Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 20 Jun

„Open your eyes, you can fly“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: , | 21 Comments

 

 

Ich habe mich dann im Vorfeld allerdings schon gefragt, wieso Manfred Eicher ausgerechnet dieses Album von Gary Burton ausgewählt hat, und nicht eines der anderen Alben des Vibraphonisten aus den wilden Siebzigern. Etwa „Crystal Silence“. Oder „Hotel Hello“. Oder (viele kennen es nicht) „Matchbook“. Oder oder. Alben, die also von der Duo-Konstellation betrachtet, formell gewagter waren. Chick kam die Idee eines Duos mit Gary eher abwegig vor und musste von Manfred überzeugt, vielleicht gar überredet werden. (Der kommerzielle Erfolg verwunderte alle!) Und da waren noch die Arbeiten mit Eberhard Weber in der Gruppe. Oder die Sache mit dem Streichensemble.

1973, im Jahr meines Abiturs, kaufte ich mir „The New Quartet“, und es war die erste ECM-Band überhaupt, die ich damals live sah, in einer grossen Aula in Unna. Wir sassen recht weit hinten, links von der Mitte, rechts neben mir Christoph Sondern, links das schönste Mädel von Dortmund-Körne, Ulrike Ullmann, sie duftete zauberhaft, ohne jedes Parfum. Sei es drum. In der Erinnerung hat sich „The New Quartet“ als sehr lebendiges und nicht unbedingt bahnbrechendes Werk eingerichtet, zu dem ich, ohne diese Neuausgabe, kaum je zurückgekehrt wäre. It has had its time, dachte ich mir. Beim Wiederhören erlebte ich nun eine dezente Überraschung, nicht leicht in Worte zu fassen.

Die Erinnerung trog zwar nicht, die acht Kompositionen sind und bleiben sehr lebendig und keineswegs bahnbrechend, aber, grosse Frage, wieso versenke ich mich nun wieder und wieder und wieder in die Musik? Um nicht allzu grossen Blödsinn zu erzählen, hätte auch ein einziger Durchlauf gereicht. Legt der Titel eine Spur? Ich telefonierte vor zwei Stunden mit Jo, und wir suchten gerade nach dem „Flow des Tages“, spielten diverse Ideen durch. Meinen Flow (ich nenne ihn mal spielerisch, und weil es ein besonderer Flow ist, FlowFlow) habe ich gefunden. Übrigens, die drei Platten oberhalb des Drehers, alles Fünf-Sterne-Platten! 

 

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21 Comments

  1. Jochen:

    open you ears, you can fly.

  2. Michael Engelbrecht:

    Ja, schon als 18 Jähriger erwischte mich die Euhorie dieses Auftaktstückes, und das Empfinden des Fliegens!

    Gary ist ein Virtuose, der über die Virtuosität hinwegspielt, statt sie zu demonstrieren, e i n Betriebsgeheimnis dieser Platte.

    Hast
    Du, Jo,
    Eine Gary Burton
    Lieblingsplatte?

    Das, was du bei Julian Lage zuweilen erlebst passierte mir beim Wiederentdecken dieser Platte. Aber es ist eben nicht nur Gary.

    Gary is a virtuoso who plays over virtuosity rather than demonstrating it, a trade secret of this record, thus he makes us forget virtuosity. And skill.

  3. Jochen:

    Ich muss dich enttäuschen – Gary Burton wusste ich nie „richtig“ zu schätzen, vielleicht ist das Vibrafon auch nicht mein Instrument, zu schwebend, obwohl … Gunter Hampel, da erreichte es mich schon.

    Man muss den richtigen Zeitpunkt erwischen, damit etwas zündet. Julian Lage ging gestern abend rein wie noch nie. Und dann das Trio-Zusammenspiel. Kenny Wollesen on drums ist eine Sensation.

    „Da musst du mitgehn, rangehn, rangehn, sonst ist alles zu spät …“ (Nina Hagen)

  4. Michael Engelbrecht:

    Haha, das ist keine Enttäuschung. Was beim einem funzt, das rumpelt beim nächsten müde durchs Ohr. Allerdings gibt es einen Trick, im richtigen Moment den zweiten Versuch! Für mich ist Hampel auch ein Schwebekünstler, eine andere Art des Schwebens.

    Die wunderbare japanische Vibraphonistin Taiko Saito sang mir, im Interview zu den letzten JazzFacts, das Loblied auf Crystal Silence. Mein heimlicher Favorit war bislang Matchbook, nur Burton und Towner.

  5. Jochen:

    Der zweite Versuch – auf alle Fälle!

    Never say never … ;)

  6. Taiko Saito:

    Konnichiwa!

