Das Ehepaar Oto und Yusuke Kafuku pflegt ein bemerkenswertes Sexritual. Während die Beiden noch matt und beglückt beieinander liegen, erzählt Oto ihrem Mann Bruchstücke skurriler Geschichten von mehr oder weniger subtil erotischer Art. Yusuke hakt nach, fragt weiter, entwickelt mit Oto einen Handlungsstrang. Es ist kein Spiel, es ist Teil von Otos Beruf als Drehbuchautorin beim Fernsehen. Als Schauspieler und Regisseur ist auch Yusuke vom Fach. Es sind die erfüllten Stunden einer Beziehung, die schon fast ein Vierteljahrhundert währt. Doch es gibt eine geheime Gewohnheit von Oto, die Yusuke durch Zufall entdeckt, und es gelingt ihm nicht, mit ihr darüber zu sprechen. Ryūsuke Hamaguchis Film Drive my Car kam 2021 ins Kino, er basiert auf zwei Kurzgeschichten aus Haruki Murakamis Buch Von Männern, die keine Frauen haben (Drive my car und Scheherazade). Der Film entfernt sich deutlich von der literarischen Inspiration und transportiert mehr an japanischer Tradition: kleine religiöse Handlungen, die Kraft, die ein Schweigen hervorbringt, und nicht zuletzt die tranceartige, meditative Stimmung während langer Autofahrten, über komplizierte Autobahnkreuze von Metropolen, die Küste entlang, durch unbeleuchtete Landschaften Richtung Norden, durch endlos scheinende Tunnel, denen weitere Tunnel folgen, bis der Schnee in der Sonne glitzert. Das Unterwegssein in einem mattroten Saab 900 turbo hat hier geradezu therapeutische Qualität. Die Intimität, die darin liegt, jemandem den Ort zu zeigen, an der man aufgewachsen ist, setzt etwas in Bewegung und es entsteht ein Moment ikonischer Qualität. Zwei Menschen, die im Nichtraucherauto sitzen, haben ihre Zigaretten angezündet und halten sie aus dem geöffneten Schiebedach nach oben, wo die Glut sich einfügt in verschwommene Lichter der Nacht.
Erst nach 35 Minuten läuft in diesem dreistündigen Film der Vorspann, nach einem Zeitsprung bildet im zweiten Teil eine bemerkenswerte Inszenierung von Tschechows Onkel Wanja einen Schwerpunkt. Wenn ich mir auch manche erklärenden Dialoge etwas knapper gewünscht hätte (hier schien man sich an der russischen Tradition des Erzählens zu orientieren), hat mich die Glaubwürdigkeit der Charaktere in Drive my car vollkommen überzeugt. Die Performance der Figur der Sonja im Theaterstück bringt nochmal eine andere Nuance der Rezeption ein: Die Schauspielerin drückt sich durch koreanische Gebärdensprache aus. Und noch eine Geste, die ich in diesem Film zum ersten Mal sah: Eine brennende Zigarette in eine kleine Fläche Eiswasser hineinzustecken, als wäre es ein Räucherstäbchen. Ein Abschiedsritual.