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2022 10 Aug

Über den Styx in den Hades

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 17 Comments

 

La Mala Educación („Die schlechte Erziehung“,  Spanien, 2004 ) v. Pedro Almodóvar

 

Almodóvar beschreibt in diesem Film, in einer intelligenten und faszinierenden Verschachtelung auf drei verschiedenen Zeit- und zweierlei Realitätsebenen,  sowie mithilfe des Kunstgriffes des reflexiven Kinos (des Filmes im Film), den seelischen Mikrokosmos eines Opfers und seines Missbrauchers, der am Ende selbst zum Missbrauchten wird. Letzterer ist katholischer Priester, sein Opfer ein etwa 10jähriger Internatsschüler – Ignacio. Obwohl das Erscheinungsjahr schon etwas zurückliegt, ist dies ein Thema von hoher Aktualität. Almodóvar wuchs selbst in katholischen Internaten auf und wurde schon früh mit dergleichen konfrontiert; ob er selbst von Übergriffen betroffen war, ist nicht bekannt.

Das komplexe Geschehen um Bigotterie, Pädophilie, Rache, wechselseitige Identifikation und dem Wunsch nach Aufdecken früherer Verbrechen spielt in einer reinen Männerwelt, in der das Weibliche nur in überformter und pervertierter Weise stattfindet. Padres, Schüler, und Gott, auf den sich alle berufen und der angeblich immer auf der Seite der Priester steht, sind im klaustrophobischen Kosmos eines katholischen Internats miteinander gefangen und sich ausgeliefert – die Kinder den Padres, letztere den pathologischen Strukturen des Systems, in dem sie leben, zudem auch der eigenen Biografie.

Hier geschieht der Missbrauch des Jungen Ignacio durch Pater Manolo, der ihn sich gefügig macht und erpresst mittels der Drohung, seinen geliebten Freund Enrique von der Schule zu verweisen, da er beide zusammen nachts in einer Toilettenkabine glaubte bei „unzüchtigen“ Handlungen ertappt zu haben. Ignacio verkauft sich, um seinen Freund weiter bei sich haben zu können. Er wird aber nicht nur sexuell missbraucht, sondern auch – aufgrund seiner schönen Stimme – zum Sprachrohr verdrängter Sehnsüchte der ausgehungerten Padres; er muss ihnen vorsingen: Lieder voll Herzziehen und schmerzlicher Sehnsucht nach Wiederkehr, Vereinigung und Verschmelzung mit einem Objekt des Sehnens: Moon River, Torna a Sorrento und Cuore Matto – die Blicke der Padres saugen sich an dem Jungen fest, werden verzückt und ekstatisch, wenn sie ihm zuhören, ein Versprechen verspüren, das nie eingelöst werden wird. Ignacio wird zum Sprachrohr dieser Sehnsüchte, die nicht die seinen sind, wird funktionalisiert, er spürt es und leidet unter den Auftritten, für seine eigenen Wünsche bleibt kein Raum, er ist Bediensteter.

Der Film beginnt mit der Wiederbegegnung des nun erwachsenen Ignacio, der sich jetzt Angel nennt und als Schauspieler tätig ist, mit Enrique, der nun als Filmregisseur arbeitet. Ignacio bietet Enrique die aufgeschriebene Geschichte ihrer Internatszeit zur Verfilmung an und möchte selbst die Hauptrolle spielen. Enrique ist an der Geschichte interessiert, hält Ignacio aber nicht geeignet die Hauptrolle zu spielen. In Rückblenden entrollt Almodóvar das vergangene Geschehen in der Internatszeit.

 

 

 

 

Eingestreut werden Szenen, die der Zuschauer für real hält (Ignacio mit Kleid und Perücke sucht Pater Manolo auf, um ihn mit seinem Wissen und dem geschriebenen Manuskript zu erpressen), später stellt sich heraus, dass es sich um Szenen aus dem entstandenen Film handelt, in dem Ignacio/Angel nun doch die Hauptrolle spielt. Diese gezielte Täuschung des Zuschauers erfährt nun noch eine Wiederholung in einem weiteren Twist, als sich herausstellt, dass Ignacio bereits verstorben und Angel dessen jüngerer Bruder Juan ist, der sich als Ignacio ausgibt.

