Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 21 Nov.

Die Sache mit der ausgestreckten Hand

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 12 Comments

„Paranoid narratives are inherently narcissistic as well as authoritarian. Paranoia rejects the proportionality of pluralism, in which the world’s indifference to you is a sign of its multiplicity, and interprets that indifference as malice. The world is not unmoved by your existence, but upholds your central importance: even your refrigerator is spying on you. A paranoid system confirms that your powerlessness is only because the game is rigged against you– and that the world cares enough to bother disempowering you.“

(Sarah Chuchwell, The Guardian)

 

Als die Wahl in den USA noch halb auf Kippe stand, schrieben Jan und ich uns einige Mails. Er verströmte eindeutig die grössere Zuversicht. Selten habe ich mich so intensiv, tagesaktuell, mit dem politischen Geschehen in US und A beschäftigt – zwischendurch tat es gar gut, den „Borat – Nachfolgefilm“ zu gucken.  Ich denke, dass Joe Biden vor kaum zu schulternden Problemen steht. Der gesellschaftliche Konsens ist zerbrochen. Eine demnächst frisch im Senat auftauchende Republikanerin (46, strohdoof, und laut dem Oberaffen „ein neuer Star“) sprach vor den Redneck-Fans des Irren, die Demokraten seien Sozialisten und wollen ihnen die Waffen wegnehmen. Sie rief tatsächlich zu Gewalt auf. Nach Umfrageergebnissen glauben fünfzig bis siebzig Prozent seiner Wähler, die Wahl sei manipuliert worden. Dass eine Gesellschaft in Zeiten einer brutalen Krise in der Mitte enger zusammenrücken muss, ist ausser Frage, um populistischem Quatsch keine grösseren Chancen einzuräumen. In US und A scheint das kaum noch vorstellbar. Die Rassisten, die in Borats Nachfolgefilm auftauchen, die Clan-Mitglieder aus Spike Lees Meisterstück „Blackkklansman“, all diese in Teilen Schwerbewaffneten –  die sind in der Wirklichkeit tatsächlich genau so, nur allzu bereit, jede Art von sozialem Frieden zu opfern. Aus meiner Sicht ist das kein kurzes Aufwallen destruktiver Energien: dieser brutale Riss zeigt überhaupt keinen Ansatz zur Heilung. Hierzulande nennen sich die neuen Tiefenschürfer Querdenker – Menschen, die offensichtlich nicht mal geradeaus denken können. Gestern bei der Pressekonferenz, konnte man den wunderbaren Trainer Streich des Freiburger SC beobachten, wie er sich sorgenvoll Gedanken machte zur Lage des Landes und der Welt. Ohne grosse Worte. Nur leise Töne. Selbst in der winzig kleinen Welt der Manafonisten wurde schon eine Zeit erlebt, nah an Spaltung und Zerwürfnis. Selbst da, unter allemal Vernunftbegabten, erwies sich mal eine ausgestreckte Hand als komplett überfordernde Geste. Der hier leider auch schon, meines Erachtens zu Unrecht, als Dummkopf attackierte Fussballer Kramer der Borussen aus Gladbach, schreibt in der SZ über das Erleben der zweiten Welle: wie trostlos es am Anfang war, vor leeren Rängen zu spielen. Als es dann mal wieder 300 waren, habe er bei jeder kleinen Reaktion des Publikums eine Gänsehaut erlebt. Er finde es krass, wie schnell man sich an diesen neuem Zustand gewöhne, fast erschrocken habe er sich, als auf einmal wieder 10000 im grossen Rund versammelt waren. (Der grüne Rasen taugt durchaus als Spiegelbild der Gesellschaft.) Wer zur Baby-Boomer-Generation, zählt, kann sich auf eines verlassen: er und sie erleben gerade die grsellschaftspolitisch dunkelste Zeit ihres Lebens (neben den Jahren der RAF). Mögen wir alle über die List und das Geschick verfügen, lauter kleine Fluchten anzutreten, in jene Räume hinein, die voller aufregender Entdeckungen sind, all diesen Dingen zum Trotz. Mein nächster Fluchtort heisst, mit Arbeitsauftrag versehen, wieder mal Sylt. Die Strandkörbe sind so gut wie alle abgeräumt. Aber einen gibt es, der steht da auf seinem Fleck in Rantum wie angewurzelt. Einmal werde ich dort auftauchen, in Begleitung einer Flasche von meinem liebsten Weissburgunder, und das Meer belauschen. Im Reisegepäck habe ich, neben „The Plateaux of Mirror“ (von Harold Budd & Brian Eno) sowie „After The Goldrush“ (von Neil Young), zwei Bücher, eines stammt von Ed Caesar und trägt den Titel: „The Moth And The Mountain – a true story of love, war and everest“.

