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2022 12 Jan.

Like a velvet glove cast in iron

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 7 Comments

 

Alle paar Jahre, immer wenn Daniel Clowes ein neues Buch herausbringt, können sich Comiczeichner auf Selbstzweifel und auf die Zerlegung jeder Faser ihres Daseins gefasst machen, schreibt Chris Ware in seinem Essay Who´s afraid of Daniel Clowes. Seine Zeichnungen hätten eine Elektrizität, die er nur wenige Male in seinem Leben gespürt hatte. Like a velvet glove cast in iron erschien im Jahr 1993, ich habe das Buch jedoch jetzt erst entdeckt. Es ist die verstörendste Graphic Novel, die ich bisher angesehen und gelesen habe, sie entfaltet den ungeheuren Sog einer Alptraumlogik, einer Welt, in der Gewissheiten von Raum, Zeit und Person nicht mehr existieren. Like a velvet glove cast in iron ist eine Metapher für etwas, was nett und sanft daherkommt, dahinter aber unbarmherzig zuschlägt. In einem Downtown-Kinosaal, in dem ausschließlich schräge Typen sitzen und die Schuhe am Urin auf dem billigen Fußboden kleben, sieht Clay, ein früh gealterter Thirtysomething, in einem Film einige Szenen mit sich selbst. Durch eine Bemerkung erfährt man fast 30 Seiten später, dass die Frau, mit der er im Film agiert, eine frühere Freundin von ihm war, die ihn eines Tages verlassen hatte, ohne dass er gewusst hätte, warum. Zu behaupten, im Film ginge es um die Suche nach dieser Frau, klingt zu einfach, es dürfte jedoch der rote Faden der verworrenen Story sein, die man mindestens zwei Mal lesen und die Bilder genau betrachten muss, um wichtige Zusammenhänge zu begreifen: Symbole kehren immer wieder, vor allem die skizzenhafte Zeichnung eines Männergesichts, eine Markierung mit einer historischen Bedeutung. Oder nicht? Personen reagieren fast immer unberechenbar (das ist nicht immer negativ) und sie können unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Altersstufen auftauchen. Auch auf Gesetze der Genetik und der Biologie ist kein Verlass. So gibt es einen Hund ohne Körperöffnungen, der nur von einer täglichen Spritze Wasser lebt; er läuft Clay einfach hinterher. Die Schnitte zwischen den Bildern, die Szenerien, vor allem aber Daniel Clowes Fähigkeit, in einem Gesichtsausdruck nicht nur eine Weltsicht und eine Individualität, sondern auch Gefühle auszudrücken und sie in dem Augenblick auf den Lesenden zu übertragen, ist überwältigend. In einem Interview aus dem Jahr 2011 fragt Kristine McKenna: You once made the comment, „Basically, I think we’re all repulsed by each other.“ Do you really feel that way? Daniel Clowes: In a certain context, yes, I do think that’s true. You don’t want to look too closely.

Trotz aller Düsternis und auch wenn Clay sicherlich nicht das Subjekt seiner eigenen Geschichte ist: Die Liebe gibt es in Like a velvet glove cast in iron dennoch; auch sie irritiert. Das :-D Magazin hat die Graphic Novel so beschrieben: It was Twin Peaks before Twin Peaks. Georg Seeßlen hat in einem grandiosen Essay, publiziert im Jahr 2004, das Kino von David Lynch in Thesen zusammengefasst und eine Bemerkung zur Einsamkeit gemacht, die auch auf Clay in Like a velvet glove cast in iron zutrifft: „In David Lynchs Filmen haben wir es mit einer neuen Form von Einsamkeit zu tun. Es ist (…) nicht die Einsamkeit des existenzialistischen Menschen, der zu einer Freiheit verurteilt ist, die er nicht hat, es ist vielmehr die Einsamkeit des Menschen, der mit den Zeichen der Welt allein gelassen ist, der die Welt unendlich lesen muss, ohne ihre Grammatik zu kennen.“ Prämissen des Alltagslebens wie die, dass man sich an die wichtigsten Personen in seinem Leben erinnert, scheinen ausgeschaltet. Zufälle oder andeutungsreiche Codes: Wieso erschrickt Clay, als er fünf weiße kleine Bälle auf seiner Bettdecke findet? What’s the frequency, Kenneth? (Rings a bell?)

 

Awareness is just an illusion,
yourself is a half split in two.
Happyness, pain and confusion,
all is one, one is one, one is two.

 

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7 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    Ich habe das Comic relativ kurz nach Erscheinen gelesen – wir hatten uns ja schon darüber ausgetauscht – den Begriff graphic novel gab es damals noch nicht, er ist aber viel treffender als „Comic“. Das Gefühl von Beklemmung ist mir noch präsent, dazu so etwas wie vielleicht Ratlosigkeit – irgendwie war das sehr gruselig, verstörend. Und wo ich Deinen Text lese, mit diesem sehr treffenden Zitat zu Lynch, muss ich noch an Mulholland Drive denken, der aber viel später kam.

