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2022 24 Jun

DALLAS – ein Crashkurs in der Fähigkeit sich nicht zu trennen

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | Tags:  | 21 Comments

 

Filme spiegeln gesellschaftliche und politische Gegebenheiten der Nation wider, das ist eine spannende Sache. 1981 war das Jahr, in dem sich die Gesellschaft spaltete in DALLAS-Fans und hoffnungslos geschmacksverirrte Anhänger von DENVER – CLAN. Deutschland war begeisterter Konsument.

 

Die Serie – Mutter aller amerikanischen Seifenopern – beschwor Gründerzeit-Mythen und amerikanischen Pioniergeist herauf, eine Orgie an Anachronismus. Im Zentrum stand der Ölmulti und texanische Haudegen Jock Ewing, ein John-Wayne-Klon wie frisch vom Planwagen heruntergestiegen, der seine Probleme auch gelegentlich mit einem Faustschlag löste und sich auch nicht scheute, seinen beiden erwachsenen Söhnen – in das Good Cop-Bad-Cop-Schema gut einzuordnen – im Krisenfall eine zu semmeln. Der alte Westmann stirbt nicht.

 

Seine etwas geistesschlichte aber gutherzige Frau – hier mit abgeschnittenem Unterleib – hielt ihm den Rücken frei. Die Familie – mit dem Zusammenhalt eines arabischen Clans – ist hier ein unentrinnbarer Fetisch, ihre Kohäsionskräfte sind gewaltig. Man wohnt zusammen auf der Southfork-Ranch, gut zugänglich und ohne Bodyguards – Amerikaner tun Amerikanern nichts, wer wird denn da an Kidnapping denken? Man trifft sich täglich zu den Mahlzeiten. Die Schwiegertöchter ziehen problemlos mit dazu.

 

Die Herren konsumieren dabei Whisky, tragen ständig Stetsons, als müssten sie der sengenden Präriesonne und dem Staub von Pferdehufen trotzen – das Ganze auch in ihren vollklimatisierten Büros, wobei vom intriganten JR dort auch reichlich Staub aufgewirbelt wird. Die Damen sind ehrenamtlich tätig oder arbeiten in der Modebranche, wenn sie überhaupt irgend etwas tun. Es werden ausschliesslich Söhne geboren, adoptiert oder untergeschoben, Töchter können keine Ölkonzerne leiten, sieht man ein. Und andere Versatzstücke des Western-Genres feiern fröhliche Urständ, es werden dauernd Rinder eingefangen, Barbecues veranstaltet, Squaredance getanzt …

 

So kleben die Familienmitglieder am Familienmagneten wie Eisenfeilspäne, können sich nur in der 2. Dimension verschieben, aber nicht in den dreidimensionalen Raum flüchten. Wie sieht das aus?

 

 

Su Ellen betrinkt sich aus Kummer wegen ihres ständig fremdgehenden Mannes, geht selbst ständig fremd, trennt sich und versöhnt sich und ist nach der Scheidung dauerhaft damit beschäftigt sich zu rächen und einen Film über Ihre Ehe zu drehen – etwa das Gegenteil einer sauberen Trennung. Dann verliebt sie sich in den Mann der später Jocks Witwe heiraten wird, ist aber dann doch mit dessen Sohn zusammen. Su Ellens Schwester macht sich einstweilen an JR heran. JR spannt seinem Erzrivalen Cliff Barnes die Freundin aus, später dann umgekehrt. Pams Schwester ist in deren Mann Bobby den Biederen verliebt und fährt ihn letal über den Haufen. Pam verlobt sich mit einem Mann, mit einem Kinn wie ein Vorschlaghammer, plötzlich steht aber Bobby unter der Dusche und alles war nur ein Traum; ein Twist, der das Publikum seinerzeit zutiefst aufrührte. Die zwischenzeitliche Liebe Bobbys heiratet dann seinen Halbbruder, mit dem Miss Ellies Enkelin aber vorher im Heu war. JRs zweite Frau Cally bekommt einen Sohn, der aber vermutlich von JRs inzwischen erwachsenem Sohn aus der Ehe mit Suellen stammt, wobei die Vaterschaft auch hier nicht gewiss ist. Usw …

 

Blickt jemand durch? Macht nichts, ich hab auch lange gebraucht … Das Ganze ähnelt jedenfalls eher einer Reise nach Jerusalem, mit einem paar Stühlen zuviel. Eine Nation versammelte sich am Lagerfeuer, rückte eng zusammen und erzählte sich die alten Geschichten.

