Roger Eno spielte im „Silent Green“, einem ehemaligen Krematorium, das seit ein paar Jahren als Ort für viele, teils sehr unterschiedliche Veranstaltungen genutzt wird. Das JazzFest fand in einem Jahr (einem Umbaujahr des Hauses der Berliner Festspiele) hier statt, das Avantgarde-Elektronik-Label Raster nutzte die große Betonhalle für ein Wochenende überaus eindrücklicher Konzerte zum 25. Labeljubiläum (spektakulär Franck Vigroux‘ Atotal-Perfomance), eine Jubiläumsveranstaltung mit Michael Rother und Gästen, die Transmediale mit Ausstellungen und einer Irmin-Schmidt-Filmpremiere oder auch eine Wiederaufführung von Béla Tarrs siebeneinhalbstündigem Filmklassiker Sátántango mit neuer Musik von verschiedenen zeitgenössischen experimentierfreudigen Musiker/innen … und viele weitere nationale und internationale Musikprojekte zwischen den Stühlen und mit speziellen Programmen und Projekten kann dort regelmäßig erleben – Irreversible Entanglements, Blixa Bargeld und Teho Teardo mit Streichern, Michael Gira mit Gästen, Lankum, Xiu Xiu und einiges mehr.
Die Konzertankündigung von Enos Programm mit Stücken seiner Deutsche-Grammophon-Alben hatte ich als Darbietung mit Klavier und Streichern gelesen; geboten wurde allerdings ein Solo-Piano-Abend. Roger spielte ineinander übergehend zahlreiche Stücke aus seiner langen Karriere, von ganz alten Stücken aus dem Jahr 1983 bis zu noch unveröffentlichten, die er nächste Woche im Studio in Berlin (wieder für DG) einspielen wird. Dabei saß er fast im Dunkeln, begleitet von einer Videoprojektion. Oder vielleicht darf man auch sagen: Er begleitete den über ihm projizierten „Film“. So erläuterte er es immerhin selbst. Und beim Spielen schaute er durchweg auf die Leinwand. Zusätzlich hat er sich beim Soundcheck einen Spiegel auf die andere Seite der geschlossenen Flügels stellen lassen, um eine Nackenverspannung beim stetigen Hoch- und Nach-Hinten-Schauen zu vermeiden, wie er nicht ohne Humor sagte. Letztlich schaute er während des Auftritts dann doch immer nach oben.
Als er die Bühne zum Konzert betritt, eine Flasche Bier in der Hand, erläutert er erst einmal, dass sich bitte niemand mit Husten zurückhalten solle. Er höre nämlich viele klassische Aufnahmen, auf denen Leute im Publikum ewig zur Hustenvermeidung röcheln würden (wie er eindrucksvoll imitierte). Bitte also ordentlich husten. Gerne auch direkt aufspringen und „Here I come!“ ausrufen. Und falls man zwischendurch zur Toilette wolle, es seien mit Sicherheit Angestellte im Saal, die wüssten, wo man hinzugehen habe. Ob sich die Gäste vielleicht doch noch schnell auch ein Bier holen wollten, fragt er, denn er werde nun für eine Weile sehr ruhige Klaviermusik spielen. Er habe Aufnahmen in der Gegend, in der er lebt, gesammelt und zu einem Film montiert, damit man was für Auge habe. Als „Film“ gehen die teils sehr stimmungsvollen Naturaufnahmen, alltäglichen Miniaturen und Fotos, sehr langsam ineinander überblendet, vielleicht dann doch nicht ganz durch, aber um die präsentierte Musik persönlich zu unterstreichen und dem Konzertbesucher in der Tat eine gute Blickrichtung fürs Auge und fürs Treibenlassen in oder vielmehr mit den Melodien zu bieten, ist die gut einstündige Projektion dennoch sehr wirkungsvoll.
Roger lässt es sich auch nicht nehmen, beim Spielen der Stücke mit durchweg abendlicher, wenn nicht gar nächtlicher Stimmung über einen Verspieler zu lachen, mit einer Hand sein Bier zu trinken und zwischendurch auch mal innezuhalten, um dem Publikum ein paar Erläuterungen zu den Bildern mitzugeben, sei es zu einer nebelverhangenen Landschaftsaufnahme nahe der englischen Küste oder zu einem wiederholt zu sehenden brennenden Klavier; dieses hatte er, seit er 15 war, also fast 50 Jahre lang, doch als es beim besten Willen nicht mehr zu stimmen war, musste er es vor einigen Wochen umbringen, und so verewigte er es in Form dieses Films beim Abbrennen und kann es nun weiter bei seinen Konzerten dabei haben.
Die vielen Stücke gingen fließend ineinander über und ergaben so eine durchgehende, lange Stimmung statt vieler kleiner Miniaturen. Nur selten konnte man Übergänge oder gar gesetzte Brüche ausmachen. Die Jahrzehnte verschwimmen in dieser langen musikalischen Lebensreise. Erst als zweite Zugabe gab er dann überraschender Weise einen alten, heiteren Jazzschlager – Accentuate the Positive (Arlen/Mercer, 1944) – zum Besten, den er, weiter klavierspielend, durchaus überzeugend sang (nicht ohne das Publikum vorher darauf einzustimmen, wir dürften uns glücklich schätzen, dass er kein Gesangsmikro auf der Bühne habe), bevor er sich mit „Let’s hope for a better world“ von der Bühne verabschiedete.
Vor dem Konzert habe ich mich ein wenig mit ihm unterhalten und versucht, ein paar gute Fotos zu machen (was nicht ganz einfach war, da er wirklich fast im Dunkeln spielte). Auf die ihm eigene, englisch humorvolle Weise erzählte er, dass er gerne mehr Konzerte mit seinem Bruder geben würde, doch der würde bekanntlich lieber ewig in seinem Studio basteln, er selbst hingegen habe mittlerweile große Freude am Spielen vor Publikum, nicht zuletzt auch durch den Erfolg, der ihm durch die Ehre, bei Deutsche Grammophon zu veröffentlichen, zuteil wurde. Das gemeinsame Album Mixing Colours – das erste, das gleichberechtigt mit seinem Bruder entstanden sei – halte er für einen künftigen(?) Klassiker, auf den man noch in ferner Zukunft als ganz besondere, nachhaltige Momentaufnahme der Corona-Zeit blicken werde.
Schade nur, dass die Konzerte mit Streichern nur in London stattfinden. Roger meinte zwar, er sei wenig glücklich über das, was in seinem Heimatland in den letzten Jahren so geschehe, es sei im Wesentlichen die küstennahe Landschaft seiner Heimatgegend, die ihn noch dort halte.