Gestern tauschten Jan und ich ein paar Faszinationen zu Laurie Anderson aus, und irgendwann bemerkte er in einer der hin und her wandernden „Laurie-Mails“, dass der Nachfolger von „Big Science“ doch ein wenig und fast sträflich in Vergessenheit geraten sei. Und wie ein fast verschollener Ohrwurm liessen sich Bruchstücke ihres Duos mit Peter Gabriel in meinen Ohren nieder, aus dem Stück „Dangerous Birds“ und ferner Erinnerung – am Tag darauf durchforstete ich mein Archiv nach „Mister Heartbreak“. Ich hatte „Mister Heartbreak“ einst, sofort nach ihrem Erscheinen, gekauft, das war früh im Jahr 1984, wie ich bei Wikipedia nachlese, und das Album fesselte mich genauso, wie zuvor ihr Klassiker „Big Science“, der schon ein Klassiker war, als er das Licht der Welt erblickte, vor 40 Jahren, und später das nicht minder fantastische Album „Bright Red“, das Brian Eno produzierte und mein Trio von Laurie Anderson-Lieblingsalben komplettiert.
A propos „Bright Red“. An einem heissen Sommertag des Jahres 1993 hockte ich bei Brian in seinem damaligen Londoner Studio in Kilburn, und er arbeitete gerade an einem „Rhythm Track“ aus einer New Yorker Session mit Laurie, und es erschien uns anfangs eine gute Idee, diese rohen Pulsierungen als Hintergrund für das Interview zu verwenden. Das ging ein paar Minuten gut, bis Brian rief: „Michael, ich kann, glaube ich, nicht klar denken wenn diese Musik läuft, ich finde das so spannend, dass ich immer wieder hinhören möchte, vielleicht dran feilen, vielleicht einfach nur hören.“ Schliesslich war das Thema des Besuchs auch „Neroli“. Ein Jahr später erkannte ich den Rhythmus wieder, als ich „Bright Red“ auf der guten alten Chrom-Kassette in der Toskana hörte. Das Promotions-Exemplar. Das Album verzauberte mich – in all seiner gesammelten Dunkelheit passte es herrlich zum sonderbar milden Licht der Hügelketten, wie ein Kontrapunkt.
Aber ich schweife ab. Ich durchforstete also das Archiv nach „Mister Heartbreak“. Nun halte ich nichts von alphabetischer Ordnung, aber es gibt Momente im Leben, in denen sich das bitter rächt. Eine geschlagene halbe Stunde suchte ich nach der CD, bis ich sie schliesslich erblickte, aber, von wegen, Lohn der Mühe: als ich das Plastikteil öffnete, war keine CD darin. Mist. Und ich hatte ihr innerlich schon einen klar definierten Platz in einer sommerlichen Zeitreise im Nachtradio zugewiesen. Ich erinnere mich, ohne Google und Wikipedia, an Synclavier-Sounds, die sie da ausgiebig benutzte (ohne dass mir der Sound später veraltet schien), an die Stimme von William Burroughs (ist sie da wirklich einmal zu hören?), an seltsam tropische Stimmungen. Und wie sie ihre Stimme so lässig und konzentriert zwischen Sprache und Gesang platziert. Das Duett mit Peter Gabriel ist sicher nicht der einzige potentielle Ohrwurm. Die schönsten Laurie Anderson-Alben sorgen stets dafür, dass ich mich in die Landschaften der Songs hineingezogen fühle. Als könnte ich dort ein Zelt aufschlagen, zum Nachthimmel schauen, und die verspielten surrealen Texte mit jeder Pore aufsaugen. Ich werde geduldig warten, bis die Silberscheibe aus ihrem Versteck auftaucht, und keine billige Auffrischung auf spotify suchen. Sie soll irgendwann mit vollem Sound meine elektrische Höhle erfüllen, und mir noch mal die Sache mit Sharkey erzählen. Bis dahin ist „Mister Heartbreak“ in meiner biegsamen und windschiefen Erinnerung bestens aufgehoben.