Hab den Donut im Auge und nicht das Loch!
David Lynch ist verstorben. Der obige Satz eines seiner Rezensenten hätte von ihm stammen können – schau nicht auf das Augenfällige, sondern auf das Dahinterliegende. Wenn Du Dich dort auch nicht zurechtfindest, auf das noch weiter Dahinterliegende – so baute er seine Filme auf, über die sich schon Generationen von Zuschauern und Rezensenten den Kopf zerbrochen haben, um im Labyrinth eine Logik zu finden und daran verzweifelten beziehungsweise den Fight mit dem Labyrinth verloren haben, da sich Labyrinthe an der eigenen Verschlungenheit zu begeistern pflegen und sich weniger um denjenigen scheren, der darin herumstolpert und wieder hinaus will. The medium is the message und Entwicklung entsteht auf den Wegen und nicht an den Zielen. Somit hatte er für mich immer auch eine buddhistische Anmutung.
Ich habe über Mulholland Drive etliche sehr gelehrte Vorträge gehört von unterschiedlichen Wissenschaftlern, der letzte war Lacanianer – wer jetzt einen Schweissausbruch bekommt, weiss, was ich meine – die glaubten endlich die Weltformel für dieses schillernde Machwerk gefunden zu haben … gerafft habe ich es nicht und zunehmend beschlich mich der Verdacht, es gäbe überhaupt nichts zu raffen – eine Erkenntnis die sofort eine Menge Stress wegnimmt und einem die Möglichkeit gibt, frisches Popcorn zu holen, weil man ohnehin nicht viel versäumt. Immerhin gilt Lynch als Meister des unzuverlässigen Erzählens, einem Begriff aus der Literaturwissenschaft – heisst wirklich so. Und seit Christopher Nolan sind wir ohnehin gewöhnt, uns in Filmen mit Zeitsprüngen, Ebenenwechseln und Hyperloops nicht mehr zurechtzufinden. Wie man hörte ging es sogar seinen Schauspielern so, diCaprio hat dergleichen mal verlauten lassen, der hat auch bald nicht mehr durchgeblickt, in welchem Parallelkosmos er da gerade herumturnte.
Manche ordneten ihn (den Lynch, nicht den Leo) gern in die philosophische Strömung des Strukturalismus oder Poststrukturalismus ein, was ungefähr soviel weiterhilft wie Kamillentee bei einer Blinddarmentzündung und die Psychoanalytiker sahen in der Handlung eher die Darstellung depressiver Innenwelten, in denen es ja auch alogisch und surrealistisch zugeht und man sich wie an einer Boulderwand von einem Vorsprung zum anderen hangeln muss. Ich selbst sah mich immer in den Kosmos eines Paranoikers versetzt … eine Welt voll Verwirrung, geheimnisvoller Zeichen, die auf Anderes verweisen und das Andere wieder auf etwas Anderes. Bedrohungen, die sich verdichteten und wieder auflösten, Personen deren Identität flüchtig war wie Rauchschwaden – Tolkien hätte von Gestaltwandlern gesprochen. Neue interessante Gedankenräume tun sich auf, die man in einem ständigen Flow durcheilt, das macht mehr Spass als Boulderwände zu erklimmen – mehr wie – pardon – Geisterbahnfahren. Ähnlich – aber in tragischerer Form – schaffte das Florian Zeller mit dem Film The Father – über einen dementen Mann, in dem der Zuschauer selbst für anderthalb Stunden in den Zustand einer Demenz versetzt wird und ständig in neuen Wohnungen wohnt und neue Leute kennenlernt.
Und wer will denn schon die Wahrheit wissen? Ist doch langweilig. Bei Buñuel ist ein Vogel Strauss im Schlafzimmer eben auch ein Vogel Strauss im Schlafzimmer … und kein Vatersymbol. Bleibt im Flow, Kids! So lässt sich auch Lynch ertragen, dem wir hiermit ein gutes Ankommen in den Parallelwelten wünschen.