus mal seine Strafraumbeherrschung demonstrieren können.
Der wahre Held aber war Pirlo, der mit scheinbarer Teilnahmslosigkeit seine geheimen Regiefäden knüpft. Sein Gesicht ist eine wahre Charakterlandschaft, und sollte der Italo-Western einmal wiederbelebt werden, wird sich der Nachfolger Sergio Leones in einer Nahaufnahme Zeit nehmen, dieses langmähnige Konterfei, Typ: Pferd, in Superzeitlupe von oben bis unten abzufilmen. Und Altmeister Ennio Morricone wird dazu einen Ohrwurm komponieren.
Der Held im Hintergrund ist Signore Prandelli, ein liberaler Geist, der ein neues Italien nach Berlusconi verkörpern könnte. Einer, der die Tradition des großen argentinischen Fussballdenkers César Luis Menotti fortsetzt, gelingt es ihm doch spielend, ein Team aus Arbeitern, Schurken und Verrückten zu einer Einheit zu formen. The Good, The Bad, & The Ugly. Spanien ist gewarnt. Und wir Deutschen sind in diesem Spiel die Doofen.