„Paranoid narratives are inherently narcissistic as well as authoritarian. Paranoia rejects the proportionality of pluralism, in which the world’s indifference to you is a sign of its multiplicity, and interprets that indifference as malice. The world is not unmoved by your existence, but upholds your central importance: even your refrigerator is spying on you. A paranoid system confirms that your powerlessness is only because the game is rigged against you– and that the world cares enough to bother disempowering you.“
(Sarah Chuchwell, The Guardian)
Als die Wahl in den USA noch halb auf Kippe stand, schrieben Jan und ich uns einige Mails. Er verströmte eindeutig die grössere Zuversicht. Selten habe ich mich so intensiv, tagesaktuell, mit dem politischen Geschehen in US und A beschäftigt – zwischendurch tat es gar gut, den „Borat – Nachfolgefilm“ zu gucken. Ich denke, dass Joe Biden vor kaum zu schulternden Problemen steht. Der gesellschaftliche Konsens ist zerbrochen. Eine demnächst frisch im Senat auftauchende Republikanerin (46, strohdoof, und laut dem Oberaffen „ein neuer Star“) sprach vor den Redneck-Fans des Irren, die Demokraten seien Sozialisten und wollen ihnen die Waffen wegnehmen. Sie rief tatsächlich zu Gewalt auf. Nach Umfrageergebnissen glauben fünfzig bis siebzig Prozent seiner Wähler, die Wahl sei manipuliert worden. Dass eine Gesellschaft in Zeiten einer brutalen Krise in der Mitte enger zusammenrücken muss, ist ausser Frage, um populistischem Quatsch keine grösseren Chancen einzuräumen. In US und A scheint das kaum noch vorstellbar. Die Rassisten, die in Borats Nachfolgefilm auftauchen, die Clan-Mitglieder aus Spike Lees Meisterstück „Blackkklansman“, all diese in Teilen Schwerbewaffneten – die sind in der Wirklichkeit tatsächlich genau so, nur allzu bereit, jede Art von sozialem Frieden zu opfern. Aus meiner Sicht ist das kein kurzes Aufwallen destruktiver Energien: dieser brutale Riss zeigt überhaupt keinen Ansatz zur Heilung. Hierzulande nennen sich die neuen Tiefenschürfer Querdenker – Menschen, die offensichtlich nicht mal geradeaus denken können. Gestern bei der Pressekonferenz, konnte man den wunderbaren Trainer Streich des Freiburger SC beobachten, wie er sich sorgenvoll Gedanken machte zur Lage des Landes und der Welt. Ohne grosse Worte. Nur leise Töne. Selbst in der winzig kleinen Welt der Manafonisten wurde schon eine Zeit erlebt, nah an Spaltung und Zerwürfnis. Selbst da, unter allemal Vernunftbegabten, erwies sich mal eine ausgestreckte Hand als komplett überfordernde Geste. Der hier leider auch schon, meines Erachtens zu Unrecht, als Dummkopf attackierte Fussballer Kramer der Borussen aus Gladbach, schreibt in der SZ über das Erleben der zweiten Welle: wie trostlos es am Anfang war, vor leeren Rängen zu spielen. Als es dann mal wieder 300 waren, habe er bei jeder kleinen Reaktion des Publikums eine Gänsehaut erlebt. Er finde es krass, wie schnell man sich an diesen neuem Zustand gewöhne, fast erschrocken habe er sich, als auf einmal wieder 10000 im grossen Rund versammelt waren. (Der grüne Rasen taugt durchaus als Spiegelbild der Gesellschaft.) Wer zur Baby-Boomer-Generation, zählt, kann sich auf eines verlassen: er und sie erleben gerade die grsellschaftspolitisch dunkelste Zeit ihres Lebens (neben den Jahren der RAF). Mögen wir alle über die List und das Geschick verfügen, lauter kleine Fluchten anzutreten, in jene Räume hinein, die voller aufregender Entdeckungen sind, all diesen Dingen zum Trotz. Mein nächster Fluchtort heisst, mit Arbeitsauftrag versehen, wieder mal Sylt. Die Strandkörbe sind so gut wie alle abgeräumt. Aber einen gibt es, der steht da auf seinem Fleck in Rantum wie angewurzelt. Einmal werde ich dort auftauchen, in Begleitung einer Flasche von meinem liebsten Weissburgunder, und das Meer belauschen. Im Reisegepäck habe ich, neben „The Plateaux of Mirror“ (von Harold Budd & Brian Eno) sowie „After The Goldrush“ (von Neil Young), zwei Bücher, eines stammt von Ed Caesar und trägt den Titel: „The Moth And The Mountain – a true story of love, war and everest“.