Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2012 14 März

Time being – Zeit erfahren

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  | Comments off

„Hui!“, beziehungsweise „Buh!“ – ein Gespenst geht um. Es ist der Geist des retro.

Nach dem metrosexuellen Mann nun also der retrokulturelle Rezipient. Leicht lässt er sich erkennen: er ist vergangenheitsbehaftet und flüchtet sich ins Illusionäre. Kauft sich wieder einen Plattenspieler, möbelt alte Möbel auf, fährt in Urlaub dorthin, wo er früher schonmal war. Ach wie war das damals schön, und überhaupt: Musik der Siebziger und Achziger; vorzugsweise alte Filme, möglichst in Schwarzweiß.

Doch Rückbezogenheit ist wichtig, denn wir können nur erkennen, was wir längst wissen. Ohne die Relation zwischen unmittelbaren Sinneseindrücken und vergangenen Erfahrungen (Konditionierungen) bliebe unser Leben ohne Rahmen. Und wer etwa zu Musik und Kunst Zugang haben will, dem blieben ohne Geschichtskenntnisse die Türen verschlossen. „History will teach us nothing“ – das sang einst Sting, der damit irrte.

Geschichte ist das Eine. Das Andere ist die Einbildungskraft. Dieses Amalgam aus Tradition und Phantasie erscheint mir sehr erfolgsversprechend. Rückblickend kann man sagen, das sowohl politisch als auch kulturell das Neue immer auch eine Reaktion auf Vorheriges war. Ist dies banal und kaum der Rede wert?

Time is Now hieß eine Gruppe der Göttinger Jazz-Ikone Gunter Hampel; Time Being war Musik vom Peter Erskine Trio; Entspannt im Hier und Jetzt sein ist ein Garant fürs Glück. „There is no time“, behauptete ein Guru unbekannter Herkunft; Schlagzeuger Paul Motian fragte beim Blick auf ein neues Notenblatt zuallererst: „Is it in time?“

In einem Thriller (ich vermeide das Wort „Krimi“), der auf einem Campus spielte, war eine Kommissarin, die unter Zählzwang litt. Aber Zählzwang ist nicht nur Neurose, sondern vielmehr: Rhythmus, Ritual, Methode. Alles, was man tut, in Takte packen – die geniale Lösung! Packen wir es an, dann geht kein Ruck durchs Land, wie es einst Roman Herzog wünschte, sondern ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss. So wie es Billy Wilder meinte: „Eins, Zwei, Drei.“
 

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