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2024 7 Okt

Is anybody here? – Zum Zweiten

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 3 Comments

 
 

Monsieur Klein (F, 1976) von Joseph Losey

Der Schauspieler und sein Film – a matched sample

 

Noch selten hat ein Schauspieler so gut zu einem Film gepasst wie hier Alain Delon zu Monsieur Klein. Der kühle, aalglatte, aber sich nie zum wirklich Bösen aufschwingende (das hätte Delon auch durchaus geschafft – seit Die Sonne war Zeuge wissen wir das) M. Klein, Kunsthändler und Bonvivant, der sich am Eigentum enteigneter Juden bereichert, ist durchaus sein Metier. Auf gebrochene Charaktere verstand er sich mit seinem Pokerface, seinen hellen Augen, bei denen man trotzdem nicht auf den Grund blicken konnte – so als hätte er eine Zwischenwand eingezogen, an der unser forschender Blick abprallte und wieder umkehren musste, bevor er das Innere erreichte. Die Seele dahinter war seine Sache, er stellte sie immer nur in Teilen zur Verfügung – für Filme reichte es, für Beziehungen nicht immer. Romy liess er – so der Text des Abschiedsbriefes – sein Herz zurück, sein Körper stand gleichzeitig Nathalie Delon zur Verfügung, was er mit der Seele machte bleibt im Ungefähren, Interviews gab er so gut wie nie. Als junger Mann arbeitete er eine Weile als Metzger, vielleicht hat er hier gelernt Organismen zu zerteilen.

Das klingt zynisch – die Psychotherapeuten würden es Balint-Effekt nennen, eine Art Übersprung vom Beschriebenen auf den Beschreiber – und Zynismus und Kälte sind auch Eigenschaften, die man Delons Filmfiguren zuschreiben kann. Sogar bei seiner Premiere – beim herzigen Leutnant Gustl in Christine (eine komplette Gegen-den-Strich-Besetzung) wehte einen immer etwas kühl an und wenn’s nur die berühmte Unmutsfalte war, die zwischen den Brauen immer wieder aufzuckte. Dafür war Romy Schneider in diesem Film noch ein letztesmal über die Maßen herzig, bevor sie ihre Karriere in Frankreich startete – dann nicht mehr herzig, aber früh gebrochen und nie mehr ganz geheilt, bis ihr die eiserne Spitze des Gitters, die den Körper ihres Kindes durchbohrte, auch das eigene Herz durchdrang. Das ist auch so eine Crux von Delon, diese Personalunion mit einer längst Verflossenen, die bei jedem Diskurs über ihn zuverlässig auftaucht, als gehörte diese Beziehung zu seiner Identität und Romy wäre sein unsichtbarer siamesischer Zwilling. Is anybody here? Da fehlt doch jemand!

Und irgendwie gab man dem Treulosen immer ein bisschen Mitschuld, dass unsere Sissi in Paris zuerst unanständige Filme drehte, dann verlassen wurde und traurig endete. Er liess Raum für Projektionen und die waren nicht immer vorteilhaft, aber machen andererseits den Schauspieler vielseitig verwendbar. An M. Klein schien ihm etwas zu liegen, er war der Produzent. Nach „Leutnant Gustl“ wusste er offenbar besser, was zu ihm passte – die tiefgekühlten Chamäleons und andere Reptiloide mit ihren Eisaugen.

Der Film beginnt auch bereits mit einer Anmutung von Kälte: Eine junge Frau wird vom Amtsarzt untersucht – ihre rassische Zugehörigkeit soll festgestellt werden und der Arzt, ein Kollaborateur, untersucht sie, als wäre sie ein Pferd, das er kaufen will; das stellt den Film bereits in seinen entsprechenden Kontext: Frankreich unter der deutschen Besatzung, Beginn der Enteignung und Deportation von Juden – dem entgegengestellt die Welt der gesellschaftlichen Elite, zu der dergleichen nicht durchdrang und die es verstand wegzuhören, wie die unvermutet auftauchende Jeanne Moreau mit den wie immer vornehm abgesenkten Mundwinkeln in ihrem Palais, bei deren Auftritt man sich fragt, warum sie sich mit dieser Minirolle zufriedengegeben hat. Da hat wohl jemand seinen Charme spielen lassen?

