Gerade erschien [wie zuletzt lustigerweise wieder ein Jahr verspätet] die 50th Anniversary Edition von Honky Château, Elton Johns 1972er „Jump to the top“-Album. Beim Wiederhören (nicht, dass ich es besonders lange nicht gehört hätte…) begleiten mich die Details im neuen Beiheft – Fotos und Berichte von den Aufnahmen im Januar 1972. Gerade wenn man die Platte schon lange kennt, sind diese unveröffentlichten Fotos und Berichte sehr bereichernd und auch erhellend – und machen sehr lebendig, welchen Sprung dieser Moment in Elton Johns Biografie und Karriere bedeutete.
Auch nach über 50 Jahren ist Honky Château ein von vorne bis hinten ein famoses 5 star album. Und die „Session Demos“ der einzelnen Songs sowie die Berichte von den Sessions unterstreichen, wie rasant John und Texter Bernie Taupin diese zehn hervorragenden Songs in wenigen Tagen aus dem Ärmel schüttelten. Das als Aufnahmeort genutzte französische Château d’Hérouville (das den heiteren Albumtitel inspirierte) hatte da übrigens schon eine lange, interessante Geschichte hinter sich, von Balzac und Frederic Chopin bis zu Canned Heat und Grateful Dead.
Bekannt ist seither vor allem natürlich Rocket Man, und gerade auch die 50 Jahre lange Mainstream-Radiokarriere dieses Hits führt durchaus ein wenig in die Irre, wie vielseitig, rock’n’roll-lastig und humorvoll die Platte ist, weitgehend eingespielt von einem Quartett mit Piano, Bass, Gitarre und Schlagzeug – das erste Album von Eltons classic band, die im Wesentlichen bis heute so besteht.
Im Beiheft erfahre ich, dass Gitarrist Davey Johnstone, der hier neu zur Band kam (das restliche Piano-Bass-Schlagzeug-Trio hatte zuvor viel gemeinsam getourt; das rockige Livealbum 17-11-70 beispielsweise legt davon eindrucksvoll Zeugnis ab), vorher gar nicht elektrisch gespielt hatte, sondern in Folkbands seine Sporen verdient hatte. Das erklärt ein wenig den markanten Sound zwischen Rock’n’Roll, Blues, American Roots und Folknoten, etwa das Banjo in „Slave“ (ohne Piano!) und „Honky Cat“, Mandoline in „Mona Lisas and Mad Hatters“ (ohne Schlagzeug). Vereinzelt wurde geschickt ein ARP Synthesizer, die elektrische Violine von Jean-Luc Ponty (später Mahavishnu Orchestra, Mothers of Invention, Return to Forever) oder auch mal Ray Coopers Congas ergänzt, auch mal eine kleine energische Bläsertruppe. In anderen Songs, wie einem meiner Favoriten, „Susie (Dramas)“, spielt das nur das Kernquartett hart rockend und prägt damit den Sound des „neuen“ Hipster-Singer-Songwriters auf den Punkt.
Faszinierend scheint mir gerade der Blick in Dekadenschritten von damals bis heute; ein Querschnitt durch die typischen Elton-John-Facetten, die beim breiteren Publikum zweifelsfrei mancherlei Vorbehalte bekräftigten.
1982, mitten in seiner Kokain-Hochphase, veröffentlichte Elton John Jump Up, ein austauschbares Album unter vielen, weder so interessant wie ein Jahr zuvor das hit-freie The Fox noch ansatzweise so erfolgreich wie ein Jahr später das erste Comeback („I’m still standing“) mit Too Low for Zero. Wieder aufgenommen in Frankreich, die Songs jedoch kaum ein Schatten früherer Qualität, das Cover ein Quatsch von 80er-Design, Titel und Besetzung (Jeff Porcaro!) austauschbar, Songs und Texte teils peinlicher Nonsens. Immerhin: Pete Townshend gastiert auf einer netten Akustikgitarren-Nummer, und es gibt eine heartfelt Hommage für John Lennon.