Noch gehören die Sympathien Juan, der offenbar unter dem Schicksal seines Bruders leidet und ihn rächen möchte, bis wir erfahren, dass Juan der Mörder seines Bruders ist – gemeinsam mit Pater Manolo, der nun Berenguer heisst, mittlerweile den Kirchendienst quittiert hat und durch Enriques Film wieder Kontakt zu Ignacio gesucht und dabei Juan kennengelernt und sich in ihn verliebt hat. Nun kippt die Sympathie des Zuschauers für Angel / Juan. Und wir lernen den „echten“ Ignacio kennen.

Juan ist ein scheinbar eiskalter Mörder, Ignacio ein heroinsüchtiger Transsexueller, zynisch und verbittert, um sich selbst kreisend und nur an Geld für seine Geschlechtsumwandlung interessiert. Gemeinsam mit Manolo besorgt ihm Juan den „Goldenen Schuss“. Ignacio stirbt an der Schreibmaschine beim Schreiben eines Briefes an Enrique, den er wohl immer noch liebt.

Was macht diesen Film so besonders?

Almodóvar erzählt seine Geschichten sonst im linearen Modus, hier bricht er mit dieser Tradition und entwickelt ein Verwirrspiel das den Zuschauer in seinen Bann schlägt. Während er sich in seinen sonstigen Filmen überwiegend mit dem Phänomen Frau beschäftigt zeichnet er hier eine bizarre Männerwelt zu der Frauen der Zutritt verwehrt ist. Einzig die Muttergottes als erstarrte Statue, auf ewig funktionalisiert als Gefäss und Fürsprecherin für die gefallenen Menschen, beobachtet ungerührt die Kinderschändung in der Sakristei.

Die Verdrängung eines Geschlechts in einer wie auch immer gearteten Szenerie führt unweigerlich dazu dass es im Untergrund – zu einer bösen Imago verzerrt – anwesend ist und die Strippen zieht. Die Zeichnung des Weiblichen und dessen Verdrängen aus der katholischen Kirche schafft einen Mythos der unreinen – das heisst Sexualität ausübenden – und unwerten Frau, die unmöglich den Messias in ihrem Leib beherbergen darf, dieser Körper muss unbefleckt sein. Darum loderten damals die Scheiterhaufen. Der Körper der Frau muss vernichtet werden. Der Mann wird kastriert, die Liebe zu einem unschuldigen und „reinen“ Kind und die Vereinigung mit dessen jungfräulichen Körper ist die einzige Möglichkeit für den Priester selbst, in irgendeiner Form unschuldig zu bleiben und doch seine Triebwünsche zu erfüllen – er meidet die erwachsene Sexualität zur erwachsenen Frau.

Der Regisseur hat das weibliche Element in diesem Sinne versteckt in sein Männerdrama eingebaut: neben der Muttergottesstatue erleben wir im „Film im Film“ eine Nonne die eine junge Frau zurückweist, die Novizin werden will wegen ihres vorher vermutlich moralisch nicht einwandfreien Lebens.

Die Mutter von Ignacio und Juan erzählt Enrique, der sie aufsucht, sehr beiläufig und ohne spürbare Erschütterung, dass Ignacio verstorben ist. Sie rekrutierte damals den noch kaum erwachsenen Juan auf den süchtigen und instabilen Ignacio „aufzupassen“, eine drückende und überfordernde Aufgabe für den noch unreifen jungen Mann. Es ist eine zurückweisende und unempathische, eine wenig mütterliche Weiblichkeit, die der Regisseur hier zeichnet, untypisch angesichts seines sonstigen Oeuvres, seiner Bindung an seine eigene Mutter, seiner Wertschätzung für die Frau an sich, wie wir sie sonst von ihm kennen.

Damit vermittelt er das Bild der Frau wie die Kirche sie sieht: Marginal, nur am Rande auftretend, schwer durchschaubar – und sie opfert ihren Sohn Juan um den ausgeklinkten Ignacio versorgt zu wissen, so wie Gott seinen Sohn opferte zum Wohle der Menschheit. Und Kain erschlug Abel um diese Last loszuwerden, nach dem Mord an Ignacio verbrennt Juan dessen ganze Habseligkeiten. Ebenso wie die Padres scheint die Mutter nichts Gutes zu bewirken.