This entry was posted on Samstag, 21. November 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

12 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    „Can American democracy survive Donald Trump?“ (The Guardian)

  2. ijb:

    Das Schreckgespenst, „die Demokraten seien Sozialisten (wahlweise auch Kommunisten und/oder Radikale) und wollen ihnen die Waffen wegnehmen“ – und die Häuser und sonst noch alles, ist ja bekanntlich seit langem eine effektive Propaganda-Methode der Republikaner und vor allem ihrer Medienkanäle. Da braucht man nur mal ne halbe Stunde „Fox News“ (oder drastischere, weitverbreitete Kanäle, früher war es vor allem das „Talk Radio“, das es wahrscheinlich immer noch gibt, aber sich heute eher im Internet abspielt) anmachen, da kommt einem das Grausen.

    Das Problem ist halt, dass diese Leute alle anderen Medien radikal verweigern als „von der linken Elite kompromittiert“ und ausschließlich mediale Kanäle lesen und schauen wollen, die ihre eigenen Vorurteile bestätigen und bekräftigen. Und das ist keine Übertreibung. Schau nur mal auf den YouTube-Kanal von „Fox News“ (->> https://youtu.be/8IFcm4yu7QU ) und lies die ersten 500 Kommentare unter einem beliebigen Videobeitrag. Das ist alles eine große Soße, und da haben die „konservativen“ Medienbesitzer über die letzen 20 Jahre eine sehr effektive Propagandamaschine aufgebaut, auf die Goebbels neidisch wäre. Keine Chance, diese Leute wieder zurückzubekommen. Keine Chance, mit irgendwem dort sachlich zu kommunizieren. Keine Chance, dass da irgendwer einer anderen Sichtweise als der gewünschten auch nur ein Ohr schenkt. Mittlerweile geht das auch so weit, dass die Leute auf das offensiv konservative „Fox News“ wütend sind und sich über deren „verlogene“, „falsche“, „unglaubwürdige“, „voreingenommene“ (etc) Berichterstattung beklagen – aber nicht, weil sie zu sehr auf der Republikaner-Welle schwimmen, sondern weil sie angeblich (das muss man sich mal vorstellen!) zu sehr ausgewogen berichten würden und die Demokraten, ähm, die radikalen Linken, Kommies und Sozialisten unterstützen würden („Fox betrayed us and looked the other way.“). Und das wirklich nur, weil es dort ein, zwei Journalisten gibt (Chris Wallace z.B.), die sich um ein wenig Sachlichkeit und Ausgeglichenheit bemühen statt das plumpe Propaganda-Horn zu tuten. Aber selbst wenn Fox News den ganzen Tag die Legende des großflächigen Wahlbetrugs wiederholt, ist das den Menschen nicht „rechts“ genug.

  3. Jan Reetze:

    Selbstverständlich bin ich heilfroh, dass Trump abgewählt worden ist, wenn auch mal knapp. Was jetzt allerdings ansteht: darüber nachzudenken, weshalb Trump gerade überall dort, wo man Demokratenwähler vermuten würde, sogar noch zugelegt hat — bei Schwarzen, Frauen, Latinos. Unter Lesben und Schwulen konnte Trump seinen Stimmenanteil verdoppeln. Da muss mehr dahinterstecken als einfach nur Fox News oder Twitter. Da müssen wir vielleicht mal einen gründlicheren Blick auf die Demokraten werfen, vielleicht bringt uns das weiter.