    Ich erhielt neulich den Jazzpreis Berlin 2023 vom RBB und dem Berliner Senat. Ohne Ihre nette Freundschaft und herzliche Unterstützung hätte ich auf keinen Fall den Preis bekommen können. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

    Aus diesem Anlass gibt es ein Konzert mit RBB Live Übertragung am Mo. 03.07.2023 um 20 Uhr im RBB Studio 14, Masurenallee 20
    14057 Berlin

    Ich spiele mit

    Niko Meinhold (p)
    Moritz Baumgärtner (dr)
    Julius Apriadi (marimba)
    Maria Schneider (marimba)
    Arthur Hermann (marimba)

    Einlass um 18.30
    Konzert & Interview usw beginnt um 20.03 Uhr bis 21.30 Uhr.

    Eintritt ist frei.

  7. Michael Engelbrecht:

    Im Rausch von Marimba und Vibraphon.🌈😉

    Heute wartete ich vergebens auf kühlenden Gewitterregen…

    Da taten mir all diese Schwebungen sooo gut.

    Mick Goodrick ist sooo ein famoser Gitarrist.

  8. Olaf Westfeld:

    Fire! Orchestra sind jedenfalls ziemlich heavy bei diesem drückendem Wetter – vielleicht probiere ich es nachher auch mal mit Matchbook oder so … ich kaufe die Gary Burton Alben immer ganz gerne, wenn ich sie gebraucht sehe, höre die auch gerne – aber irgendwie ist da kein echtes Lieblingsalbum dabei. Richtig gut sind die schon.

  9. Michael Engelbrecht:

    Crystal Silence wurde ja in dem tollen Film Diva nur geklaut und nicht gespielt, aber wenn ich an die Szene denke, wo der Extravagante das Brot in Zen-Manier schneidet, schweben die Sounds von Gary und Chick in meiner Fantasie durch das feine Pariser Wohnzimmer …

  10. Michael Engelbrecht:

    Double Image
    Dawn

    David Samuels vibraharp, marimba
    David Friedman vibraharp, marimba
    Harvie Swartz bass
    Michael DiPasqua drums, percussion
    Recorded October 1978 at Talent Studio, Oslo
    Engineer: Jan Erik Kongshaug
    Produced by Manfred Eicher

    Another quiet burner from the vibra marimba world. You need dead quiet vinyl or high res files.

  11. Alex:

    Jetzt musst Du mir Banausen noch sagen, welche drei Alben dass da über dem Turntable sind, Michael. Das rechte Cover habe ich schon mal gesehen. Mindestens fünf Sterne kriegt das Album, dessen Cover auf dem Poster abgebildet ist. Das letzte wirklich große von ihm. Gary Burton mag ich, definitiv. Crystal Silence – vor allem das Titelstück – ist ganz wunderbar, Chick Corea auf der Höhe seines Schaffens, würde ich sagen.

  12. Michael Engelbrecht:

    Wir haben interessante Übereinstmmungen, und Differenzen:)

    ER hat noch viele grosse Alben gemacht imo.

    Links THE BIBLE von Lambchop.
    In der Mitte OLD AND NEW DREAMS von Don Cherry und Co.
    Rechts PARADIGM – VOICE FROM THE PAST. Von Gary Peacock mit Jan Garbarek, Tomasz Stanko und Jack DeJohnette.

  13. Alex:

    Bei Crystal Silence dachte ich gerade für eine Sekunde, der Pianist wäre Keith Jarrett. Ohne das Stöhnen. Dieser federleichte Anschlag. Er kitzelt die Tasten. Wie das perlt. Und wie das Vibraphon dazu harmoniert. Unglaublich!

  14. Alex:

    Ach Lambchop, ich habe sie irgendwann etwas aus den Augen verloren. Ein paar Alben nach Is a Woman, das mich damals umgeworfen hat. Wie auch die Konzerte, als sie Nixon tourten. Bei ihnen sah man auf der Bühne sofort, wie sie die Musik liebten, die sie live spielten. Die Sache mit dem Autotunes hat mich von ihnen entfremdet, glaube ich. Wobei seine krächzende Stimme, ja eigentlich nur gewinnen kann. Ich glaube, ich habe sie nie wegen sondern trotz seiner Stimme geliebt. Ich höre gerade in The Bible rein und es hat etwas, definitiv. Excellent stuff, thanks!

  15. Michael E.:

    Die Konzerte, die Begegnungen mit Kurt Wagner, immerzu herzlich und berührend. Ich habe nachts seit HOW I QUIT SMOKING jedes Album von Lambchop gespielt, wenn du hier unter SUCHEN Lambchop angibts, gibts viel Stoff…

    Der Vorgänger, SHOWTUNES war mein Album des Jahres, in dem es rauskam, nicht so lange her:)

    1. Lambchop: Showtunes (teilt sich eigentlich den Platz mit Floating Points)

    Ein Wunderwerk, und wenn ich die gute halbe Stunde höre, etwa auf weissem Vinyl mit 45 Umdrehungen pro Minute, gibt es keinen überflüssigen Moment – all diese Samples, akustischen Vignetten, dunklen Winkel, Midi-Verwandlungen, Murmelmelodien etc. fesseln und entfesseln ohne Ende. Von den lyrics und dem Hund auf dem Cover ganz zu schweigen. Verwegen, wie Kurt Wagner Motive des Erhabenen (Oper, Broadway, Sinatra) in eine erfüllte Leere laufen lässt.