Auch das nach dem Entzug und persönlichen Neuanfang 1992 erschienene Album The One dürfte abseits der Fans heute niemanden mehr interessieren, zu synthetisch der Sound, der noch aus dem Mainstream-Pop der 1980er herübergerettet wurde (kein Wunder, Chris Thomas, in den Siebzigern noch an stilbildenden Alben von Roxy Music, Eno, Wings, Procul Herum, Bryan Ferry, John Cale oder Badfinger beteiligt, war seit 1982 häufiger mal Eltons Produzent, selten zum Vorteil des Endprodukts), zu austauschbar viele Songs, zu lang ohnehin die ganze CD, erstmals voll die Zeitspielraum der Silberlinge auskostend. Obendrein gab’s ein unfreiwillig(?) komisches Cover von Busenfreund Versace, auf dem Elton seine neuen Haare präsentierte. Immerhin: Eric Clapton singt und spielt auf einem netten MOR-Rocksong mit, und Dave Gilmore spielt ein schönes Gilmore-Solo auf einem dunklen, recht guten Elektropop-Stück. In dem Jahr war ich dann, in der Münchner Olympiahalle, auch erstmals Gast auf der Tournee; es war ein nachhaltig prägender Tagestrip mit meinem Vater.
Weitere zehn Jahre später war gerade das im September 2001 veröffentlichte Songs from the West Coast (wo Elton seither lebt) herausgekommen; ich habe es zufälligerweise damals tatsächlich selbst dort, bei Tower Records in L.A., gekauft. Es ist das erste künstlerische Comeback-Album, das den Sound der ersten Hälfte der 1970er wieder aufleben lässt. Die Songs sind durchweg stark und prägnant, und auch wenn die Kollektion vielleicht eine Spur zu lang erscheint, ist sie reich an Höhepunkten wie dem charmanten „Dark Diamond“ mit Gast Stevie Wonder, dem heiteren „Birds“ oder der Gospel-Rocknummer „The Wasteland“ mit einem starken Orgelauftritt von Billy Preston.
2012 befinden wir uns zwischen zwei nostalgisch-frischen, von T Bone Burnett produzierten Spätwerken: The Union (2010) ist ein vielleicht wieder etwas zu langes, aber ausgesprochen gelungenes Duoalbum mit Leon Russell, an dem auch Marc Ribot und Neil Young mitwirkten; mit seiner Mixtur aus Southern Rock, Rhythm & Blues und Gospel knüpft das Werk souverän an die früheren Jahre an, fügt zugleich aber auch eine markant eigene Note hinzu. Und 2013 eines von Elton Johns überhaupt besten Werken: The Diving Board, dem man allein ankreiden kann, dass es den Piano-(Impro-)Fokus nicht mutig genug ausschöpft und einfach wahnsinnig schlecht abgemischt und/oder gemastert ist. Noch einmal zehn Jahre später liegt wieder ein albernes Cover vor – und eine Platte, die bewusst heterogen einen geradezu wahnwitzigen Querschnitt durch alle möglichen Pop-Aspekte der Gegenwart und Vergangenheit hinlegt, mit Kollaborationen all over the place. Super: die Zusammenarbeit mit Gorillaz und 6LACK. Gelegenheitshörer werden die 16 Songs umfassende Liedersammlung kaum durchstehen, zu viel Kram wird geboten. Gut aber sind Duos mit Lil Nas X, Eddie Vedder und dem 2017 verstorbenen Glen Campbell.
Ob man 2032 (der gute Mann wäre dann 85) noch ein letztes und vielleicht wirklich altersweises Spätwerk zu hören bekommt? Ich hoffe jedenfalls, dass er sich nach dem Ende seiner ewigen Abschiedstour doch wieder dem Schreiben und Aufnehmen von Songs widmen wird. Wäre toll, wenn doch noch einmal etwas kommt, das die Richtung von The Diving Board weiter vertieft, ein fragiles Spätwerk wie bei Cash oder Faithfull…