Was ist noch das Besondere an diesem Film?

Almodóvar schafft hier eine in erster Linie eine verwirrende Choreographie im Mikrokosmos von Tätern und Opfern, der Zuschauer wird hineingesogen, verliert zeitweise die Orientierung, muss sich neu zurechtfinden und ringt um Klarheit. Die Motive der Handelnden werden nicht leicht durchschaubar. Das kognitive Erfassen läuft ständig gegen Hindernisse, wie man aus der Hypnotherapie weiss, entsteht dabei eine Art Trance in der die Denkvorgänge blockiert, dafür die Gefühlswelt leichter erreichbar ist. Hier erleben wir das Hineingezogenwerden des Zuschauers in den Strudel der seelischen Zustände der Figuren.

Die Sympathielenkung des Regisseurs geht zu Anfang in Richtung Juan, den wir bei Beginn noch für Ignacio halten; das Opfer, das sein Leiden öffentlich machen will, das verständlicherweise Rachebedürfnisse verspürt. Der Twist, dass es sich nicht um das wahre Opfer sondern dessen jüngeren Bruder handelt sorgt für Verwirrung – was möchte dieser junge Mann? Eine Schauspielerkarriere? Seinen Bruder rächen? Den Priester erpressen? Das könnten wir verstehen, das macht ihn nicht minder sympathisch, zudem kämpft er um die Rolle in Enriques Film und investiert dafür einiges – es geht also auch um seine Existenz. Unser moralisches Empfinden schlägt nicht Alarm.

Das ändert sich bald: Juan entpuppt sich als eiskalter Killer, er verschafft seinem drogensüchtigen und gesundheitlich angeschlagenen Bruder den finalen Heroinschuss. Nun müssen für seine Aktionen neue Erklärungen gefunden werden, Bruderliebe und Rache für den zerstörten Ignacio kann man nun ausschliessen, Juan scheint seine ureigene Zerstörung rächen zu wollen, vielleicht lebenslange Benachteiligung durch die Mutter, wir erfahren es nicht, auch hier bleibt ein Stück Beunruhigung. Ein Vater scheint nicht zu existieren, dafür wimmelt es von perversen Ersatzvätern die einem noch bedrohlicheren Übervater unterworfen sind. Wir erfahren letztlich nicht was Juan wirklich bewegt, aber es entsteht der Eindruck dass er eine Form von Vereinigung mit Ignacio anstrebt, er nimmt nicht nur seine Identität an, er scheint sich geradezu in dessen Leben hineinzubohren wie ein Parasit in den Wirtskörper; ähnlich intrusives Verhalten kennen wir aus Almodóvars „Sprich mit ihr“, in dem der Krankenpfleger Benigno völlig Besitz nicht nur vom Körper der im Koma liegenden Alicia Besitz ergreift, sondern auch ihre Gedanken und Gefühle zu kennen glaubt.

Unberührt vom Schicksal des Bruders ist Juan nicht; nach der Film-im-Film-Szene, als Ignacio das Genick gebrochen wird, bricht er in Tränen aus. Senor Berenguer alias Padre Manolo, der frühere Täter wird nun zu Juans Opfer ; am Ende steht er als der vielleicht einzig Liebende – und damit Schwache und Angreifbare – inmitten eines hasserfüllten Geschehens; auch das muss der Zuschauer verkraften. Und noch einiges mehr: Er erleidet ein zunehmendes Unterminieren seiner Wahrnehmung, wird enttäuscht von dem, dem er seine Sympathie und sein Vertrauen unvorsichtig geschenkt hat. Von den Sprüngen und Volten der Handlung bleibt zunächst Verwirrung. Die Einbrüche zweier verschiedener Zeitebenen verwischen den Realitätsbezug, lassen an der vertrauten Verortung in der Gegenwart zweifeln, die Vergangenheit drängt sich ins Leben und beeinflusst es, die Grenzen verschwimmen – auch der Kunstgriff des Films-im-Film verstärkt die Verwirrung und den Zweifel an den festen Grenzen der Alltagsrealität. Was geht hier vor?