    Ein Grund für Trumps Erfolg ist sicher, dass er (erstens) von vielen als authentischer empfunden wird als Biden (oder Hillary Clinton). „Der lässt sich von niemandem etwas sagen, der zeigt den etablierten Politprofis mal so richtig, wo der Hammer hängt“ — das ist der Eindruck bei vielen. Biden/Harris — ich folge beiden auf Twitter — haben im Wahlkampf den Leuten zudem das Blaue vom Himmel versprochen, ohne jemals darauf einzugehen, wie sie das eigentlich machen wollen. Da kommt Trump mit seiner offensichtlichen Freude daran, das Porzellan zu zertöppern, bei den Leuten einfach ehrlicher rüber, „links“ oder „rechts“ ist da gar kein Thema.

    Wir machen (zweitens) den Fehler, zu glauben, das gemeine arbeitende Wählervolk, ebenso die diversen sexuellen, ethnischen und sonstwelchen Minderheiten, müssten quasi „naturgegeben“ links wählen (was immer „links“ im Zusammenhang mit den US-Demokraten bedeuten mag). Das trifft aber nicht zu. Ich glaube aber, viele Leute spüren sehr genau, welche Verlogenheit und intellektuelle Herablassung ihnen von den Demokraten entgegengebracht wird. Ihnen wird unterstellt, sie könnten nicht selber denken. Biden sagte neulich, ein Schwarzer, der nicht wisse, ob er ihn (Biden) oder Trump wählen solle, könne kein Schwarzer sein. Diese alles niederwalzende Selbstgewissheit, die als eine Art „versöhnen-statt-spalten“-Rhetorik irgendwo zwischen Stuhlkreis und Kirchentag den Leuten vorgesetzt wird; diese aufgesetzte Masche einer Kamala Harris (Top-Juristin, Tochter einer Krebsforscherin und eines Wirtschaftsprofessors, die nie — ich bin sicher — NIE irgendwelche Probleme mit Hautfarbe oder Herkunft hatte), sich im 2000-Dollar-Hosenanzug als „eine von euch“ ans Volk heranzuschmieren: Diese falschen Töne werden sehr genau wahrgenommen. (Dahinter steckt kein Neid auf den Hosenanzug oder die beruflichen Erfolge; zu den sympathischsten Eigenschaften der meisten Amerikaner gehört es, dass sie anderen ihre Erfolge nicht nur gönnen, sondern sich meist sogar mitfreuen.) Vielleicht wird das Unbehagen nicht mal ausformuliert, aber die Leute spüren, dass da etwas im Ungleichgewicht ist, und das fließt in Wahlentscheidungen ein. Außerdem stand Biden noch nicht mal als der sichere Gewinner fest, da begann die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez bereits damit, an Biden herumzunörgeln und forderte außerdem, es müssten Listen angelegt werden, auf denen festgehalten wird, wer mal irgendwann mit Trump zusammengearbeitet habe — damit ja keiner vergessen werde. Dieses Politikverständnis ist ganz kleine Münze und entspricht nicht dem, was die amerikanische Mehrheit von einem Präsidenten erwartet. Diese Rhetorik ist es dann aber, was die Leute mit „links“ assoziieren. Wahrscheinlich wundert sich Frau Ocasio-Cortez noch immer darüber, weshalb sie selbst als Kandidatin eine Bauchlandung hingelegt hat.

    Das alles vermischt und verstärkt sich natürlich in den geschlossenen Filterblasen der sozialen Medien und der Neigung der Medien, stets die schlechteste Variante als die wahrscheinlich bevorstehende auszumalen und jede bevorstehende Entscheidung als „Duell“ oder „Zerreißprobe“ hochzukochen, immer in der Absicht, morgen eine Fortsetzung der Geschichte anbieten zu können. Und dann wundert man sich, dass Politik immer mehr zur Soap verkommt. Das ist kein amerikanisches Phänomen allein. Was sich derzeit auf Deutschlands Straßen abspielt, liegt auf derselben Linie.

    Kommt noch dazu, dass wir Europäer ein grundsätzlich anderes Staats- und Politikverständnis haben als die Amerikaner und insofern oft und gern einen falschen Maßstab an die USA anlegen. Aber das ist ein gesondertes Thema …

  4. ijb:

    Hallo Jan, diese Kritikpunkte an den Demokraten, die du aufführst, sind mir natürlich auch nicht ganz neu, zumal ich sie auf meinen Interview-Reisen auch schon so oder ähnlich von Leuten gehört habe, die z.T. von blau zu rot gewechselt haben, u.a. tatsächlich ja auch in deiner Nähe, in Ambridge, was ja bis vor wenigen Jahren über viele Jahrzehnte hinweg “Blue collar worker”-Hochburg war.