 

Das Jahr 1979 – Serienbeginn – war ein Jahr der Umbrüche für die Staaten. Der schmählich verlorene Vietnamkrieg. Der Sturz des Schahs und die Inthronisierung Chomeinis und seines Antiamerikanismus. Revolution in Nicaragua. Der Einmarsch der Sowjets nach Afghanistan. Der GAU in Harrisburg. Die Hippie-Zeit und die sexuelle Libertinage – die Jugend begann Fliehkräfte zu entwickeln. Abtreibungsdiskussionen, Frauenbewegung, Friedensbewegung. Deutsche Ostpolitik. Der nicht enden wollende kalte Krieg

 

Da tut es gut, auf schamanistische Weise die Ahnen zu beschwören und deren Heilkraft anzurufen – ein amerikanisches Ritual, das sich heute noch in vielen dort entwickelten Therapiemethoden findet, die auf die Wirkung möglichst intensiver Gefühlswallungen setzen, als wäre die Neurose ein Teufel der nur mit Geschrei ausgetrieben werden muss.

 

Und was mochten WIR daran?

 

Als erstes den Fiesling JR, wenn er seine Intrigen spann und seine Meckerlache ausstiess, oder bei einem Misslingen so bedröppelt dreinschaute, dass er einem gleich wieder leid tat. Wir beäugten ihn wie einen Lausbuben mit etwas grenzwertigen Streichen, er machte die reale Welt der Ölkonzerne und ihrer realen Schweinereinen so nett und überschaubar, wenn man alles auf seine Ränkespiele mit Cliff Barnes eindampfte. So schlimm ists denn doch nicht auf der Welt …

 

Und da wären wir wieder bei den deutschen Feuerzangenbowlenlausebengeln und den Drei-von-der-Tankstelle-Kaspereien. Die Regression des Mannes auf den Pennälerstatus ist ein guter Tranquilizer gegen Schuldgefühle und vollbrachte Grausamkeit. Das funktionierte im deutschen Nachkriegskino ebenso gut wie bei American-Angst-Filmen wie diesem. Und diesem texanischen Hans Pfeiffer mit drei F, eins vorm Ei, zwei hinterm Ei.

 

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21 Comments

  1. Robert W.:

    Und wie naiv wir damals alles konsumiert haben. Diese reaktionären Botschaften.

    Und ich war so in Pamela verliebt!

  2. Ursula Mayr:

    Als aufrechte 68er hätten wir ja behauptet, dass der Haifischkapitalismus hier schöngeredet wird. Aber so paranoid sind wir auch nicht mehr …

  3. Michael Engelbrecht:

    Ganz grosser Text mit jeder Menge Lachkicks und ernsten Untertönen. Ich hoffe, du hast dir nicht alle Folgen auf Dvd nochmal ansehen müssen, um diese Geflechte aus Irrungen und Wirrungen faktensicher zu platzieren:)

    Pamela war mir zu lieb, um mich zu verlieben, aber ein Hingucker war sie schon. Ich sah damals auch diese Serie, und habe den Denver Clan Quatsch bestreikt, aber natürlich war Dallas auch ganz schön blühender Blödsinn. Trotzdem hing ich am Haken:)

    Zuletzt sah ich eine tatsächliche sehr gute neue Serie, die auch mit den Mythen des WildWest spielt und Kevin Costner als badass präsentiert. Da gibts aber keinen Kuschelfaktor der naiven Sorte mehr, hier knallen dysfunktionale Familiensysteme voll durch. Die Gewaltbereitschaft ist sooo hoch, auch der Soap- und Tragikfaktor (wie bei den alten Griechen): YELLOWSTONE, season 1-3 – highly recommended für all jene, die immer noch gerne Western (der Neuzeit) sehen. Die Lektion: es kann immer noch finsterer werden! Es gibt keine Beruhigung, keinen Frieden. Western Noir at its best.

    Heute kann man sich Dallas eigentlich nur noch angucken, wenn man so schlaue, entlarvende Texte dazu schreiben will:) Ansonsten eine Klamotte, die in den frühen 80ern verharrt, und nur noch einige schräge Fanclubs bespasst. Man erinnert sich, und wird ein wenig nostalgisch: man darf über sich selbst schmunzeln. Kann auch nicht jeder.

    Ein paar Jahre später begann dann eine Revolution im TV: sie hiess Twin Peaks.