Sympathiegefühle für den schuldigen Padre belasten das Gewissen – wie kann man einen pädophilen Priester plötzlich ganz menschlich finden? Darf er einem leid tun? Versagt hier mein moralischer Kompass? Hier wäre es doch angebracht zu hassen?

Auch das Opfer – der reale Ignacio – erweckt keine warmen und mitleidigen Gefühle beim Zuschauer. Ist das nicht ungerecht? Was ist mit mir los, dass er mir nicht leid tut?

 

 


Der Zuschauer verlässt den Film in einem Chaos von Verwirrung, Schuld und Selbstentfremdung, kann das Geschehene nicht zur Gänze durchschauen und Ordnung in der Seele schaffen, in die vertrauten Gut-Böse-Kategorien einordnen und sich so neu orientieren. Opfer- und Täterrollen fallen zusammen, es gibt nicht mehr die vertraute Polarität.

Und damit trifft Almodóvar, ob er es nun so wollte – oder mehr intuitiv den plot gestaltete – exakt das Gefühlsleben von Missbrauchsopfern. Das Beziehungsmuster eines Menschen löst bei der Begegnung mit diesem einen Sog aus, sich in diesen einzuklinken und sich ähnlich zu verhalten und oft auch ähnlich zu empfinden. In der Psychotherapie macht man sich diesen Effekt zunutze indem man das eigene Gefühl und die Resonanz auf den Patienten als diagnostisches Instrument verwenden, um Aufschlüsse über die unbewussten Kräfte und Muster zu bekommen die sein Beziehungsleben prägen und vielleicht sein Scheitern herbei führen. Das geschieht auch in Gruppen als lebendigen Organismen die sich mit einem Patienten befassen, das funktioniert auch bei Film und Literatur.

Was A. im Zuschauer entfesselt, entspricht dem Gefühlsleben von Opfern sexueller Grenzüberschreitungen durch eine nahestehende Vertrauensperson, natürlich in entsprechend abgeschwächter Form. Die Verwirrung über die angeblich positiven Absichten der Täter und deren statusbedingte Unantastbarkeit, das Einordnen in moralische Schemata, welches ständig misslingt, das Zweifeln an der eigenen Wahrnehmung, die zu einem ganz anderen Schluss kommt, die erdrückende Schuld, wenn beim verbotenen Geschehen noch Lust empfunden wird oder man den Täter auch trotz allem noch liebt. Nicht mehr zu wissen wer gut und böse ist. Nicht zu wissen, ob man nicht selbst mitschuldig am Geschehen ist. Keine Orientierng mehr zu haben. Die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart im Inneren und ihr ständiges Sich-Durchdringen, das ein störungsfreies Funktionieren in der Gegenwart verunmöglicht. Erinnerungsfetzen, die in den Alltag eindringen. Nicht glauben zu können was einem angetan wurde von jemandem, den man für integer hielt, der einen vielleicht sogar liebte.

Der Film endet schliesslich im Grau, in Erstarrung und kaltem Regen, der vorher als sprühendes, lebendiges Wasser die Körper der Kinder und der jungen Männer umschmeichelte – jedes Gefühl erscheint nun erstorben. Juan verlässt Manolo / Berenguer, Enrique – der von Anfang an distanzierte Zeitzeuge – wirft Juan – angeekelt wegen seines Betruges – hinaus. Nur Manolo bleibt als Verlassener zurück, letztlich als der einzig Fühlende und vielleicht sogar Liebende. Die Nachricht vom Mord an Padre Manolo durch Juan – er überfährt ihn später mit dem Auto, wie wir im Nachspann erfahren – berührt uns schon kaum mehr, am Ende sind wir selbst abgestumpft von all dem, das auf uns einstürmte. Enrique lebt weiter und dreht Filme – wie Almodóvar selbst, vielleicht ist er ja auch dessen Spiegelbild, ein Alter Ego.

So führt uns A. nach dem Durchschreiten eines Pandämoniums über die Styx in den Hades, den Ort der Schatten, denen man das Leben ausgesaugt hat – und jetzt ahnen wir, wie man sich dort fühlt und vor allem, auf welchen Wegen man dorthin gelangt. Und es ist furchtbar. Und es ist verdammt gut, dass wir es erfahren haben.

 

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17 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Heisst das DIE oder DER Styx?