  2. Uli Koch:

    Das hört sich ja sehr spannend an; skurril, morbide, fast ein bißchen präpsychotisch und komplex. Das macht mich neugierig!
    Habe gerade gesehen, dass Daniel Clowes eine Edition der surrealen Geschichten der französischen Zeichnerin Nicole Claveloux editiert, die demnächst erscheinen soll. Das wird bestimmt auch eine Freude der besonderen Art.

  3. Martina Weber:

    Uli, die Storysammlung „Caricature“ von Daniel Clowes geht in eine ähnliche Richtung, ist aber weniger verrätselt als „Like a velvet…“ Für mich ist Daniel Clowes eine faszinierende Entdeckung. Ich bin über eine Graphic Novel von Adrian Tomine („The loneliness of the long-distance cartonist“) auf Clowes aufmerksam geworden.

    @ Olaf und nicht weiterlesen, wer Like a velvet… nicht kennt und es noch lesen möchte: So eine Story darf nicht ins Willkürliche ausufern, es muss Verbindungspunkte geben, die man wenigstens erahnen kann. Hier eine solche Verbindung, als These: Clay (main charakter) war der Jugendfreund der dunkelhaarigen Frau, als sie an der Sommerhütte am See mit Freunden war und einfach von ihm wegrannte, weil sie ihn als aufdringlich empfand (S. 43 unten, habe die englischsprachige Ausgabe). Es wirkt befremdlich, weil die Frau diese Geschichte Clay erzählt. Der junge Mann sieht Clay auch nur bedingt ähnlich (Schulterlinie, Ohren), aber auch die Frau sieht als Jugendliche etwas anders aus. Am Ende hätten wir dann eine Art Familienzusammenführung mit Kuckuckskind – der Familienaspekt jedenfalls wäre sehr amerikanisch.

  4. Olaf Westfeld:

    Ich habe mich gestern nach dem Lesen deines Posts auf die Suche begeben. Ich schrieb ja schon, dass ich „velvet glove“ in verschiedenen Folgen der Eightball Hefte gekauft hatte, also nicht in einem Band, sondern in ca. 10 Heften. Nun habe ich beim oberflächlichen Suchen viele interessante Sachen gefunden, aber noch nicht diese ollen Hefte. Ich werde weiter suchen… und hoffe, die nicht bei irgendeinem Umzug doch mal entsorgt zu haben. Leider kann ich deswegen auch gar nicht mehr viel zum Inhalt schreiben, nur zum Gefühl des Unheimlichen.
    Nicole Claveloux habe ich gleich mal nach geschaut – das hört sich auch sehr interessant an: https://www.nyrb.com/products/the-green-hand-and-other-stories-paperback?variant=40417302479016

  5. Martina Weber:

    Das ist was anderes, wenn man die Story in Einzelausgaben liest. Stöbern in halb entsorgten Gegenständen ist meistens inspirierend. Wie man sich da gefangen nehmen lässt von Erinnerungen.

    Die Eightball-Ausgaben von Clowes erscheinen gesammelt Mitte August als Buchausgabe, mehr als 500 Seiten.

  6. Olaf Westfeld:

    Es hat auch verhindert, beim Lesen in einen Flow zu kommen, weil ich mir die Hefte über einen längeren Zeitraum gekauft habe.
    Ich erinnere mich auch noch an kürzere Geschichten in den Heften – an einige auch sehr konkret. Der Band könnte lohnend sein, da ist dann ja vielleicht auch Ghost World drin…

  7. Martina Weber:

    Klar, gestückeltes Lesen (bzw. Anschauen; Lesen ist nur ein Teil der Rezeption) verhindert den Flow, und es macht das Erkennen von Zusammenhängen bei einer derart komplexen Story unmöglich. Ich habe mir immer mal wieder Seitenangaben direkt ins Buch hineingeschrieben, Verbindungslinien.

    Sich an einzelne, sogar kurze Geschichten zu erinnern: Das ist etwas ganz Besonderes. Mir geht das auch so, auch bei einigen sehr kurzen (einseitigen!) Geschichten von Adrian Tomine.

    „Caricature“ wird dir vermutich auch gefallen. Wäre dann aber wohl auch in der Eighballsammlung.

    „David Boring“ ist wieder eine längere Graphic Novel. Mehr gerade erzählt, aber auch in Alp-Traumlogik.

    Insgesamt reizen mich mehr die introvertierten, verschachtelten Erzählweisen bei Clowes. Ich werde also nicht alles von ihm lesen.


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