Der Film ist konfliktträchtig. Der Konflikt besteht bereits, bevor man den Vorspann gesehen hat: Es ist ein Antikriegsfilm, seine Macher gehören zu den Guten, stellen ihre Kraft in den Dienst einer humanen Botschaft. Also ist er gut, oder? Wir zeigen Euch den Krieg wie er wirklich ist, schonungslos. Also habe ich ihn gut zu finden. Oder? Und wenn er mir jetzt nicht gefällt – bin ich dann ein Kriegstreiber ? Schliesslich leben wir in einer Zeit der Vereinfachungen und bequemen Spaltungen.
Im Westen nichts Neues (ab jetzt IWNN) wurde im Ausland euphorisch gefeiert, trägt eine neunfache Oscarnominierung auf dem Rücken, 7 britische Filmpreise. In Deutschland ist die Rezeption verhalten, Netflix hat auch bisher nicht die Zuschauerzahlen preisgegeben. Der Hauptvorwurf: Der Film habe mit der Buchvorlage eigentlich nichts mehr zu tun, gebraucht aber den guten Namen Remarques als Vehikel – den die jüngeren Generationen heute ohnehin nicht mehr kennen. Der Vorwurf ist marginal.
Der Spiegel – Rezensent warf das Handtuch und schaltete nach 20 Minuten ab. Er wollte nicht sehen, wie Menschen mit Flammenwerfern verbrannt werden oder Soldaten an Senfgas ersticken. Weichei, oder? Grausamkeit erzeugt bei empfindsameren Menschen Abwehr, das kann sich durchaus einmal als Müdigkeit, Langeweile oder Desinteresse maskieren, anderseits werden wir täglich mit Gewaltdarstellungen überspült, das brüht schon ziemlich ab, das kann’s also irgendwie nicht sein; verbrannte Leichen gibt’s in jedem Tatort zum Abendessen. Ein Gemetzel mehr …
Zur Vorgeschichte: Das 1928 erschienene Buch von Remarque las ich als 14jähriges Mädchen, es hat mich sehr aufgewühlt; von da an las ich Kriegsliteratur, sah auch die beiden amerikanischen Verfilmungen des Romans – ich war und bin kein Weichei. Eher eine vom Team Brühwurst. Die Antikriegsfilme aus den Staaten habe ich verschlungen: Platoon, Full Metal Jacket, Apocalypse Now, die geniale Satire MASH und zahllose über die Kriege in nahen Osten. In Gottesnamen auch noch Schindlers Liste – ich komme mit dergleichen ohne Alpträume zurecht.
Erster Versuch jetzt im Januar: IWNN her gestreamt und mit Ehemann geguckt … – versucht zu gucken! Abschalten nach circa 30 Minuten aufgrund eines Gefühls von Gleichgültigkeit oder Seelenverhärtung angesichts einer zusammenhanglosen Aneinander-Reihung von Schrecken und Grausamkeiten, die nicht enden wollten.
Zweiter Versuch eine Woche später – tapfer durchgestanden, aber ohne wesentliche emotionale Beteiligung, der Film schafft es nicht, „mich hineinzuziehen“, das Hauptkriterium, wenn mir ein cineastisches Werk gefallen soll. Einer Freundin ging es ähnlich. Eine Aneinanderreihung von grausamen Situationen, ungestaltet, ohne Handlung, ohne Spannungsbogen, die Protagonisten ständig schlamm- oder blutbespritzt, schwer von einander unterscheidbar, ohne Individualität, wir wissen auch nichts über ihre Vorgeschichte. Wir sehen nur, wie sie zugrunde gehen. Es könnte eine Doku sein, aber auf dergleichen ist man nicht eingestellt, wenn man einen Oscar-verdächtigen Film herbei streamt.
Der Film frustriert unsere Sehgewohnheiten. Wir sind gewöhnt an Handlung, Spannung und an Sympathieträger, die wir zu Identifikationsfiguren wählen können – auf deren Seite wir stehen und stellvertretend mitfühlen können. Schliesslich eine Auflösung der Spannung und irgendeine Form von Showdown und Ende, Happy End, Broken Happy End oder Bad End. Jack klammert sich an eine verbliebene Tür der Titanic, die im Nordatlantik treibt, und wir leiden mit Rose, die schliesslich seine Hand loslässt – eine ikonische Szene. Ein Band verbindet uns mit den Figuren, in diesem Fall mit Rose und ihren Wünschen. IWNN bietet keine ikonischen Szenen, manchmal fragt man sich ob überhaupt etwas gestaltet wurde und nicht nur Grauen produziert.