  2. Ursula Mayr:

    Der alte Freud lebt noch.

    Der Vertipper meinerseits, „Nuttergottes“ ist unbezahlbar.

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich habe den Film damals als sehr fesselnd erlebt, ohne allzu stark in strudelige Mischgefühle zu geraten. Aber ganz klar, so sieht es bei Menschen aus, die solche Grenzüberschreitungen erfahren, und dann immer einen Filter spüren zwischen sich und dem Leben. Die letzten 5 Zeilen deines Textes treffen auf die 12. Ich mochte es, wie Ebenen und Wirklichkeiten da kippten… nichts war, wie es anfangs schien … Almodovar hat auch von Hitchcock gelernt.

    Ein guter und wichtiger Film.

  4. Jörg R.:

    Wieder ein Filmkommentar, wie schön!

    Habe den Film vor vielen Jahren gesehen und kann mich gut an die Verwirrung erinnern, es wurde erst beim zweiten Anschauen klarer. Wer ist wer und warum handelt dieser so wie er handelt. Als Psychotherapeut interessieren einen ja auch die Beweggründe über die man dann endlos nachdenken kann. Wäre guter Seminarstoff für unsere Ausbildungskandidaten, oder, Uschi?

  5. Ursula Mayr:

    Wäre ich dabei – aber schwierig … die neue Generation ist da sehr empfindlich und verträgt nicht mehr viel. Als wir den Film neulich im Institut vorgeführt haben kam schon der Vorwurf, dass wir nicht vorgewarnt hätten, dass es hier um sexuellen Missbrauch geht – verträgt ja nicht jeder. Reines Psychotherapeutenpublikum!!!

    Die künftig zunehmend Migranten, Kriegsteilnehmer, Folteropfer und traumatisierte Kinder behandeln müssen / sollten. Können keinen Almodòvar mehr gucken, bei dem der Missbrauch ja auch nicht mal dargestellt, sondern nur angedeutet wird. Ich fass es nicht.

    Bei „Pans Labyrinth“ haben sie sich beim Vorstand beschwert und bei „Black Swan“ gabs Proteste, weil sich die Darstellerin in Grossaufnahme die Nagelhaut abgepopelt hat. Da zeig ich lieber „Mary Poppins“.

  6. Michael Engelbrecht:

    Was du da soeben kommentierst, Uschi, hinsichtlich der Reaktionen eines Psychotherapeutenpublikums, ist ehrlich gesagt, fast so horrorhaltig wie der eine oder andere erwähnte Film.

    Ist das so, und kein Einzelfall, dann ist das deprimierend. Geistige Enge ist kein guter Begleiter ins Therapeutenleben. Man kann hier wohl Verklemmung diagnostizieren, und die ist meist chronisch.

  7. Lajla:

    Als Lektüre für die biederen Auszubildenden könnte ich den Frankfurter Schriftsteller Bodo Kirchhoff empfehlen. Er wurde als 11 Jähriger von seinem Kantor im Internat missbraucht. In seinem Buch: ”Dämmer und Aufruhr“ schreibt er sehr offen über seine Gefühle. Er schildert auch, dass er sich gar als Auserwählter des Kantors fühlte und sich mit der Spannung zwischen zu ihm Hingezogensein und Scham herumschlug.

  8. Ursula Mayr:

    Oh, das Buch besorge ich mir.

    „Bieder“ kann man so eigentlich nicht sagen, das ist eher ein Generationsproblem. Das ist die 90er Generation, im Wohlstand aufgewachsen, behütet, gefördert, Mittel- oder Oberschicht, die Mädels haben das bessere Abitur, schaffen also die Numerus-Clausus-Fächer alle. Im Hörsaal für Medizin oder Psychologie: Mädels. Letztes Jahr im Krankenhaus auf Station: Mädels. Im OP-Saal: Mädels. Für die postgraduale Psychotherapieausbildung wurden die Bedingungen heruntergesetzt bzw die Ausbildungen an die Unis verlagert, die fangen also mit etwa 24 schon mit Patienten an; ohne jegliche Erfahrung mit Leben, Beziehung, Elternschaft und ganz normalem nichtakademischem Berufsleben. Ausbildung bezahlt der Papa. Im Studium gejobbt, geputzt oder gekellnert wird auch nicht mehr, da kauft der Papa eine kleine Wohnung, die vermietet das Mädel dann über air-bnb, bis das Geld für eine zweite zusammen ist, die dann auch vermietet wird.