  4. HDK:

    ich habe nur 1 oder 2 Folgen angeguckt
    pure Zeitschändung

  5. Ursula Mayr:

    Musste nicht nochmal gucken, das Ganze hat sich eingebrannt. Ich machte in den 80ern meine Therapieausbildung in München und dienstagabends reichte es dann nur noch zum Glotzen auf dem kleinen Schwarzweissglotzer in der Praxis. Mich faszinierten die Mechanismen der Trennungsvermeidung um jeden Preis, dieses permanente Miteinanderbeschäftigtsein und die völlige Vernachlässigung von Aussenkontakten, das fand ich hochpathologisch. Ich brauchte dann eine Decke für meine Couch und träumte in der Nacht dass mir Bobby Ewing im Laden eine weisse Felldecke verkaufte. So eine kaufte ich dann auch. Bobby war also für den Kuschelfaktor zuständig – trotz allen Testosteron – Rodeoreitens und den Siegen auf dem mechanischen Hüpfbüffel. Eine sexuelle Metapher, Pam war da auch ganz gut.
    Yellowstone werde ich ausprobieren.
    Was fandest Du an Twin Peaks so revolutionär?

  6. Michael Engelbrecht:

    An Twin Peaks? Ich müsste da sehr viel erzählen, so eine Serie hatte es nie zuvor gegeben, bin aber gerade auf dem Sprung in den Sommertag.

    Schön, mal wieder nach 40 Jahren den Namen der Ranch zu hören; SOUTHFORK RANCH. O lala – seltsame impacts!!

  7. Ursula Mayr:

    Okay, zu Twin Peaks wurde hier ja schon einiges geschrieben, kann ich ja nachlesen. Happy summer day – hier ists trübe. Noch ein paar Namen zum Nachhallen: Cliff Barnes, Afton Cooper, Digger Barnes, Jeremy Wendell Jenna Wade ( Priscilla Presley übrigens, guck mal wie die heut aussieht, Elvis rotiert schon im Grab)…

  8. Michael Engelbrecht:

    Ich komme gerade aus meinem Swimmingpool, Uschi, meine Liebste brachte den Martini mit Eis, und auf dem Cd Player läuft alte ExotikaMusik von Martin Denny. Und dann wieder ins Wasser, wie einst Dustin Hofman in DIE REIFEPRÜFUNG… i’m joking…:):):) –

    … wir gucken heute Abend weiter einer Folge der Superserie CALL MY AGENT!

  9. Michael Engelbrecht:

    Kleine Abschweifung, Uschi, zu David Lynch / Twin Peaks…

    Eintrag aus dem Jahre 2011:

    DAVID WANTS TO FLY

    Den Meisterregisseur David Lynch persönlich treffen und mit ihm übers Filmemachen reden! – Für den jungen David Sieveking geht ein Traum in Erfüllung, als er seinem Idol im Frühjahr 2006 erstmals direkt gegenübersitzt. Das Treffen findet am Rande eines Workshops in den USA statt. Lynch spricht dort über die Quellen der Kreativität. Und über die Transzendentale Meditation, eine Meditationstechnik, die der Kultregisseur seit über 30 Jahren tagtäglich praktizieren soll. Ist die Meditation das Geheimnis hinter Lynchs abgründigen Filmen? Die Recherchen des Filmemachers David Sieveking führen ihn hinter die Kulissen der Organisation der Transzendentalen Meditation, begründet einst vom legendären Yogi Maharishi Mahesh.

    Enthüllungsjournalismus der etwas anderen, und gewiss brillianten Art! Ein Augenöffner, die Manipulierbarkeit des Menschen betreffend. Die DVD-Edition ist exzellent. Sie enthält ausführliche Extras inc. Interviews mit renommierten Philosophen, Medizinern , Sektenforscher, die das Phänomen „TM“ in seine zum Teil bestürzenden, zum Teil ernüchternden Bestandteile zerlegen. Das Geschäft mit der Erleuchung! Manche Episopden sind fast tragikomisch (z.B. wenn der deutsche TM-König sich in Berlin als guter deutscher König präsentiert, der das Land unbesiegbar machen möchte). Die Interviews beginnen stets mit Anklängen an die berühmte Twin Peaks-Musik von Angelo Badalamenti. Der Regisseur verrät im Making of-Interview, dass er sich mitunter fühlte wie der Doughnuts verspeisende Detektiv in der Mystery-Serie.

