Zunächst einmal – Tati’s Komik spaltet offenbar: während meine Mitgucker oft von Gähnkrämpfen befallen werden, kann ich mich bei MON ONCLE oder den FERIEN DES MONSIEUR HULOT (ein Feuerwerk an amüsanten Szenen) ununterbrochen kringeln. Wenn ich nur diesen beschwingt-lakonischen Soundtrack aus den FERIEN höre, hab ich schon gute Laune. Tati’sche Filme sind eine Pralinenschachtel: Jede Szene ist ein bisschen anders in ihrer speziellen Belustigungsart, aber jede schmeckt und zergeht auf der Zunge.
Nur: Was macht das Spezielle seiner Komik aus?
Während die Komik von Billy Wilder dialogisch aufgebaut ist und bei Chaplin oder Buster Keaton situativ, es bei Tati eine Komik der Körperlichkeit (hier sieht man das Vorbild Chaplin), die anrührend wirkt: eine Komik der Dinge und ihres vom Menschen unabhängigen Eigenlebens, sowie zum Dritten eine Komik der Peinlichkeiten, die NICHT geschehen. Das macht seine Besonderheit aus.
Komik des Körpers: Buster Keaton äusserte sich dazu, dass Tati es geschafft habe, eine Figur zu entwickeln, die in jeder Situation, in die das Leben oder der Regisseur sie hineinstellt, komisch wirke. Wenn man bedenkt, dass J. Tati durchaus athletisch und ein erfolgreicher Rugbyspieler war, ist seine Figur Hulot ein wahres Meisterwerk der Schauspielkunst in seiner unbeholfenen Körperlichkeit: steif in den Knien geht er ständig wippend auf den Ballen wie ein übermütiges Kind, die Arme gestreckt, die Hände geballt oder unruhig umherfingernd. Und wenn der Mund durch die Pfeife abgeriegelt scheint, wirkt er wie ein Bündel intensiver, aber widersprüchlicher Gefühle, die der Körper „containt“, die jedoch nicht nach aussen dringen dürfen. Er scheint stets zur Unzeit zu kommen, meint oft, sich verstecken zu müssen, und lässt seine Aktionen oft ins Leere laufen. Er wirkt anrührend, aber nie mitleiderregend, scheint mit sich im Reinen.
Chaplin war hier sein grosses Vorbild, aber er kopiert ihn nicht. Chaplins Kunstfigur irrlichtert zwischen Klassen und Gruppen, zwischen Anpassung und Rebellion in den Zeiten des Frühkapitalismus, von deren Räderwerk er aber durch seine Gewitztheit nicht zermalmt wird.
Hulots Welt – 30 Jahre später – bietet wieder Platz für sorglose Flaneure und soignierte Herren an Badeorten, aber auch für eine Arbeitswelt mit hochtechnisierten Arbeitsabläufen und Angestellten, die man von ihren Apparaturen kaum mehr unterscheiden kann (MON ONCLE).
Hulot rebelliert nicht dagegen, aber sein ungeschickter Körper verweigert sich offenbar allem, was verlangt wird, und leider auch dem, was er selbst zu bekommen wünscht. Eine tragische Situation, aber schauspielerisch so gekonnt ausbalanciert, dass wir schmunzeln müssen, weil wir den kleinen Rebellen in uns entdecken, der sich auch manchmal psychosomatischer Mittel bedient, wenn wir die Tretmühle nicht verlassen wollen, obwohl es dem Körper schon reicht.
Von der Komik der Körperlichkeit zur Komik der Dinge: das moderne Haus im ONCLE bekommt plötzlich Micky-Maus-Augen, als es draussen knallt, die beiden runden Fenster im Oberstübchen sich erleuchten, die Köpfe der Besitzer darin erscheinen und sich synchron bewegen. Das Haus äugt besorgt nach einer drohenden Gefahr.
Ein Bootsbesitzer will mit Farbe und Pinsel sein Boot benamsen, eine schelmische Welle entreisst es ihm, und neben dem halben Namen entsteht nur noch ein waagrechter Strich.
Eine geheimnisvolle Welt voll von Kräften, die die Dinge beleben und dem Menschen entgegenarbeiten oder ihm zuarbeiten, wie die freundliche Brandung, die Hulot (der etwas in seinem Boot anstreicht) den Farbtopf immer genau wieder in die richtige Position zurückspült, wenn er den Pinsel eintauchen will. Die Welt bekommt eine animistisch-märchenhafte Prägung, die uns in Kinderzeiten zurückführt, als wir überall Gesichter sahen und Geheimnisse erspürten, uns von (hoffentlich) freundlichen Wesen umgeben fühlten. Paranoia linksrum.