Dann überraschen die wiederholten Aufnahmen einer stillen und unberührten, immer indifferenten Natur, in der kein freundlicher Schöpfergott mehr spürbar ist, sie scheint nur das Treiben der Menschen zu ihren Füssen aussitzen zu wollen. Ein Moment der Gestaltung, in seiner Stille kontrapunktisch eingesetzt gegen das Menschengetöse.
Der Film erzählt keine Geschichte, mit der wir mitgehen, mithoffen und -bangen könnten wie Schindlers Liste oder die Titanic, er bietet nichts zum Festhalten, führt nicht und nimmt uns nicht an die Hand; es rollen nur mitleidlos die Schrecken über uns hinweg, einer nach dem anderen, wir können keine Gefühle mehr entwickeln, dafür ist kein Raum mehr, auch kein Denk- und Phantasieraum. Nur überwältigende Leere, Sinnlosigkeit und der Schrecken der Endlosigkeit des Schreckens.
Und genau das ist der Krieg. Und der lässt sich nicht künstlerisch fassen und gestalten. Adorno meinte, man könne nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben, den habe ich immer gut verstanden, wie soll man Auschwitz „gestalten“? Offenbar lässt er sich auch nicht sprachlich fassen.
Wer dabei war, kann oft nicht darüber sprechen – unsere Väter und Grossväter konnten es nicht und wir Jüngeren reagierten mit Abwehr, wenn sie es versuchten, es war uns lästig. Dahinter steckte sicher Angst, ein Spüren des Anliegens der Veteranen endlich einmal sprechen und abladen zu wollen und uns damit zu überfordern. Oder ihre ganze Frustrationswut abzukriegen. Meistens begann es mit dem Gestus „Ihr habt ja keine Ahnung, Euch gehts ja gut …“, auf dieser Vorwurfsschiene erwarteten wir uns mit Recht keine gedeihliche Diskussion. Da beschlossen wir lieber dass es uns nicht interessiert. Man hatte mit dem eigenen beginnenden Leben genug zu tun.
Ist es anmassend sich vorstellen zu wollen, was ein Soldat in dieser Situation erlebt? Jetzt und heute würde ich es gerne wissen, jetzt traue ich mir zu es auszuhalten, aber die meisten Weltkriegsveteranen leben jetzt nicht mehr.
Ich habe inzwischen viel gelernt über Trauma und Trauma-Verarbeitung, die Reaktion des Gehirns auf Nicht-mehr-Verarbeitbares, auf das Durchbrechen des Reizschutzes und das Versagen der psychischen Abwehr, über das Abschalten gefühlsverarbeitender Hirnzentren und das Aktivieren von Zentren, die für das blosse Überleben zuständig sind. Im Krieg gäbe es keine Depressionen, heisst es; vermutlich stimmt das, das Gehirn arbeitet da anders, heute spricht man von Dissoziation, ein psychisches Entweichen aus der Situation, das bis zu ausserkörperlichen Erfahrungen führen kann.
Diese Phänomene finde ich beim Betrachten dieses Filmes wieder – abschalten, distanzieren, flüchten, nichts mehr fühlen – er „zieht nicht hinein“, er stösst uns aus und zwingt uns unser Gefühlsleben abzuschalten. Und den Fernseher gleich mit dazu. So werden wir zu Deserteuren. Da ändern auch Erzbergers Bemühungen um einen Waffenstillstand nichts, das weckt keine Hoffnung. Irgendwann fühlt man nicht mehr, nicht weil der Film schlecht gemacht wäre, sondern weil er traumaspezifische Verarbeitungsweisen triggert. So erkläre ich mir das Rätsel das ich mir gerade selber bin.
Die Fähigkeit eines Regisseurs, Derartiges loszutreten, ist hoch einzuschätzen – ob es für die Oscarnominierungen verantwortlich ist oder hier eher ein Woke-Mechanismus greift, sei dahingestellt. Der Westen, der seine Friedfertigkeit so oft und gern zitiert und demonstriert, kann es sich schlecht leisten, einen Antikriegsfilm nicht zu preisen und zu be-preisen. Wie stehen wir denn da? Und so kommt jetzt bald die rauschende und wort- und tränenreiche Gutmenschennacht.