    Vielkeicht kriegt man das Teil noch…

  10. Anonymous:

    TM und Abgründigkeit haben m.E. wenig miteinander zu tun. Stephen King hat meines Wissens nie meditiert, ohne ihn jetzt mit Lynch vergleichenzu wollen.

  11. Michael Engelbrecht:

    Das Abgründige von TM liegt in der Ausbeutung der zahlenden Kundschaft. Mit Herrn King hat diese Art des Abgründigen nichts zu tun.

    Aber jetzt bitte zurück zu DALLAS….😉

    Zum Aufschliessen der Erinnerung: „WHO NEEDS FORGIVING“ Trailer season 2
    https://www.youtube.com/watch?v=1_wLsxfXc3g

  12. Ursula Mayr:

    Mei, diese knallhysterische Suellen … das war herrliches Lehrmaterial. Im Untergrund eine dependente Persönlichkeitsstörung.

  13. Michael Engelbrecht:

    Die war doch auch Alkoholkerin, gelle?

  14. Ursula Mayr:

    Aber hallo …

  15. Anna Niemusdottir:

    zeichnet DALLAS ein realistisches Bild US-amerikanischer Moral?

    sind DALLAS, Western, SciFi etc. Volkserzieher bzw. Lieferanten von Verhaltensmodellen?

    kann man Therapeuten trauen, die ihre diagnostische Kompetenz von US-amerikanischen TV-Oldtimern beziehen?

  16. Ursula Mayr:

    Es geht hier wohlgemerkt um Trivialfilme, im vorliegenden Fall um solche der 70er und 80er Jahre. Trivialfilme zeichnen sich aus durch eine saubere Gut – Böse – Aufteilung und ungebrochen eindimensionale Charaktere ohne grössere Differenzierung sowie vertraute Konfliktmuster, eindeutige Sympathielenkung und “ saubere“ Lösungen. Das Gute gewinnt zum Schluss. Das ist nicht nur ein amerikanisches Muster von Disney bis Bruce Willis sondern wohl der weltweite Wunsch nach einer überschaubaren Welt, natürlich nationenbedingt eingefärbt – in den USA sehr individuo – zentrisch ( der gute american boy rettet die Welt im Alleingang ), in der östlichen Hemisphäre darfs auch mal das Kollektiv schaffen, das ist den boys aber dann schon zu “ kommunistisch“, das wurde ja damals noch gefürchtet.Die japanischen Pokémon sind Kollektive.
    Lieferanten von Verhaltensmodellen? Das müsste man die Drehbuchautoren fragen; bei manchen bayrischen Serien ( Dahoam is dahoam ) entsteht sehr stark der Eindruckdes Erzogenwerdens.
    Recherchen zufolge ist das Pentagon auch mit der Filmindustrie verbandelt ( wie damals die UFA in Deutschland mit der amerikanischen Militärregierung )und gibt durchaus mal Machwerke in Auftrag die die Stimmung im Land beeinflussen sollen ( z. B. DER GLADIATOR zum Beginn des Golfkriegs, in dem der Imperialismus angeschwärmt wurde), dazu aber lieber ein eigener post.
    Therapeuten ist grundsätzlich nicht zu trauen, die hängen die ganze Zeit vor dem Fernseher und denken, sie verstünden was von Menschen.Kollege Micha wird das gern bestätigen.

  17. Michael Engelbrecht:

    Genau, Uschi. Komplette Eskapisten, sie sich mit herzlich wenig Lebenserfahrung durchmogeln, immer auf die gleichen Patentrezepte setzen, dem Trivialen das Abgründige attestieren (Dallas) , und dem Patienten für antrainerte Lebensweisheiten das Geld abknöpfen (Dalai Lama).

    Soviel Chuzpe ist einfach überwältigend, da ändert sich die Kundschaft herzlich gerne in Windeseile – bei so viel Blenderei und blendenden Role Models winken überall kleine Erleuchtungen!

  18. Ursula Mayr:

    Hat das der Dalai Lama gesagt?

  19. Michael Engelbrecht:

    Mein ganz privates Blendwerk, dear lady from Übersee 🎩

  20. Ursula Mayr:

    Bleibt aber alles unter uns Windeiern …

  21. Michael Engelbrecht:

    Abgründe😂:

    https://www.fernsehserien.de/news/dallas-rtl-nimmt-kult-soap-der-1980er-jahre-ins-programm-auf
    Heut bei google


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