Manafonistas

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2023 2 März

Ein Nachmittag bei Kari

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 9 Comments

In Erinnerung an den Pariser Schlangenclub aus Julio Cortazars „Rayuela – Himmel und Hölle“, ein Roman, so unvergesslich die Lektüre anno 1982, dass ich noch heute ab und zu im dritten Arrondissement auftauche, mit der „Lady In Satin“ von Billie Holiday und „Alone In San Francisco“ von Thelonious Monk in der Papiertüte – neben all dem Mate, und einem im Jardin de Luxembourg frisch gepflückten Blumenstrauss für die Maga. I surrender, dear.


Wäre ich in diesen kalten Tagen in Helsinki und würde ihn gut kennen, wäre die Wohnung dieses finnischen Pianisten eine meiner ersten Anlaufstellen. In seinem Wohnzimmer steht ein Konzertflügel, ein Steinway & Sons B211, 1969 angefertigt in New York. Mit und ohne ein Maqiano (hat er selbst gebastelt) und andere Präparierungen entstand dort eine meiner Lieblingspianosoloalben des 21. Jahrhunderts, „Impressions, Improvisations And Compositions“.

 

Ozella Records ist bekannt für audiophile Schätze, und dies ist mein Favorit von allen Alben, die je bei Ozella, der Firma von Dagobert Böhm, erschienen sind. Ich möchte die Platte hier gar nicht en detail vorstellen. Eine überragende Abbildung des Klaviersounds (die Zeit, dass „home recordings“ für „lofi“ statt für „hifi“ standen, ist schon länger vorbei). Und auch wenn ich der Pressung nur eine glatte 2 gebe (dead quiet ist schon was anderes, aber die eine oder andere Knisterrille ist mir völlig schnuppe), würde ich der Musik eine 10 geben, und dem Klangerleben (Sound) eine 11. (So machen die das etwa bei Analog Planet, wo man unendlich viele Plattenkritiken von Vinylophilen wie Mark Smotroff und Michael Fremer findet – 11 ist das absolute, selten vergebene Maximum, nur für den Sound, wie gesagt, bei der Musikbewertung ist 10 die einsame Höhe.)

 

So viele Besprechungen von Kari Ikonens Meisterstück aus dem Jahre 2020 finden sich gar nicht, aber es würde mich wundern, wenn irgendjemand aus der Kritikergilde weniger als 8, 9, oder 10 aus dem Hut holen würde. Mann muss solche Bewertereien auch gar nicht so ernst nehmen, aber als Anregung taugen sie allemal, und die Leser dieser Zeilen haben gewiss bestimmte Lieblingskritiker, auf deren Meinung man sich oft verlassen kann, weil man über die Jahre gemeinsame Wellenlängen und dergleichen ausfindig gemacht hat. Übrigens: Kandinskys Bild „Blue“ von 1922, ein Ausschnitt davon, ziert das gatefold-Cover. Ob Kari wohl auch Farben sehen kann, wenn er Klänge hört, wäre eine Frage meines Interviews gewesen.

 

 

 


Etwas, das mich an dem Album komplett fasziniert, dass es keine Sekunde und kein Stück gibt, das mir nicht zusagt, dass ich für überflüssig oder Beiwerk halte. Springlebendig, atonal, sowieso melodisch auch, lyrisch, experimentell, monkisch, verwegen, lustvoll, verträumt, Haken schlagend, aus den Ärmeln geschüttelt, laut und leise, kunterbunt, wild und hochkonzentiert, all das und vieles andere noch, 
könnte auf der Rallye der freien Assoziationen aufsteigen und Wortblasen ratzfatz zum Platzen bringen. Einfach versinken, am besten sprachlos – darauf breche ich es mal runter, als freundliche Losung des Augenblicks. Fernab eines bloss virtuos inszenierten Ohrenkitzels, ist das schlicht und ergreifend „deep stuff“. Viel weniger zerebral, als erste Reflexe nahelegen.