    Ärzte ziehen sich aus diesem Berufsfeld langsam zurück, Ausbildung zu teuer und zuwenig Verdienst.

    Diese Mädels sind durchaus idealistisch, freundlich und empathisch, besser ausgebildet als ich es jemals sein werde, aber gnadenlos naiv, weltfremd und wenn Du sie anbläst fallen sie um. Habe erst neulich mit einer diskutiert über die ihr völlig unbekannte Tatsache, dass man als Angestellter schon tun sollte, was der Chef sagt, wenn man keinen Ärger haben will. Nö, ist doch heute nicht mehr so, heute schaut man doch, dass es den Angestellten gut geht, der Chef muss doch sehen, dass sie das heute nicht mehr schafft, wie kann der nur so unempathisch sein, also Frau Mayr, wirklich, was haben Sie denn da für Ansichten …

  9. Jörg R.:

    Ach, Du lieber Himmel!

  10. Anonymous:

    Das Gefühl des Auserwähltseins ist eine böse Falle. Es gibt ein Buch über Missbrauch einer Patientin durch den Therapeuten. Sie meinte, es sei gewesen, als habe sie „mit einem Gott geschlafen“.

  11. Martina Weber:

    Ich habe zu Weihnachten einen Fünferpack mit Almodóvar-Filmen geschenkt bekommen, alle auf Spanisch mit englischen Untertiteln. BAD EDUCATION hat in der Fassung, die ich habe, ein anderes Cover als das, das du gepostet hast, Uschi. Es ist die Hauptfigur als Internatsschüler, in weißem Unterhemd und Anzugshose, die Arme verschränkt, vor einem rotgefärbten Hintergrund. Bei den Extras auf meiner Fassung der DVD gibt es einen Punkt, der verschiedene Coverversionen zeigt. Es ist schon auffällig, dass offensichtlich für verschiedene sprachliche Ausgaben des Films ganz andere Cover hergestellt wurden.

    Deinen Gedanken, Uschi, dass der Film ähnliche Zweifel an der eigenen Wahrnehmung etc. erzeugt, wie Missbrauchsopfer sie erleben, finde ich sehr interessant. Man wird ja auch bewusst auf die falsche Spur geführt, zum Beispiel, als an einer Stelle im Film erst der eine Internatsschüler in den Erwachsenen, der er geworden ist, übergeblendet wird und dann der andere. Habe gerade nochmal den Film bis zu dieser Stelle gesehen.

    Dass die junge Generation von Zuschauern es offensichtlich erwartet, bevor sie das Wagnis eingehen, einen Film zu sehen, vor etwaigen, die Erinnerung an Traumata auslösenden Einstellungen gewarnt zu werden, ist unfassbar. Ich habe es vor Jahren in einem Kurzfilm gesehen, der gezeigt hat, wie in einer Filmhochschule o.ä. eine Filmstudentin (!) den Raum verlassen hat, weil sie einen Film nicht ertragen konnte. Sie hatte sich dann darüber beschwert, dass sie nicht vor den entsprechenden Einstellungen gewarnt wurde.

  12. Ursula Mayr:

    Bei künftigen Psychotherapeutinnen finde ich es noch unfassbarer.

    Bei Pans Labyrinth gabs direkt einen Skandal. Dabei ist del Toro bekannt für seine guten Subtexte – in diesem Film verarbeitet ein Mädchen in einer schwierigen Situation die lebensgefährliche Situation der schwangeren Mutter, die bei der Geburt des Kindes verstirbt. In ihren Phantasiebildern ist dieser Prozess sehr bildgewaltig nachvollziehbar, vor allem die Ambivalenz von Liebe und Hass auf das neue Geschwister, unter anderem im Bild eines kinderfressenden unterirdischen Monsters, das sowohl die eigene orale Aggression des Mädchens symbolisiert als auch das heranwachsende Kind, das ihr Stück für Stück die zusehends schwächer werdende Mutter nimmt. Das ganze spielt zur Franco – Zeit im Partisanenmilieu, da gibts natürlich ein paar blutige Szenen. So sieht Krieg eben aus. Das wollen sie nicht sehen.

