Es ist immer das Gleiche. Wenn man viel erwartet, wird man meist bitterlich enttäuscht und wenn man nichts erwartet, ist eine positive Überraschung fast schon vorprogrammiert. So mal wieder geschehen gestern Abend in der Philharmonie in Berlin. Brian Eno was there mit dem Baltic Sea Philharmonic und sie spielten The Ship plus 5 Songs. Sie ließen das Publikum gut 20 Minuten warten, es lag wohl an der langen Gästeliste, die dafür sorgte, dass der Konzertsaal am Ende doch recht gut gefüllt war.
Die Querflötistin führte das Orchester mit hypnotischen Tönen an wie die Rattenfängerin von Hameln. Ganz langsam kamen die Musiker auf die Bühne und spielten bereits beim Einzug. Alle fanden ihren Platz und es hörte sich nun für eine lange Zeit so an, als würden sie ihre Instrumente stimmen ähnlich wie bei indischen Ragas. Es erinnerte mich auch etwas an die beiden Konzerte von Julia Holter, denen ich beiwohnen durfte. In dieser „Stimmphase“, die auch leicht ins improvisiert Freejazzige abzugleiten schien, gab es wunderbare Dissonanzen, z.B. von den Geigen, es war alles möglich zu diesem Zeitpunkt, eine völlige Freiheit lag in der Luft. Der Sprechgesang von Eno und noch mehr anschließend der vom „Chor“ war relativ stark im Hintergrund, was gut so war. Ein flirrender Klangteppich breitete sich vor uns aus. Die Musik schwoll nun dauernd an und ab, ich bin mir nicht sicher, ist das typisch für den späten Eno? Es gab ein wunderschönes Crescendo – Godspeed YBE! ließen grüßen – das in einen akustischen Orgasmus mündete, wo alle Instrumente die volle Lautstärke spielten – insbes. die Blechbläser und natürlich das Becken – und die Bühne zu lodern schien, Hut ab vor der Lichtshow. Also ich muss sagen diese orchestrale organische Live-Interpretation mit einer unglaublichen Energieintensität im Moment des Höhepunkts hat mich ziemlich gepackt. Auf Platte ist The Ship für mich ein eher langweiliges Ambientgewaber.
Dann kam I’m Set Free, für mich der Höhepunkt des Abends, da ich nicht wusste, dass es das letzte Stück von The Ship ist. Und die Orchesterversion wunderbar stimmig war. Brian sang hier mit voller Inbrunst und völlig befreit, man hörte nicht, dass er erkältet war. Zu diesem Lied vom selbstbetitelten dritten Velvet Underground-Album muss man wissen, dass Brian Eno damals einer der wenigen war, die die erste Platte von Lou Reed und Band kauften, die dann angeblich alle später eine eigene Gruppe – nämlich er mit Bryan Ferry Roxy Music – gründeten.
Es ging weiter mit By this River, wo die perlenden Klänge der Harfe das Fließen der Werra Weser heraufbeschwörten. Außerdem gab es schöne Wassereffekte bzw. Rudergeräusche, vielleicht DAS eine unsterbliche Lied von ihm. Es endete mit vier moderneren Stücken, bis auf die von Eno bei sich zuhause aufgenommenen Vogelstimmmen nicht so mein cup of tea, teilweise an der Grenze zum Kitsch (insbes. das letzte Stück There Were Bells), auch die Stimmverfremdung für meine Begriffe Kokolores, aber das waren Kleinigkeiten, insgesamt ein sehr gutes Konzert.
P.S. Auch sehr schön, ich habe endlich den ersten Manafonisten livehaftig kennengelernt! :-)