Manafonistas

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2021 12 Juli

Reisen ins Innere („Over Chiangmai Mix“)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

 

TABU – Anderthalb Stunden Schlaf, zwei Stunden allergischer Schnupfen, zwei Stunden Übelkeit, zwischen drei und fünf Uhr nachts, von der zweiten Riesenportion Eziclen, Kenner der Materie wissen, dass es sich hier nicht um ein Aphrodisiakum handelt, meine Fresse, hart. Ich erinnere mich gut an Freunde der Literatur, die, wie ich einst, Peter Rühmkorf liebten, selbst wenn er in letzten Tagebüchern uns sehr detailliert Aufschluss gab über die Wege, die die Endoskopie beschreitet, wenn sie durch den Anus oder andere Körperöffnungen den Status innerer Organe ermittelt. Man trennt gemeinhin die sogenannte zeitlose Kunst vom alltäglichen zeitbegrenzten Körper, dass ich es mutig fand, wie Peter mit heiterer Ironie zwischen Darmspiegelung und bundesrepublikanischen Befindlichkeiten changierte. Nun hatte ich heute morgen auch das gemischte Vergnügen einer Koloskopie, und fleissig Vorbereitungen getroffen, dass die Wege durchs die Windungen des Darms nur von kamilleteefarbener Patina begleitet wurden. Wie gesagt, wer jetzt sagt, nun wird‘s aber eklig, den erinnere ich an einen gar nicht so dummen Bestseller vergangener Jahre, der sich detailfreudig der Poritze und dem Anus widmete (by the way eine supererogene Zone), oder an Rühmkorfs Reisen durch den eigenen Körper.

 

 

ASTRAL – Bevor nun die hier öfter aufflackernde Unlust am „navel-gazing“, am Tanz um den eigenen Bauchnabel, wieder um sich greift, packe ich das Thema gleich mal seitwärts bei den Hörnern. Als Joni Mitchell einst ihre Liebesgeschichte mit Graham Nash verarbeitete, auf einem der schönsten Liederzyklen des 20. Jahrhunderts, „Blue“, wurde das ganz und gar Private auf einmal universal, und als sie später in ihren Liedern andere Personen porträtierte, war es nicht weniger persönlich, und auf andere Weise universell. Randy Newman hielt es so von Anfang, schlüpfte öfter mal in die Rolle von Vollpfosten und Rednecks. Aber wie bei Joni war das Spektrum seiner Figuren breit wie eine Shakespeare‘sche Theaterbühne, es gab eben auch die Gescheiterten, die Weltenträumer, die Opfer der Geschichte. Van Morrisons Kreisen um eine grosse Liebe, auf „Astral Weeks“, öffnete Räume der Kindheit, für manch einen gar einen kosmischen Empfindungsraum: die Nabelschau wurde zum Spiegelkabinett, in dem wir unsere eigenen waidwunden Herzensgeschichten neu erleben konnten, Trauma- und Traumtherapie in einem. Das hinderte den guten Van  nicht daran, später in die Fallen von Scientology und anderen Konspirationsmüll zu tappen. Hölzchen auf Stöckchen, nicht wahr!?

 

 

CHILL – Der Doc, der meine Darmspiegelung durchführte, und hinterher seine Entdeckungen mit mir besprach, war zum Glück einer dieser empathischen Ärzte, die das Gespräch suchen und eine besondere Atmosphäre kreieren. Ob ich die Reise auf dem Monitor mitverfolgen wollte, fragte er mich, und als Freund des italienischen Post-Neo-Realismus überlegte ich kurz, entschied mich aber für die Schlafspritze: da liebe ich das Empfinden, wie man in eine süsse Bewusstlosigkeit befördert wird, wobei ich stets versuche, diesen viel zu schnellen Übergang möglichst lang auszukosten. Hinterher brachte dieser wirklich herausragende Arzt / Mensch auch nur gute Neuigkeiten, und wer immer sich in Aachen einer Koloskopie unterziehen will, dem kann ich mit gutem Rat zur Seite stehen. Einmal mehr in 80 Welten um den Tag. Daheim legte ich, nach drei Stück Marmorkuchen, The Plateaux of Mirror auf, und das Lächeln auf meinem Gesicht war alles andere als eine Momentaufnahme. The Chill Air. Wind in Lonely Fences. Es wird Zeit, die Schwerkraft zu besiegen.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Frau Wikipedia merkt an:

    Navel-gazing or omphaloskepsis is the contemplation of one’s navel as an aid to meditation.

    The word derives from the Ancient Greek words ὀμφᾰλός (omphalós, lit. ’navel‘) and σκέψῐς (sképsis, lit. ’viewing, examination, speculation‘).

    Actual use of the practice as an aid to contemplation of basic principles of the cosmos and human nature is found in the practice of yoga or Hinduism and sometimes in the Eastern Orthodox Church.

    In yoga, the navel is the site of the manipura (also called nabhi) chakra, which yogis consider „a powerful chakra of the body“.

    The monks of Mount Athos, Greece, were described as Omphalopsychians by J.G. Millingen, writing in the 1830s, who says they „…pretended or fancied that they experienced celestial joys when gazing on their umbilical region, in converse with the Deity“.

    However, phrases such as „contemplating one’s navel“ or „navel-gazing“ are frequently used, usually in jocular fashion, to refer to self-absorbed pursuits.

  2. Michael Engelbrecht:

    Der Soundtrack dieses Textes:

    Van Morrison: Astral Weeks
    Joni Mitchell: Blue
    Harold Budd / Brian Eno: The Plateaux of Mirror


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