 

Und wenn wir schon (spiele mit!) dabei sind, den Koffer für die kommende Inselreise zu packen – ((wähle deine ganz persönliche „desert island“ – es kann Langeoog sein, ein Eiland im Indischen Ozean, weiss der Kuckuck wo, und es gibt in deiner Unterkunft einen „record player“ von VPI Industries Inc. und, ähem, (die Spielregel, der Kick fürs Stöbern auf dem Dachboden), für diese vier (!) Wochen darfst du lediglich fünf Schallplatten mitnehmen, reine Solo- oder Duoaufnahmen, das Piano muss, akustisch oder elektrisch bei allen Fünfen dabei sein)). Hier, zur Vervollständigung meines „Quintetts“, das Meer ringsum, und alles, zum „Versinken“ (es geht nicht um einen Kanon, allein um eine Momentaufnahme, eine atemraubende Liste, die in einer Woche, in einem Jahr wieder ganz anders aussehen könnte): Dollar Brand Duo (with Johnny Dyani – Good News  From Africa (Enja) /// Art Lande with Jan Garbarek: Red Lanta (ECM) /// Archie Shepp & Mal Waldron: Left Alone Revisited (Enja) /// Keith Jarrett & Jack DeJohnette: Ruta & Daitya (ECM). So weit, so gut.

 

Da Spielregeln stets etwas Begrenzendes haben, gibt es, Überraschung, Augenzwinkern incl., einen „Ausreisser“, eine „wild card“, eine sechste Platte (gern auch ein Doppelalbum), das aus der Reihe fällt, mit oder ohne Klavier. Meine „Nummer Sechs“ wäre Steve Tibbetts: Life of (ECM). – (one of these albums, the name „desert island record“ could‘ve been coined for. The minor quibble: the vinyl still has to be pressed. If that is not going to happen, Farid El Atrache‘s Nagham Fi Hayati would do the trick in the windmills of my mind.)

 

The first „5+1 piano solo / duo lists of magic“ that arrive in my email till Sunday evening, will probably be posted here (micha.engelbrecht@gmx.de) – and don‘t forget the name of the island. P.S. Kaum schliesse ich die Seite, begegnet mir ein neuer Text von Jo, und folgendes Zitat von Dietmar Kamper springt mir entgegen: „Das Leben lebt nicht. Man muss zaubern können.“ 

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9 Comments

  1. Henning Bolte:

    ORCHESTRA NACIONALE DELLA LUNA – dahinter verbirgt sich der Club der beiden belgischen Musiker MANUEL HERMIA (Sax) und TEUN VERBRUGGEN (Dr), mit dem französischen Bassisten Sebastien Boisseau und Kari Ikonen (er spricht gut Flämisch). Erschienen bei BMC = das Label des Budapest Music Center.

  2. Norbert Elbers, München:

    Tolle Platte von Archie Shepp und Mal Waldron. Im letzten Herbst erschien ein uraltes Pianokonzert von Waldron aus Grenoble – hochspannend!

    Da werde ich mir mal eine Liste zudammenstellen und an die Mailadresse senden… es ist ja kein Quiz, wie ich sie mal vorfand, aber gibt es dennoch etwas zu gewinnen? Vielleicht die Reisekosten zu der Insel, und zurück?! 😂

  3. Olaf Westfeld:

    Eine willkommene Erinnerung, das Album mal wieder zu hören – ich habe das nach Erscheinen oft und gerne, danach aber nicht wieder, gehört – mal hören, wie es jetzt klingt.
    Mein +1 Album wäre dann vielleicht von Gang Starr – DJ und Rapper sind ja auch ein Duo, oder?

  4. Michael Engelbrecht:

    Jon Hassell hat mal gesagt, sinngemäss: zeige mir deine Plattensammlung, und ich sage dir, wer du bist. Wer also bereit ist, mir seine Insel und diese 5piel-Liste zuzumailen, gibt sehr, sehr Persönliches preis.