Zu dieser elitären Gesellschaft gehört auch M. Klein, der sich am Aufkauf von jüdischem Hab und Gut bereichert – kalt, opportunistisch, ohne Gefühlsregung, in seinen seidenen Morgenmänteln immer etwas metallisch-glänzend wirkend, als trüge er einen Echsenpanzer, das Einstecktuch gezückt in der Brusttasche, alles comme il faut, ein gentilomme, sogar noch im Schlafzimmer. Die Adresse seiner Kunden notiert er nicht mehr, er weiss sehr wohl, dass sie dort bald nicht mehr zu finden sein werden, wo sie gerade noch sind.

Der Film beginnt und endet mit einem Verkaufsgespräch, es geht um das Bild „The Analysis“ von Adriaen van Ostrade, das Bild eines Mannes bei einer chemischen Untersuchung: ein Hinweis auf die Werte der Aufklärung, Ratio, Naturwissenschaft, Humanität, Absage an das Irrationale, an die Zeit in der die Scheiterhaufen loderten – hier kontrapunktisch entgegengestellt der Anfangsszene der ärztlichen Untersuchung einer Frau gemäss den abstrusen Richtlinien der faschistischen Rassenideologie, die uns die Nazis als Wissenschaft verkauften. Das Verkaufsgespräch wird vor dem Abspann noch einmal eingeblendet, es fasst den Film ein wie ein Rahmen oder eine Klammer, ein zweimaliger Appell an Aufklärung und Vernunft; das Bild verhökert für – nein, nicht für dreissig Silberlinge – aber für 300 Francs und damit auch eine Absage an Kultur und den Werten, die sie geschaffen hat. Bald werden wieder Scheiterhaufen brennen und Kulturgut verschlingen und später auch Menschen.

Is anybody here? Oh ja …

Dazwischen erleben wir in der Filmhandlung eine Welt von Irrationaliät, geheimnisvollen Zeichen und Begebenheiten in einem fahlen, verblassten Paris, der Einführung einer unheimlichen Präsenz, die sich ins Leben von Klein drängt, eine Auslösesituation für das Erleben von Unheimlichkeit.

„Is anybody here?“ fragt die Frau im Hollywoodfilm mit ängstlichen Augen, wenn sie einen scheinbar leeren Raum betritt, in dem Fensterflügel im Wind schlagen und Vorhänge wehen samt anderer Versatzstücke und Accessoires des Grusel-Genres. Und wenn der Regisseur klug ist, lässt er uns nicht sofort die Schuhspitzen unter dem Vorhangsaum sehen, sondern zögert die Sache noch etwas hinaus; im Kinosessel geniesst man gerne die Gefährdung und Angst des anderen mit dem eigenen Hintern im Warmen, „Angstlust“ nannte es der o.g. Psychoanalytiker Balint. Das macht auch Joseph Losey in diesem Film: Gibt es eine Präsenz im Hintergrund, die zielgerichtet handelt oder ist alles nur das bunte Spiel des Zufalls und eine harmlose Verwechslung? Oder will hier jemand einem skrupellosen Schuft raffiniert an den sauberen Kragen?

Der Holocaust wird hier weiter nicht gezeigt, er existiert nur in Blicken, Schatten, Unsicherheiten, ängstlichen Augen, Männern in Trenchcoats, die etwas zu suchen scheinen – eine Art beklemmendes Hintergrundrauschen des Faschismus; immer wieder wird der Bau des Velodroms d ‚hiver in Paris eingeblendet, dem Sammelpunkt für verhaftete Juden in Paris, bevor man sie in die Züge zu den Vernichtungslagern trieb – alphabetisch geordnet in der grausamen Bürokratie der Nazis, die auch noch den grössten Massenmord der Geschichte korrekt zu verwalten wussten. Das letzte, was dem Menschen blieb, war sein Anfangsbuchstabe. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er liebt deutsche Ordnung und holt sogar die Delinquenten in der richtigen Reihenfolge ab.

 
 

 
 

Man spürt die Angst des Protagonisten aus seiner sicheren Position herauskatapultiert und zu denen sortiert zu werden, die jetzt besser fliehen sollten. Ein jüdischer Widerstandskämpfer gleichen Namens scheint sich seiner Identität zu bedienen (heutzutage als Phishing wohlbekannt), er bekommt rätselhafte Post und macht sich auf die Suche nach seinem Doppelgänger, will offenbar den Stier lieber bei den Hörnern packen als vor ihm weglaufen – oder der Justiz eine Art „wahren Übeltäter“ präsentieren, um endlich wieder aus der Schusslinie zu kommen. Die Atmosphäre wird zusehends dichter und beklemmender, als ziehe sich eine Schlinge zusammen.

Mr. K. möchte den offensichtlichen Irrtum richtigstellen, ergeht sich in Nachforschungen über die Identität des Verfolgers. Der Doppelgänger erweist sich aber umso flüchtiger, je mehr K. ihn zu fassen bekommen will – eine Handvoll trockener Sand, der der immer fester zupackenden Hand immer schneller entrinnt. Alle Spuren führen ins Nichts, alle Zeugen erweisen sich als unzuverlässig, je mehr er seine ursprüngliche Identität zu beweisen versucht, desto mehr wird der Gesuchte zum unfassbaren Phantom und desto mehr erweckt er selbst die Aufmerksamkeit der Behörden, bis er eines Tages bei seiner Suche selbst ins Velodrom gerät und in einen der Züge verfrachtet wird. Zurück bleibt sein Anwalt mit dem zu spät angekommenen arischen Nachweis, der K. hätte retten können.

Delon schafft es, ohne mimische Regung durch sein Getriebensein und seine zunehmend manische Aktivität bei der Verfolgung des followers eine sich kontinuierlich steigernde Panik auszudrücken – das muss man auch erst einmal hinkriegen, ohne eine Miene zu verziehen, das ist so ganz und gar delonkompatibel, das brauchen andere erst gar nicht zu probieren; wenn er etwas rüberbringen wollte, schaffte er das. Nebenbei wird hier auch die Binsenweisheit der Cineasten widerlegt, dass ein Film über einen Sympathieträger zur Identifikation verfügen muss, um zu funktionieren, Delon verzichtet in gewohnter elegance und nonchalance auf jegliches fishing for sympathy und gibt bis zum Schluss den Kotzbrocken, dessen Ende man auch nicht so recht betrauern kann, obwohl man weiss, was am Ende der Reise auf ihn wartet.

 
 

 
 

Wie sich in der anschliessenden Gruppendiskussion zeigte, lässt der Film mehrere unterschiedliche Lesarten zu. Zunächst ermöglicht er den Fans von Hitchcocks suspense ein Baden in dergleichen, eine Atmosphäre einer schwebenden und sich verdichtenden Unheimlichkeit, ein Pendeln zwischen Wahngewissheit und verzweifeltem Haltsuchen im bereits schwächelnden Realitätsbezug. Hitchcock hätte uns vielleicht eine Lösung, einen Täter oder zumindest irgendeine Form von showdown serviert (oder auch nicht, bei den Vögeln hat er auch darauf verzichtet, er konnte sich das leisten). Losey dagegen lässt uns hier nach einem spannenden pas de deux der Identitäten mit einer unaufgelösten Situation im Regen stehen und sorgt dafür, dass das Kopfkino noch eine Weile weiterläuft und eine „gute Gestalt“ im Sinne der Gestaltpsychologie finden möchte, hier in Form einer stimmigen Erklärung, unter der man das Ganze abheften könnte, damit es nicht unpassend und sperrig irgendwo im Neocortex herumliegt.

Erfahrungsgemäss lernt man dabei aber mehr über sich selbst, als wenn man erfahren hätte, wer der Mörder war oder warum die missgestimmten Vögel in Bodega Bay kollektiv durchdrehen oder wie die Hexe von Blair denn nun wirklich aussieht. Das open end verlieh dem Film seinerzeit Kultstatus (The Blair Witch – Project, 1999). Und ganze Generationen haben sich damit beschäftigt, ob sich Scarlett O’Hara und Rhett Butler nochmal kriegen werden, bis die entsprechenden Sequels dann noch geschrieben und abgedreht wurden und Ruhe einkehrte. Da kriegten die sich dann natürlich – aber es waren nicht mehr dieselben und die Präsenz der ursprünglichen Darsteller bekamen diese No-Names schon mal gar nicht auf die Kette. Aber Beruhigung hat auch was Unkreatives.

Oder haben wir es hier mit einem paranoiden Vexierspiel zu tun, dem Zurschaustellen eines inneren Prozesses, in dem ein unbeachteter Persönlichkeitsanteil an die Oberfläche drängt, das Persönlichkeitsgefüge bedroht und Bestrafungsangst erzeugt? Ein weiterer M.K. als der den wir gerade kennenlernten? Ein Hinweis dazu ergibt sich bei der Wohnungsbesichtigung, als K. angelegentlich mit einem herumliegenden Rasiermesser spielt und die Vermieterin in Angst versetzt. Auch das würde man ihm zutrauen. Is anybody here oder sind wir noch sicher?

Oder anders: Eine Symbolisierung des Andrängens des Faschismus in eine bisher bürgerlich-gesettelte Gesellschaft und ihre scheinbar festgefügte zivilisierte Identität, ähnlich den Brandstiftern, die ungehindert bei Biedermann eindringen und sich festsetzen und Biedermann immer noch arglos ist, obwohl schon die Hütte brennt? Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand? Max Frisch liebte auch solche Geschichten, in denen sich bisher Unbekanntes ins Leben drängt, zum Guten wie zum Bösen.

Oder noch anders: Das Ganze eine kafkaeske Parabel über anonyme Mächte und Unentrinnbarkeit als schicksalhafte Gegebenheit der menschlichen Existenz wie in „Der Prozess“ – auch hier ein Herr K., nur dass er Joseph heisst.

Beckett zeigte uns das Warten auf Godot, hier sehen wir, wie es sich anfühlt, wenn er kommt – auf eine sadistisch-verlangsamte, fast geniesserische Weise ins Leben einsickert. Beckett hätte sich im Kino sicher gefreut und seine pessimistische Sicht der Gegebenheiten des Lebens, in die der Mensch geworfen wird, in ihrer Absolutheit bestätigt gesehen.

Kafka hätte fingerschnipsend „Genauso isses!“ gesagt.

Camus hätte die Absurdität des Lebens entdeckt in einer Situation, in der man den Verfolger verfolgt und im Endeffekt das erreicht, was man verzweifelt zu vermeiden sucht, dergleichen „Blödsinn des Lebens“ war genau seine Kragenweite.

Sartre, der mit Begrenzungen nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte und wollte, hätte sich vermutlich an die Stirn getippt und noch einen Pernod bestellt, je nach Tageszeit ein paar uppers oder downers eingeworfen und das Ganze wiederholt, bis ihm schliesslich sein Körper bewies, dass man um Begrenzungen in diesem Leben halt doch nicht so einfach herumkommt und das existenzialistische Herzstück „Sich-immer -neu-in-die-Zukunft-entwerfen“ als Menschenbild irgendwann auch einmal ein Ende hat, wenn der Körper und der Sensenmann gemeinsam und reichlich verfrüht etwas anderes beschliessen. Is anybody here?

Weite Wege und Umwege gehen die Gedanken bei diesem Film, er öffnet Gedankenräume, anstatt ein stringentes Narrativ zu erzählen. Das ist das Beste, was man über einen Film sagen kann.

 

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3 Comments

  1. Jörg R.:

    Wir hatten den Film ja vor vielen Jahren in der Filmgruppe, für mich hatte er damals zu Anfang die Anmutung eines Krimis. Die Diskussion war danach sehr düster wie ich mich erinnere, wir waren sehr schnell mittem im Holocaust. Jetzt sehe ich hier doch auch allgemeinere Perspektiven. Wie geht man mit etwas um das einem sein Leben lang nachschleicht?

  2. Ursula Mayr:

    Wenn man die Sache aus der Holocaustarchitektur mal heraushebt ergeben sich durchaus existenzielle Fragen. M.E. der beste Film von Losey.

  3. Anonymous:

    Ich schätzte immer seine Hintergründigkeit. Das hat Hitchcockniveau.

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