    Was mir allerdings bis heute nicht einleuchtet – wahrscheinlich haben wir darüber auch schon gesprochen – und vielleicht hast du dazu noch etwas neue, ergänzende Anmerkungen: Wie du schreibst, haben einige Wähler/innen genug von den von oben herab empfundenen Worten der Demokraten und der „Unehrlichkeit“, u.a. in den Wahlkampfsprüchen [wobei ich mir bei letztem z.B. gut vorstellen kann, dass denen das auch bewusst ist und sie vermutlich die Frage aufgeworfen haben, „wie realistisch sollen wir unsere Ziele verkaufen?“ und dann zum Schluss gekommen sind, dass „wenn Trump mit pompösen Versprechen Erfolg hat und damit Stimmen zieht, dann können wir nicht mit einschränkenden und zu vorsichtigen Versprechen kommen, da wird uns niemand wählen.“], warum stören sich genau diese Wähler/innen dann nicht an den offenkundig überzogenen und verlogenen Worten von Trump, sondern entscheiden sich sogar noch, ihn zu wählen? Wenn man Kamala Harris dafür kritisieren kann, dass sie sich als „eine von uns“ vermarktet, ich meine, ein Herr Trump macht das ja noch viel schamloser und selbstverliebter… Meinst du wirklich, dass dieses Laute und Selbstherrliche und offensichtlich die „kleinen Wähler“ Über-den-Tisch-ziehen seiner Partei von den Wechselwählern dann als „authentisch amerikanisch“ empfunden wird und daher vertretbarer scheint als die Versprechen von Clinton, Harris und Biden (und Obama)?
    Natürlich verstehe ich auch, dass „die Amerikaner“ ein anderes Politikverständnis haben als die Europäer, aber dennoch leuchtet mir nach wie vor nur schwer ein, wie 74 Millionen Menschen (das sind ja mehr Wähler als ganz Deutschland hat) die falschen Töne von Trump und den Republikanern und ihre Bemühungen in mehreren Staaten, unliebsame Wählerstimmen zu verhindern, auch diese durch die Bank weg unkritische Unterstützung für einen völlig unreflektierten Möchtegern/Machismo-Autokraten vom Schlage Putin/Orban, das seit Jahren rigorose Blockieren jeder politischen Kompromisslösung etwa bei der Krankenversicherung oder beim Supreme Court, also was 74 Millionen daran attraktiver finden als an den, wie du schreibst, „falschen Tönen“ der blauen Partei (die man selbstredend kritisch beleuchten kann und sollte)? Will sagen: Es gibt doch auch bei den Konservativen nicht weniger zu kritisieren als an den „Progressiveren“. Auf Deutschland übertragen wäre das ja wie wenn ich sage „also was die Merkel und der Merz da alles daherreden, ist so ein Käse, da wähle ich doch besser die AfD, die sind wenigstens nicht so falsch…“

  5. Jochen:

    @Jan

    nice comment

  6. Michael Engelbrecht:

    Egal, welche nicht so feinen Seiten die Demokraten haben, im Vergleich sind Biden, Harris und Co. nicht das kleinere Übel, sondern das weitaus grösser Gut.

    Breaking News: Joe Biden plans to nominate the first Latino to run Homeland Security and the first female intelligence chief. FINDE ICH ZIEMLICH GROSSARTIG.

    Also, das Blaue vom Himmel ist das hier tendenziell nicht. Und manchmal die Sprache der Dampfplauderer der anderen Seite wählen, ist verständlich.

    Und: es gibt unfassbar Angepasste unter Schwulen und Lesben, da ist es nicht verwunderlich, wenn ein Teil dieser Minderheiten (die oft die knallharte Verachtung ihrer Eltern erlebt haben) so einen Typen wählt – die Projektion alter Primärsozialisationen.

    Wenn ich in New York leben würde: ich hätte auf den Strasse mit vielen anderen gefeiert. Und mit Maske. Im Grunde schätze ich Joe Biden, mehr als anfangs, so vom Gefühl her, und einigen Fakten (Ambivalenz ist okay) – und Kamala Harris allemal.