    „Maybe I’ll break into the movies /
    Become a star upon the screen /
    And blow a kiss to a song.“

    Flüchtig gehört, könnte „Showtunes“ arg fragmentiert wirken (ein wildes Puzzle verlorener Momente aus verlorener Zeit), dabei ist es formvollendet. Man stelle es ins Plattentegal neben „Mark Hollis“, „Trio Tapestry“ (das erste Album), „The Marble Index“, „Open, to Love“, „Nerve Net“, „I Trawl The Megahertz“, „Music For A New Society“, „You Want It Darker“, und Jacques Brels letztem Studioalbum, das mit den Wolken und dem blauen Himmel. In genau diesen Regionen bewegt es sich, und bleibt doch ganz bei sich. „It‘s so hard / the air has second thoughts.“

    2. Floating Points w/ Pharoah Sanders and The LSO: Promises

    (…)

  16. Alex:

    The Marble Index? Das ist harter Tobak, genauso wie ich in diesem Leben keinen weiteren Marathon mehr laufen werde, so werde ich sicherlich dieses Album nicht noch einmal hören. Das fällt für mich unter bad vibes. Music for a New Society hingegen liebe ich. Auch die Theatralik. Ich habe ihn damals auf der Tour gesehen. Ich glaube in Bochum in der Zeche. Mark Hollis ist sehr spröde, aber ich bin mir sicher, dass es sich irgendwann öffnen wird, momentan ist es für mich noch eine Miesmuschel, die nicht aufgehen will. Du meinst Les Marquises von Brel? Eine Inselplatte, im wahrsten Sinne des Wortes.

  17. Michael Engelbrecht:

    Also, noir mässig, liegen music for a new society und the marble index nah beieinander, imo. Das dunkelste Opus von John. Und einen guten Draht zu Nico hatte er bis zum Ende. Wie kommst du denn in meine alte Nachbarschaft, in die Zeche nach Bochum, da war ich auch, auf einem Cale Konzert, und bei Nico.

    Eine Miesmuschel, haha!

    Ja, ich glaube, Les Marquises.

  18. Alex:

    Ganz einfach, ich komme ursprünglich aus Moers. Ich glaube schon, dass „The Marble Index“ und „Music for a New Society“ verschiedene Schattierungen von schwarz sind. Produktionstechnisch sind die beiden Alben auch etwas ganz anderes. Das eine ziemlich minimalistisch, das andere eher opulent. Mich zieht Nico insbes. auf diesem Album doch sehr runter, während ich dem Cale-Album ziemlich fasziniert lausche.

  19. Michael Engelbrecht:

    Das ist halt immer interessant, was das und das bei dem und der auslöst. Umd explizit sage ich nicht, dass das mit der Qualität zu tun hat.

    Su liesbt zB den Fado von Madredeus, damit kann man mich jagen, ich würde aber nie Fado runtermachen. Die vibes des Fado sind einfach nichts für mich… obwohl erhebende Melancholie etwas ist, das mir normal sehr gut bekommt:)

    Marble und Society empfinde ich beide als minimal, gar als Zwillingsalben.

  20. Lajla:

    Die Ausstellung klingt interessant. Ich würde mitgehen.

    @ Michael. Ian ist noch in der Urlaubsplanung. Das müssen wir abwarten.

  21. Alex:

    Kann das sein, dass das mit dem Antworten auf Kommentare anderer nicht so richtig klappt hier? Ich sehe meine Antwort auf Lajla nicht, auf die Du Dich da gerade beziehst, Lajla. Also hier nochmal für alle:

    Das ist theoretisch möglich, Lajla, wobei ich viel zu selten dort war.
    Was das Programm im Oktober angeht, so gibt es im Humboldtforum eine Ausstellung über den Tod, die neben Objekten auch Selbsterfahrungsmöglichkeiten bietet. Da möchte ich auf jeden Fall hingehen. Es gibt auch einstündige Führungen um 11 und um 15 Uhr. Wäre das nicht auch etwas für die Gruppe? Ich erinnere mich an einen Betriebsausflug, wo wir im Dialogmuseum in Frankfurt von Blinden durch die Dunkelheit geführt wurden. Eine ziemlich bewußtseinserweiternde Erfahrung. Da waren plötzlich die Sehenden die Blinden und die Blinden die „Sehenden“. https://www.humboldtforum.org/de/programm/laufzeitangebot/ausstellung/un_endlich-leben-mit-dem-tod-70155/


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