Hulots abmontierter Autoreifen (an dem etwas Laub klebt) wird irrtümlicherweise als Kranz an einen Grabstein gelehnt, und während der Bestattungsfeierlichkeiten geht ihm sicht- und hörbar die Luft aus.
Die Tür zum Speisesaal, die ständig auf- und zuklappt wie ein schwanzwedelnder Hund und dabei einen Ton von sich gibt, der alle in die Nervenkrise treibt. Der wasserspeiende Delphin im durchgestylten Neureichen-Vorgarten, der nur eingeschaltet wird, wenn es an der Tür klingelt, und der brav signalisiert, dass die Besitzer es zu etwas gebracht haben.
Die Komik der Abwesenheit von Katastrophen: eine weitere Spezialität sind Szenen, in welchen der Zuschauer die kommende Katastrophe nur imaginiert, diese aber nicht stattfindet – wie die beiden Eistüten des kleinen Jungen, die trotz seines beschwerlichen Weges ihr angestammtes Ziel erreichen, ohne auf dem Boden zu landen.
Der zähnefletschende tote Fisch, der aus der Einkaufstasche einer Marktbesucherin guckt und von einem Hund wütend angebellt wird, über dessen Gedanken sich der Zuschauer Gedanken machen kann. Das Haus, das der ONCLE bewohnt, und in dem man ihn in der Aussenansicht durch verschiedene Fenster mal treppauf, mal treppab, mal von links nach rechts und mal umgekehrt gehen sieht, bis er sein Dachstübchen erreicht hat – das Haus so individuell und verwinkelt wie der ganze Mann.
(Und manchmal entdeckt man Szenerien, die Loriot schlicht bei Tati geklaut haben dürfte, beispielsweise die Verwüstung eines Zimmers in dem Hulot ursprünglich nur ein Bild geraderücken wollte.)
Ein Spiel mit der Imagination des Zuschauers, der die Komik selbst finden oder konstruieren darf – diese passiert hinter dem Rücken der Akteure. Bitte kringeln!
Tati verfolgt also zu Anfang seines Werkes die Figur des „komischen Subjektes“ wie seine künstlerischen Vorbilder – das komische Subjekt verschwindet aber zusehends aus seinen späteren Filmen, in TRAFFIC und PLAYTIME taucht Hulot nur mehr rudimentär oder als Silhouette auf (in der Filmtheorie spricht man von Hulot-surrogates) und verschwindet schliesslich ganz zugunsten der Komik, die den Zerrbildern der Welt innewohnt, wenn man sie aus einer anderen Perspektive betrachtet, z. B. den zeitgleich anfahrenden und anhaltenden Autos auf einer Ampelkreuzung, dem durchgetakteten Verkehr einer Grosstadt aus der Vogelperspektive.
Und damit hört es auf komisch zu sein: diese Taktung bekommt einen bedrohlichen Charakter, ein Eigenleben der Dinge, die vom Menschen irgendwann nicht mehr gesteuert werden können, sie plagen nicht mehr einzelne Menschen, sondern bestimmen den Rhythmus einer Welt, in der Menschen kaum mehr stattfinden, ausser als Bediener ihrer Fahrzeuge und anderweitiger Mechanik.
Damit spannt sich der Bogen von der Anfangsszene der FERIEN: auf dem Bahnhof des Ferienortes rasen aufgrund unverständlicher Durchsagen die Menschen von einem Bahnsteig zum anderen wie aufgescheuchte Hühner (am Münchner Hauptbahnhof jederzeit zu erleben, wenn man aufgrund unverständlich geröhrter oder widersprüchlicher Durchsagen von Gleis zu Gleis hastet wie ein panisches Huhn mit Koffer, um dann vom ersehnten Zug nur noch den Hintern zu sehen). Hier kann sich der Zuschauer noch wiederfinden, und im Nachhinein grinsen. Jetzt wird es menschenleer, jetzt erstirbt uns das Lachen.
Diesen Gedanken zu Ende gedacht zu haben und bei der Konstruktion von Komik nicht dort stehenzubleiben bzw. damit in Serie zu gehen, sondern deren Dekonstruktion folgen zu lassen bzw zu einem bitteren Ende zu führen: das ist einer der grossen Verdienste dieses Regisseurs. I love him!