Der Russe ist einer der Birken liebt (D, 2022) von Pola Beck
nach den Roman von Olga Grjasnow
… und in diesen Spiegel lässt uns die Regisseurin blicken: Trümmer, Fragmente, Bruchstücke eines jungen Lebens, das sich nicht zu einem geschlossenen Ganzen fügen will. Sie mutet uns viel zu mit diesem Film, man merkt bald, dass man den Kopf abschalten und auf nachvollziehbare Handlungsstränge und zeitliche Abfolgen verzichten muss, um der Atmosphäre von Diffusion und Zerstörung nachspüren zu können. Mascha, eine junge Frau, Jüdin aus Aserbeidschan, ist 1990 im Bürgerkrieg nach dem Einmarsch der Sowjets mit ihren Eltern nach Deutschland geflüchtet. Das Ausmass ihrer Traumatisierung bleibt im Dunklen, wie Mascha selbst ist der Zuschauer beschäftigt Splitter ihrer Persönlichkeit zu einem Ganzen zusammensetzen zu wollen, ein Blick in einen zersplitterten Spiegel, der einzelne Facetten in jeder Scherbe anders widerspiegelt.
Mascha ist jung und wild – wir sehen sie mit ihrem Freund im Bett, danach plötzlich mit einem anderen, danach mit einer Frau. Die Szenerie wechselt ständig zwischen Deutschland und Israel, wir sehen sie beim exzessiven Feiern, Arbeiten, Liebemachen, über sich spricht sie mit niemandem. Emotionelle Tiefe wird deutlich, als sie für einen sterbenden Hasen weinend das Kaddisch spricht, bevor sie ihm den Gnadentod schenkt, wir erleben sie plötzlich als orthodoxe Jüdin. Zeitsprünge sorgen zusätzlich für den Verlust der Orientierung, oft auch für unterschwellige Gereiztheit. Getragen wird der Film von einer furios aufspielenden Aylin Tezel (leider auch bekannt für Dauernuscheln – was die Gereiztheit verstärken mag). Ausserdem spricht Mascha 5 Sprachen, arbeitet als Übersetzerin, sozusagen ein Global Player, überall in der Welt zuhause und doch auch irgendwie nirgends, am wenigsten bei sich selbst. Als ihr Freund plötzlich verstirbt, verliert Mascha den Boden unter den Füssen, flieht nach Israel. Ihre Freunde berichten ihr von einer Birke in einem Wald bei Jerusalem, wundern sich, dass diese in diesem Klima gedeiht. Diese Birke wird zum tragenden Schlussbild als Symbol für Leben und Wachsen in einer fremden Welt: Mascha weint, trauert um ihren Freund und fotografiert sich selbst dabei, trägt die Fotos bei sich, wohl als Anker und Erinnerungshilfe an ihre Trauer in dem Wunsch nach einem ganzheitlichen Erleben der eigenen Person. Sie sucht die Birke auf und steckt die Fotos im Schlussbild in einen Spalt in der Rinde – Geborgenheit bei jemand der beweist, dass man sich auch in der Fremde verwurzeln kann. Eine anrührende Szene.
Der Film wird der komplexen Literaturvorlage nicht gerecht, man erfährt nichts über die politischen Hintergründe und Maschas Kriegstraumatisierungen – aber das macht nichts; die Regisseurin formt eine eigene Geschichte und schafft es, das Lebensgefühl und die Suche nach Identität und Kontinuität mit filmischen Mitteln dem Zuschauer quälend nahezubringen – man muss sich nur hineinfallen lassen.