„We’re all so Tory-tired / And beaten by minds small.“ Die Sleaford Mods und Angela Merkel in einem Text – geht das? Easy peasy. Wie Glühwein und Spare Ribs. Die scharfen Sozialkritiker der trostlosen britischen Regierungsriege bringen auf ihren Alben eben auch anarchischen Humor ins Spiel von Zorn und Unmut. Und ihr fabelhaftes neues Album, das Mitte Januar erscheinen wird, belegt, dass es in diesen Zeiten nicht nur Besänftigung braucht. Meine schreibende Kollegin Victoria Segal* bringt es auf den Punkt: „Nach den vergangenen 12 Monaten hat man vielleicht das Gefühl, dass man mehr Eskapismus will und braucht, als Spare Ribs wirklich bietet. Doch wenn jeder in diesem Jahr in den Abgrund blicken musste, ist es eine Erleichterung, ein Trost – vielleicht sogar ein Vergnügen – Sleaford Mods dort zu finden, die direkt von von dort auf dich zurückblicken.“
Wie in Kriegszeiten erscheint unser aller Leben gefährdeter denn je. Wenn ein first class asshole wie Boris Johnson ein Land „regiert“, muss Schlimmstes befürchet werden. Da geht es uns um einiges besser. Die erste beeindruckende Rede hielt die Kanzlerin vor dem ersten Lockdown, die zweite, nicht minder beeindruckend, vor einer guten Woche, so emotional wie selten, und dabei klar durchdacht. Wäre es nach ihr gegangen, wäre Deutschland schon in den stand by-Modus gegangen, aber die Diskurse mit den Landesfürsten verzögerten, was hellwache Epidemiologen gleichfalls für unvermeidbar hielten. Die Zahlen, die keine Zahlen, sondern Schicksale sind, schnellten in die Höhe – all das Leiden in einer breit angelegten Verdrängungskultur, von Glühweinwanderwegen bis hin zu anderen Ritualen der Leichfertigkeit! Es wird uns all dies auch 2021 verfolgen, es wird auch den einen und anderen von uns treffen – ein wenig gruselig wird es auch, wenn ich an die möglichen Nachfolger der Kanzlerin denke. Ich komme politisch aus einer anderen Ecke, aber Frau Merkel gebührt mein Respekt. Und, bitteschön, in solch immenser Komplexität, sind Fehler unvermeidbar. Aber, wie den Sleaford Mods, liegen ihr menschliche Schicksale am Herzen. Man kann Authentizität erkennen, wenn man Stimmen gut zuhört.
*auch in diesem Jahr meine Lieblingsmusikfachfrau ausserhalb meines „inneren Kreises“