    Gerne als Lohn für die Reise im Kopf: aus den mir gemailten Listen lose ich einen Teilnehmer aus, und er oder sie bekommt drei Cds zusgesendet, die sicher Zustimmung finden werden: ist ja ein Leichtes, so ein Profil zu erstellen mit solchen Playlists.

    Die Extraplatte muss kein Solo oder Duo sein, Olaf. Und da muss auch kein Piano im Spiel sein.

    Und Karis Platte muss selbstverständlich bei keinem dazugehören!!! Sie war mein Einstieg, und hat eher jazzige Gefilde geöffnet. Und meine Reise geht nach Langeoog.

    Falls es jemand zu den Malediven zieht: siehe auf Apple Plus: The Reluctant Traveler, season 1, mit Eugene Levy. Eine 30 Minuten Episode dieser Reise Doku spielt auf den Malediven.

    Das sind aber fantasy travels…nichts Elitäres dabei.

    Nächsten Montagabend dann hier der Showdown der TravelerListen. Safe Journey!

  5. Susanne und Bernd L:

    Wir haben es dir an die Mailadresse geschickt.
    Wir hoffen, es verstösst nicht gegen die Regeln, dass ich mit Susanne verreise:)

    Insel: Faröer

    Das Quintett:

    Sakamoto / Noto: Insen
    Budd / Eno: The Pearl
    Keith Jarrett: The Köln Concert
    Brad Mehldau plays the Beatles
    Roger Eno: Voices

    Der Ausreisser:

    John Cale: Paris 1919

  6. Michael Engelbrecht:

    Ihr seid mit in der Verlosung.
    Faröer, feinfein.

    Da sieht man mal, wer länger Klanghorizonte gehört hat🙆🏻

    Ich kenne zwei der Sakamoto Notos… und sind einfach endlos faszinierend. Mein Vinyl ist aber nicht so ne Superpressng, da habe ich mir die zweite als cd zugelegt.

  7. Heiner Weber, Düsseldorf:

    Habe es ihnen auch auf Mail zugesendet.
    Ich reise tatsächlich nach Juist im März. Und wenn mich dort ein schöner Plattenspieler erwarten würde, wären das meine Platten für die im März nocht nicht überlaufene „Wüsteninsel“:

    Paul Bley und Chet Baker – Diane
    Keith Jarrett – Staircase
    Federico Mompou Musica Callada (Herbert Henck)
    Aki Takase Louis Sclavis Yokohama
    Und, ja, Kari Ikonen habe ich heute morgen gehört, und bin beeindruckt. Werde mir das Vinyl besorgen. Hoffentlich gibt es das noch. Famos!

    Bliebe noch die freie Wahl für die sechste, und das wäre dann bei mir Pharoah Sanders: Karma (ich gehe von dicken Wänden aus). Meine Anschrift liegt für alle Fäller der Mail bei. Bin gespannt auf die Klanghorizonte zu ungewohnter Zeit, Ende März.

    Übrigens, ich bin Düsseldorfer, kenne aber den „Vinyl-Michael“ nur von youtube. Ich habe mich mal schlau gemacht, was diese Londoner Edelfirma angeht. Schreiben Sie unbedingt was zu dem Doors Album in mono!!! 😉 ich kenne die Scheibe auswendig, aber natürlich nicht den analogen Röhrenzauber der Electric record company.

  8. Michael Engelbrecht:

    @ Heiner

    Wenn alles gut geht, have ich die „Röhren Doors“ in Mono am 14. März hier auf dem Teller…

    Diane ist allerfeinst, es gubt so viele Platten / cds von Steeplechase Records aus Dänemark, die exzellent sind, aber nicht so weite Kreise zogen…

  9. Olaf Westfeld:

    Urlaub auf Haravisaari mit
    Warp von Jon Balke
    Plateux of Mirror von Harold Budd & Brian Eno
    Solo-Concerts Bremen / Lausanne von Keith Jarrett
    Bach, Beethoven, Rzewski von Igor Levit
    Through The Looking Glass von Midori Takada
    Daily Operation von Gang Starr


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