    Trump (und die Reps) ist noch weitaus schlimmer für die USA wie damals die Thatcher (und die Tories) für England waren.

    Und hier das Allerletzte

  7. Jan Reetze:

    @ Jochen: We aim to please! ;-)

    @ ijb und Michael: Ihr stellt im Grunde genau die Fragen, die auch ich mir gestellt habe. Und ich bin nicht weniger ratlos als ihr. Schon Obama hat festgestellt, dass ein Drittel der Amerikaner in irgendwelchen Parallelwelten lebt. Ich gebe ihm recht, schätze aber, es sind mehr als ein Drittel, angefangen bei den Evangelikalen, die glauben, Adam und Eva hätten vor 6000 Jahren die Saurier noch selbst gesehen, bis hin zu den diversen bizarren Erscheinungen, von denen die Nachrichten voll sind — man muss sie nicht mehr aufzählen.

    Wir sind in einer Situation, die an Brecht erinnert: Über 70 Millionen Kälber wählen ihren Schlachter selbst.

    Aber so einfach ist das nicht. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir Fox News, Rush Limbaugh und sonstigen Sumpfblüten des Medienmarktes, oder einer plötzlich hereinbrechenden nationwiden Dummheit die Alleinschuld dafür zuweisen wollen, dass ein Großteil der Amerikaner anscheinend nicht mehr zurechnungsfähig ist.

    Die Sache hat ja nicht mit Trump angefangen (so, wie sie in England nicht mit Thatcher angefangen hat). Um die Jahrtausendwende kam in den USA die Tea-Party-Bewegung auf. Die Republikaner haben den Fehler gemacht, diese als Teil der Ihren aufzufassen und sie integrieren zu wollen, statt gegen sie anzugehen. Jetzt nehme man das Aufkommen der Social Media hinzu, mit denen alles, was vorher am Stammtisch blieb, in die Welt hinausgeblasen werden konnte, und ein Rückkopplungsprozess einsetzte, der diese Leute immer mehr auf ihre eigenen Spinnereien fixierte. Trump war dann letztlich die Quittung dafür. Noch vor 15 Jahren konnte man sich zumindest darauf verständigen, dass 2 + 2 = 4 ist, und selbst Maggie Thatcher handelte auf einer Faktenbasis, die zumindest diskutierbar war. Mit Leuten aber, die an Pizzagate glauben, oder fürchten, dass Bill Gates Corona erfunden hat, um sie mit Impfungen zu chippen, kann man letztlich nicht mehr verhandeln. Um so weniger, wenn sie das, was sie von sich geben, mit „Meinungsfreiheit“ begründen, die es zu retten gelte. Diese Leute sind, da hast Du recht, Ingo, weitgehend für jeden Diskurs verloren. Und wenn dann jemand wie Trump kommt, der diese Menschen bewegt (und was immer man von ihm sonst halten mag: Das kann er!): Dann steht man dumm da und begreift allmählich, wie seinerzeit mal der Hexenwahn um sich greifen konnte.

    Meine Kritik an den Demokraten ist, dass sie das wissen, aber auch nach vier Jahren Trump keine klare Idee haben, wie sie dagegen vorgehen können, und dass sie nicht in der Lage sind, Kandidaten zu finden, die aus sich heraus überzeugend sind. Ich bin fast geneigt zu sagen: Wir dürfen froh sein, dass der noch immer größere Teil der Amerikaner vernünftig genug ist, zu sagen: Jetzt ist Schluss mit dem Theater, und wenn es nur mit Biden geht, dann machen wir das eben so, zähneknirschend.

    Will sagen: Nicht nur die Republikaner müssen sich neu erfinden (das wird ein jahrzehntelanger Prozess werden), sondern auch die Demokraten. Ich sehe keine andere Möglichkeit, die zerrissene amerikanische Gesellschaft wieder näher an sich selbst heranzubringen. Und ich möchte nicht in Bidens Haut stecken. Der Mann hat einen unfassbaren Schutthaufen vor sich, in den er wieder so etwas wie Ordnung und System bringen muss, gegen eine Bevölkerung, die ihm zu großen Teilen feindlich gegenübersteht und gegen Leute in seiner eigenen Partei, die auch nicht eben hilfreich sind.

