Wenn einer sich Gedanken macht über die Banalität des Schönklangs beim Hören der neuesten Silje Nergaard Platte und sich schwört, nie wieder gefällige Gitarrenklänge in die Welt zu setzen, weil er nicht mitwirken will an diesem bis an die Schmerzgrenze Süßlichen und jene bemitleidet, die sich darin weiden und nicht wissen: sie kommen darin um – dann greift derjenige schnell mal ins rettende Bücherregal, um sich zu vergewissern, dass er nicht allein auf dieser Welt ist und Heimat für ihn heisst: Geborgenheit in der Gemeinschaft negativer Denker.
Wie zufällig zieht er dann ein Buch von Cioran aus dem Regal, jenem grossen Schriftsteller, Philosophen und Stilisten, der aus der Kunst des negativen Denkens und Schreibens heraus jene Kraft entwickelte, die Leben spendet und die so manchem Selbstmörder die Tat vereitelte. Denn erstaunlicherweise bewirkt die Freiheit, sich schonungslos negativ äussern zu dürfen, eine befreiende Öffnung, die ins Leben zurückweist. Ebenso verhält es sich ja auch mit der Langeweile.
Negativität und Langeweile sind, ähnlich wie etwa das Cholesterin oder der Stress, sowohl als negative wie auch als positive Wirkkräfte vorhanden. Allein von Übel sind ausweglose Monotonie und bildungslose Stumpfheit. Aber glaubt denn jemand, wenn ihm beim Flanieren durch die Gassen von Paris jener Cioran zufällig begegnet wäre, er hätte dann das Antlitz eines Griesgrams erblickt? Mitnichten – einen mitfühlenden, würdevollen, sanftmütigen und leidenschaftlichen Menschen hätte er gesehen, fernab aller kruden Grobschlächtigkeit.
Die Langeweile hat Eröffnungscharakter: im besten Falle ist sie wie ein Nadelör, durch das man zurückgelangt ins Hier und Jetzt, zwischen die Dinge. Was hingegen an Silje Nergaards Süßklang stört, ist diese sentimentale, einlullende Verhangenheit, die ähnlich fatale Wirkungen zeigen kann wie ein in ewigem Minnesang gefangener Romeo sie erfahren würde. Da hätte dann jemand noch nie den Himmel gesehen, weil er stets nur unter Weiberröcke blickte und unter den Balkonen sitzend Nackenschmerzen kriegte.
(Textbeitrag vom 15.4.2012)