    Die Ärzte in der Gruppe hats nicht gestört – klar, die sind Blut und Sterben gewöhnt, aber die gehen ja für die Psychotherapie jetzt verloren – die Psychologinnen tickten so aus dass ich das Seminar gar nicht mehr abhalten konnte, nach der Filmvorführung war nur noch Dauerempörung was man ihnen da zumutet.

    Ich denke das ist eine Spaltung in der jüngeren Generation, in der Regel gucken die ja Splatter – Movies und Zombies und Gewaltfilme bei denen sogar mir schlecht wird,wovon sich das bildungsfreundliche Milieu dann wiederum sehr stark abgrenzen will, insbesondere diejenigen die sich für Psychologie entscheiden – die wollen ja die Leute sensibilisieren, von der Gewalt wegbringen, die Welt besser machen – was weiss ich, da ist auch viel Selbstinszenierung in Richting „Hach, was bin ich sensibel“ dabei – denke ich manchmal. Sie sind eben die Guten, die erkennt man dran dass sie das Böse so weit von sich weisen dass sies schon gar nicht mehr angucken können. Was die dann mit einer Patientin anstellen die – wie früher von mir zitiert – sich freut wenn die Migranten im Meer ertrinken kann ich mir auch nicht vorstellen. So, jetzt hab ich mich genug ausgekübelt – aber das beschäftigt mich zur Zeit sehr, hab ja noch täglich mit den Mädels zu tun, aber bald keine Lust mehr. Dabei ist Lehren eigentlich so schön.

  13. Littlejack:

    Der Christus hat die Augen verbunden, die Muttergottes schaut zu. Was sagt uns das??

  14. Ursula Mayr:

    Ich denke, beides ist kein gutes Zeichen. Der eine wills nicht sehen oder erträgt es nicht … die andere …o h weia … Muttergottes als Symbol für die Mutter Kirche?

    Sieht es, aber es scheint ihr nicht viel auszumachen … steht weiter starr auf ihrem Platz.

  15. Anonymous:

    Das triffts …

  16. Michael Engelbrecht:

    Pans Labyrinth ist so ein grandioser Film. Als ich ihn damals im Kino sah, wurde ich von in seine aufwühlende Welt, in der Elemente von Fantasy neben grausamen historische Wahrheiten bestehen, ohne weit hergeholt zu wirken, hineingezogen, absolut dunkel, magisch, und wahrhaftig.

    Dass so ein Film dann auch wieder bei angehenden Psychotherapeutinnen auf solch Abwehr stösst, und die Mädels dann gar nicht mehr aus der Empörung rauskamen, verblüfft mich, und ich frage mich, ob sich das nicht, egal wie toll sie vieles können, als kontraproduktiv für die Arbeit rausstellt. Nicht nur bei Patienten wie der von dir geschilderten.

    Muss eine solche Abspaltung von Wirklichkeiten nicht als behandlungswürdig (und neurotische Störung) gelten?

  17. Ursula Mayr:

    Wenn „Zimperliese“ eine neurotische Störung wäre, dann hättest Du recht. Ich fürchte nur, da fehlt der unbewusste Anteil, um in den ICD zu kommen.

    Ein sehr oft gehörter Satz bei Filmvorführungen ist „Warum muss ich mir das ansehen?“ Die Antwort hiesse: Weil das Leben halt so ist! Kruzifix! Und ein Psychotherapeut auch in Abgründe schauen können muss. Zieht aber nicht.

    Die sind dann mit einer Lehrtherapeutengeneration konfrontiert, die als kleines Kind aus Ostpreussen oder dem Sudetenland geflüchtet sind, 1945 in einem Kinderheim in Berlin waren, als die Russen kamen, mit Eltern aufwuchsen, die Auschwitz überlebt haben etc. bzw selbst in einem KZ aufwuchsen, das zum Lager für Displaced Persons umgewandelt wurde.

    Alles in meinem Freundeskreis vorhanden. Und das Grauen noch in allen Ecken hängt. Da reibt sich’s natürlich, wenn die mit ihren Wehwehchen kommen – wir sind nicht mehr gut füreinander – ich auch nicht mehr für die …


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