    Immerhin zeigt die Auswahl seiner ersten Mitarbeiter schon mal ein bisschen in die Richtung, in die Biden wahrscheinlich gehen wird. Man kann ihm nur viel Glück wünschen — und hoffen, dass das ausreicht, um über die Wahlen in 2024 zu kommen.

  8. Michael Engelbrecht:

    Fakt ist: nie in meinem Leben habe ich jemandem so sehr die Daumen gedrückt bei einer Wahl wie Joe Biden. Das war noch aufregender als Willy Brandt damals. Okay, US und A-mässig, und auf einem anderen battle ground, ungefähr so wie Cassius Clay / Mohammad Ali damals bei einigen seiner nächtlichen Boykämpfe.

    Und gerne mache ich mich angreifbar, aber den Spruch von Biden zu den „Afroamerikanern und Trump“, den teile ich, als locker mal „rausgehauen“ – selbstgefällig oder nicht.

    Lassen wir mal schwere Krankheit als Ausnahme gelten: würde ich in den US und A Leben, hätte ich mit jedem, der aus meinem Familien- oder Freundeskreis Trump seine Stimme gegeben hätte, gebrochen: ein Gespräch hätte es gegeben, mehr nicht. Aber was heisst: mehr nicht?! Kenne genug Leute, die überhaupt kein Streitgespräch führen können. Also: es sich leicht machen, ist dann doch etwas anderes.

  9. ijb:

    Der 49-jährige Lachlan Murdoch, im Konzern verantwortlich für Fox News, soll noch konservativer als sein Vater sein. Doch auch er hat die Zeichen der Zeit erkannt. Mit Trumps Radikalismus ließ sich vier Jahre lang Geld scheffeln. Jetzt hat sich die Stimmung in den USA gewandelt und wenn ein Sender wie Fox News nicht untergehen will, muss er sich dem anpassen.

    Die Lücke, die auf der ultra-rechten Medienseite entsteht, werden andere füllen. Die Quoten von Newsmax etwa haben sich seit der Wahl verzehnfacht, allerdings auf einem sehr geringen Niveau. Dessen Gründer Christopher Ruddy gilt als Vertrauter Trumps. Newsmax erreicht bisher knapp eine Million Zuschauer im Monat. Erfolgreicher ist One America News (OAN), erst 2013 gegründet, aber schon in 35 Millionen Haushalten vertreten. Trump nutzte OAN in den vergangenen Jahren oft als Quelle seiner Tweets, wobei sich viele Meldungen aber als gefälscht herausstellten.

    https://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/erkennt-einen-loser-von-der-goldenen-gans-zum-ballast-fox-will-von-trump-nicht-mehr-wissen_id_12706476.html

  10. ijb:

    Joe Biden wird in den USA mit einer heftigen Widerstandsbewegung zu kämpfen haben, prognostiziert Politikforscher und Autor Hans Kundnani vom Londoner Royal Institute of International Affairs. Im Interview mit ntv.de beschreibt er die tiefe Spaltung der US-Gesellschaft als Ursache des Konflikts. Außerdem spricht er über Fehlentwicklungen in der jüngeren Zeit – und ob man Donald Trumps Vorwurf der gestohlenen Wahl als „Dolchstoßlegende“ bezeichnen kann.

    https://www.n-tv.de/politik/US-wahl-2020/Der-amerikanische-Buergerkrieg-wurde-nie-beendet-article22182857.html

  11. Michael Engelbrecht:

    So kann man die zwei Gräben auch weiter vertiefen, unfassbar zynisch:

    https://www.spiegel.de/politik/ausland/todesstrafe-in-den-usa-donald-trumps-regierung-erlaubt-zusaetzliche-hinrichtungsmethoden-a-3201334f-74ae-41b0-a4d9-16604ea80b16

  12. Jan Reetze:

    Es war vorauszusehen: Trump wird versuchen, in den letzten paar Amtswochen, die er noch hat, soviel Schaden wie möglich anzurichten. Gleichzeitig wird er weiter behaupten, die Wahlergebnisse seien gefälscht und ihm der Sieg gestohlen worden.

    Hoffentlich ist bald Januar.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz