Schülerrevolutionen im Film sind ein beliebtes Genre, bereits 1944 machte die „Feuerzangenbowle“ im deutschen Kino mit Heinz Rühmann (nach der wohlweislichen Trennung von seiner jüdischen Frau) Furore. Die 1917 gegründete Filmgesellschaft UFA produzierte während der Kriegszeit Propagandafilme und anderweitige Machwerke, die sich weniger mit aktueller Realität beschäftigten, sondern vielmehr damit diese zu verleugnen und mit gefilmten Idyllen kompensatorisch auf das traumatisierte Volk einzuwirken; die Feuerzangenbowle ist nur ein Export von mehreren dieser Traumfabrik.
1944 hatte Deutschland mit der Schwächung der Ostfront und der Eröffnung der Westfront zwei schwere Niederlagen erlitten, nach der Invasion der Alliierten in der Normandie liess sich eigentlich nicht mehr verleugnen, dass der Krieg verloren war. Trotzdem bestanden noch Erwartung an den Endsieg und Hitlers Wunderraketen V1 und V2, die sich als Rohrkrepierer erwiesen.
Dieser Film – ein Reigen um tapsige bis pfiffige Schüler und schrullig-liebenswerte Lehrer – setzte hier ein Gegengewicht. Im Gewebe eines Filmes finden wir immer Unterströmungen, ich nenne sie substreams, die subliminale Botschaften transportieren, wenn man sie zu lesen weiss.
Ein solcher beliebter Basis- Substream ist das Heraufbeschwören und Feiern eines Mythos – hier der der alten gutbürgerlichen Burschenherrlichkeit mit deutscher Sangeslust, Wipfelrauschen und jugendlicher Unbeschwertheit jenseits von Pflicht und Verantwortung im Alt-Heidelberg-Dekor.
Der Film zeigt die zeitliche und topische Regression eines erwachsenen Mannes in diese Adoleszentenwelt mit ihrer spezifischen Kleinbürgerromantik und ihren Vergnügungen, eine entspannende und anheimelnde Szenerie, in der immer alles im Rahmen bleibt – kleine Revöltchen gegen verzopfte Lehrer mit Minimalgrenzüberschreitungen.
Der Figuren-Substream dieser Zeit liefert das zugehörige Männerbild – junge wie alte Männer sind hier bis weit in die Nachkriegszeit hinein neben den aufrechten Helden Clowns, Lausbuben, Hanswurste, schusselige Alte und anderweitige Knallchargen, die vergessen lassen sollten, wozu Männer in Kriegszeiten imstande waren – Frauen natürlich auch, wenn man sie nur an die entsprechenden Ämter und Positionen heranliess und nicht an den Herd zurückscheuchte. Seht doch, wie harmlos und lustig wir sind, ihr könnt uns unmöglich zutrauen, dass wir gemordet haben – wir sind noch nicht mal sexy, nicht mal das … oder kann sich jemand Heinz Rühmann, Heinz Erhardt, Gunther Philipp oder Peter Alexander im Bett vorstellen, ohne dass es abtörnend wirkt? Ich schaff’s noch nicht mal bei Freddy Quinn und der sah doch wirklich wenigstens noch gut aus.
Der handlungsvorantreibende substream ist das Motiv des „Trumpfs im Ärmel“: Hans Pfeiffer mit 3 „f“ trägt den Trumpf seiner wohlbestallten Erwachsenenexistenz und bereits etablierten Karriere bis zum Ende des Films mit sich herum, der Zuschauer ist eingeweiht und fiebert als Besserwissender – eine wohltuende Position in einer Zeit der existenziellen Ungewissheit – dem Ende entgegen, in dem Pfeiffer seinen Einkommensteuerbescheid auf das Katheder klatscht und die Lehrerschaft aus allen Wolken fällt. Und Angst bekommt, der Eindringling könnte etwa ein Buch über sie schreiben – oder „einen onanständigen Felm“ drehen.
Das ist der Triumph des von Autoritäten gebeutelten Bürgers über die Mächtigen, ausgeübt von einem, der sich als noch mächtiger erweist oder dem das – andernfalls – egal sein kann, weil er nicht im Herrschaftsbereich der Autoritäten angesiedelt ist, sondern in einem ganz anderen sicheren Kontext agiert. Pfeiffers Geheimwaffe ist hier kein Rohrkrepierer, sie zündet wie erwartet und der phallische Männertriumph kommt noch als Zuschlag obendrauf: Er darf die Tochter des Direktors ehelichen, die ihre bisherige individuelle Identität sofort aufgibt und dem Papa gleich mitteilt dass „wir Schriftsteller werden wollen“. Sieg auf der ganzen Linie und ein bemerkenswerter Zurückpfiff für die Frauen in einer Zeit, in der sie gerade lernten, in einer weitgehend männerfreien Alltagswelt allein zu überleben und auch noch die Kinder durch die Notzeit hindurchzufüttern. Und es ist die Angst der Mächtigen vor Aufdeckung ihrer Mickrigkeit.
Das alles dürfen wir identifikatorisch mitgeniessen.
Oft lohnt es sich auch, einen Film als Negativ eines Fotos zu betrachten, das heisst: das Augenmerk zu legen auf das Nicht-Gesehene, Nicht-Gesagte, Nicht-Stattfindende, das Verdrängte und Verleugnete, die Umkehrung von Hell und Dunkel. Was wird verschwiegen?
Die Feuerzangenbowle spielt in einer Schule aber es gibt keine Kinder; die Schülerinnen und Schüler sind erwachsene Männer und Frauen, die Indexrollen wurden mit bewährten Schauspielern besetzt – das gibt dem Film zunächst eine Anmutung von Maskenball und mag äusseren Umständen geschuldet sein – nach dem Zusammenbruch des Schulwesens 1944 wurden die Jungen und Mädchen zu „kriegswichtigen“ Arbeiten eingesetzt beziehungsweise die Hitlerjugend in den Volkssturm integriert, da mag es an Statisten gemangelt haben.
Kinder erfüllten die Aufgaben von Erwachsenen in der Realwelt, Erwachsene in der Traumwelt spielten Schule. Das war es, was mir bei diesem Film immer die Schuhe auszog: Die Auslöschung von Kindern und Kindseindürfen, das verkrampfte Kindlichsein der Schauspieler, die gespielte Naivität und Unschuld, die kleinen Schülergemeinheiten, die durch die Besetzung mit Erwachsenen beklemmend wirkten. Für Kindheit war kein Platz in dieser Zeit, Kinder wurden rasch in den entsprechenden Verbänden sozialisiert, funktionalisiert und programmiert und agierten von da ab ziemlich ferngesteuert, um zu Kriegsende in ein gewaltiges Loch zu fallen, als sie ihre Ideale entthront sahen, weil alles auf reset geschaltet wurde. Das sind für mich die Konnotationen zur Feuerzangenbowle – ein unheimliches und beklemmendes Schmonzettchen-Biedermanns Welt, in der die Lunte schon ziemlich weit heruntergebrannt ist.
Dazu passend am Ende noch der Appell von Hans Pfeiffer – nun wieder im Status von relativem Erwachsensein:
Kommando zurück, alles war nur ein Traum, ein Spiel der Phantasie, gibt’s eigentlich eh alles nicht – also bescheidet Euch, es gibt nicht mehr. Aber behaltet Eure Traumwelten, Ihr werdet sie noch brauchen. Und der Regen, er regnet jeglichen Tag.
Und das Interessante dabei ist, dass dieses Filmstrickmuster noch bis in die Siebzigerjahre beibehalten wurde – demnächst in diesem Theater.