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2023 12 Jun

„Y tu mama tambien“ (2001)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags:  | 10 Comments

1 – Vorspiel –  Einmal habe ich diesen Film gesehen, als er in die Kinos kam, und als ich gestern nur den Trailer wiedersah, könnte man ihn auch für „Eis am Stiel“ auf mexikanisch halten, aber der Film geht, da traue ich meiner Erinnerung, so viel tiefer. Die Leichtigkeit der Jugend ist da so präsent wie, subkutan, der Tod. Mir fiel der Streifen wieder ein, als ich, auch schon wieder eine Weile her, „Licorize Pizza“ sah, von Paul Thomas Anderson. Und was an der Oberfläche eine „luftigleichte Sommerkömödie ist“, gibt, wenn die Wahrnehmung in bestimmter Weise kalibiriert ist, eine besondere melancholische Schwingung frei, die sich durch den ganzen Film zieht. Die Aura einer alten verschwundenen Ära, mit grossartiger Kameraarbeit, gutem Storytelling und Klasse-Soundtrack eingefangen! Und nicht mit „Pickel-Joe“ habe ich mich identifiziert, der beharrlich einer Angehimmelten seine Offerten macht, sondern mit der Stimmung des Films.

 

 

 


2 – Verlangen – Gibt es den Ausdruck „mood movie“? Solche speziellen „moods“ ziehen sich auch durch „Y Tu Mama Tambien“, den ich mir vor Jahr und Tag als alte Dvd (original mit deutschen Untertiteln) für 4,95 Euro bestellte. Peter Bradshaw bemerkte zu dem Film: „It looks like it’s obsessed with sex – but actually this film is obsessed with death.“

Ich habe mich schon dabei erwischt, „Stand By Me“, American Graffiti“, „Nordsee ist Mordsee“, „Absolute Giganten“ (letzteren kann ich mir immer wieder ansehen, er fängt so herrlich doof an und ist einer der profundesten Filme deutscher Herkunft über das Ende der Kindheit) und „Jede Menge Kohle“ rauszusuchen (hier kann man mich in einer Statistenrolle sehen, ist ja auch ein „Ruhrgebiets-Burner“ aus Dortmund).

Coming of Age-Filme durch die Bank. Aber alle mit jener Melancholie verwoben, die von der erhebenden Sorte ist, und so wichtig ist für jede Feier des Lebens. Grosse Freude, „Y tu mama tambien“ neu zu entdecken.

 

 

3 – Verwandlung – Was für ein zweites Sehen! Einige der glücklichsten Momente des Films sind die, in denen sie durch die Landschaft fahren, das Auto mit Fastfood-Verpackungen übersät, Luisas Füße auf dem Armaturenbrett, berauscht von der Sonne und der Freiheit des Unterwegsseins. Cuarón ist großzügig genug, um ihr Eden am Meer tatsächlich existieren zu lassen. Auf dem Weg dorthin gibt es auf der Kassette ein wunderbares Stück von Brian Eno zu hören, dass das Thema des Trios, Nähe und Distanz, Träumerei und Melancholie feinsinnig vertieft –  und, zauberhaft, wie die Kassette, der Song, ins Stocken geraten, den Geist aufgeben.

Der schöne Abschnitt, in dem die Drei das Meer erreichen und bei einem Fischer und seiner Familie campen – es wirkt wie eine ausgedehnte Idylle, eine elementare Existenz, die das Rauschen in ihren Köpfen übertönt und sie alle vor Zufriedenheit schnurren lässt. Und all das zahlt sich auf dem Höhepunkt aus, einem Moment, in dem alles aus dem Ruder läuft, der gleichzeitig ein großartiger, gewagter Witz, die tiefste Bestätigung des Glaubens des Films an die Herrlichkeit der Lust ist. 

Bis zu seiner melancholischen Coda (deren Stimmung durch die beiläufige Elegie von Frank Zappas Komposition „Watermelon in Easter Hay“ aus dem unterschätztem Opus „Joe‘s Garage“ eingefangen wird) teilt Y tu mamá también dieses Gefühl der Freude – am Ende herrscht pure Wehmut.

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10 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Das ist aber jetzt nicht wirklich underground!

  2. Michael Engelbrecht:

    Ganz sicher iat das nicht underground im filmhistorischen Sinne! Das war sogar ein Kassenschlager on Mexiko. Wir solllten in dieser Reihe den Begriff underground mal ganz erheblich erweitern, und mir geht schon der Text dazu im Kopf rum.

    … zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit, zwischen Kult und kaltem Kaffee, zwischen high brow und Schmuddelecke…

    Wenn man bedenkt, wie die ganze LGBTQ-Gemeinde weltweit neue Anfeindungen erlebt, zum Beispiel in Ostdeutschland, in der Türkei, bei den Republikanern und sonstwo (siehe arabischer Winter), dann können solche Filme wie dieser immer noch fucking subversiv sein. Würden wir den Begriff zu eng fassen, landen wir in einen kleinen Arthouse Zirkel und preachen den Bekehrten.

    So kann auch, seitwärts gedacht, ein sog. Mainstream- Film sehr undergroundig sein, im weitesten Sinne.

    Wir sind ja nicht an Sprachfesselungen gebunden.

    In einer grösseren Gemengelage für UNDERGROUND wird dann die Akzeptanz für Borowczyks IMMORAL STORIES etwas grösser 😂🥁

  3. Ursula Mayr:

    Aha!
    Schon lange her, dass ich die “ Mama“ gesehen habe, hatte es damals unter Coming – of – Age eingeordnet, erweitert um die Entdeckung der Sexualität aber das klingt jetzt natürlich furztrocken und es erhebt sich die Frage ob man überhaupt alles in Genres einordnen muss. Das kommt davon wenn man zuviel Filmliteratur liest, dann kommt man ins mindfucking und versäumt das Flirren und Leuchten das manche Filme haben.Aber dafür haben wir ja Dich.
    Preaching des Bekehrten ist ein guter Ausdruck, ist der von Dir? Zu Metzinger, den ich immer noch nicht gelesen habe, aber ein früheres Werk von ihm, an das ich mich inzwischen erinnere: Dergleichen Autoren arbeiten gerne mit dem Begriff “ Wir“ und merken nicht dass das ihr privates Konstrukt ist. “ Wir müssen“ , wir sollten“ usw. Aber wer ist wir? Die paar Tausend, die sich das Buch gekauft haben und die ohnehin die im Buch angesprochene Gesinnung haben, sonst hätten sies nämlich nicht gekauft. Die werden halt noch ein bisschen gescheiter- was man gegenrechnen muss zu dem Aufwand an Energie und Ressourcen, das die Herstellung dieser zahllosen Bücher, die auf dem Markt so herumgeistern auch kostet. Wenn die Einnahmen aus solchen Werken dann wenigstens Greenpeace oder einem Verein gegen Kükenschreddern zur Verfügung gestellt würden wäre ich da viel milder gestimmt.Unser Oberarzt ermahnte früher in der Klinik immer den vielschreibenden Chefarzt: Herr Professor, schonen Sie unsere Wälder!

  4. Michael Engelbrecht:

    😉 preaching to the converted ist ein gängiger Aisdruck aus dem Amerikanischen.

    Ich sprach ja auch in dem comment von „wir“, meinte da aber nur dich und mich. Aber was heisst hier schon „nur“?! 🥁

    Es gibt tatsächlich wunderbar leuchtende Szenen in diesem Film von 2001.

  5. Michael Engelbrecht:

    Übrigens, wenn man mal von seinen herzlich naiven Handlungsideen (und hier und da für Einzelne ganz brauchbaren Anregungen absieht), die einen edlen Altruismus und Meditation predigen, ist das Buch im Grunde rabenschwarz, und würde sich ohne diesen Zuckerrand aus „Scheitern in Anmut“ (ein Euphemismus aus meiner Sicht für „krachendes Scheitern“) und „intellektueller Redlichkeit“ (hallo, was denn sonst?) auch gut in gothic-Kreisen machen.

    Ganz okay an dem Buch ist allemal seine Ferne zu westlichen Religionen und sein Andocken an der Popper‘schen Falsifitierbarkeit, sprich: Kritischem Rationalismus. Leider kommt sein leicht manierter Stil immer etwas wie von der Kanzel herunter rüber. Fehlt nur noch eine Talkshow der Herren Precht Metzinger:)

  6. Michael Engelbrecht:

    Das fand ich noch, und passt:

    „Die meisten Filme über die sexuellen Eroberungen geiler Teenager, die von einem rasenden hormonellen Drang übermannt werden, werden nicht als „sexy“ empfunden. Alfonso Cuaróns Oscar-nominiertes mexikanisches Drama mit Diego Luna und Gael García Bernal in den Hauptrollen als beste Freunde, die mit der älteren und unglücklich verheirateten Luisa (Maribel Verdú) einen Roadtrip machen, ist die Ausnahme. Manche Filme sind sexy, weil sie sich der Fantasie hingeben. Dieser Film ist sexy, weil er sich real anfühlt. Cuarón erreicht dies nicht, indem er sich auf Handkameraaufnahmen und improvisierte Dialoge verlässt, sondern indem die Handlung anerkennt, dass es jenseits der Freuden des Schlafzimmers harte Realitäten gibt, die flüchtige Ekstase umso ekstatischer machen. In Y Tu Mama También wird die inhärente Fluidität der männlichen Sexualität mit seltener Ehrlichkeit und Intimität behandelt. Reife Zärtlichkeit triumphiert am Ende über jugendliche Lust.“

  7. Alexander Fritz:

    Michael, oben Dein Kommentar ist im falschen Beitrag!

  8. Michael Engelbrecht:

    Alex, wir (also U und ich) schweifen gerne mal ab. Die kleine Ergänzung wurde aber gewiss von allen gelesen, die hier Zeit verbringen, der falsche Ort ist kein Hindernis.

  9. Michael Engelbrecht:

    Uschi, mein nächster Film wird Angels of Sex sein, ein Erotica „Underground“ Klassiker aus Spanien. Oder meine preisverdächtige short story zu The Duke Of Burgundy:) … ich habe gestern nochmal deine tolle Besprechung deslesbischen Vampirthrillers gelesen, sehr cool😅, und sowas von UNTERGRUND!!! Der kriegt hier auch noch mal ein Revival…

  10. Michael Engelbrecht:

    Liebe U, wir lassen das mal mit dem „erotischen Sommerkino“ – kollektiv gesehen, dann doch eher ein Rohrkrepierer😂 – wir kommen vor lauter Schreiben ja kaum noch zum Schwitzen ….


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