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2020 25 Okt.

„Im thinking of ending things“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

 

I’m Thinking of Ending Things is one of the most daringly unexpected films of the year, a sinewy, unsettling psychological horror, saturated with a squirming dream logic that tips over into the domain of nightmares. Buckle up for this one and make sure you’ve stocked up on your meds.

(Wendy Ide, The Guardian)

 

I’m Thinking of Ending Things (Netflix) ist kein Wohlfühl-Kino. Es ist eher die Art von Tranceinduktion, die einen leicht an der Beständigkeit des Ichs zweifeln lässt. Insofern betritt er auch David Lynch-Territorium. Aber wie die unglaubliche dritte Staffel von „Twin Peaks“, „The Return“, räumt dieses  kleine Meisterstück mit jeder falschen Behaglichkeit des Schauerlichen auf. Zum Ende hin nimmt die Klaustrophobie in riesigen Räumen zu, und die Beklemmung von „Shining“ hält Einzug. Man fragt sich im Laufe des Films öfter, ob das alles eine fiebrige Traumgeschichte sei, oder ein besonders abgefahrener Psychothriller. Eine Frau, die wir noch nicht gesehen haben, ist praktisch mitten in der Erzählung und erzählt uns etwas, für das wir keinen Kontext haben. Es fühlt sich falsch an, abschreckend. Etwas ist nicht richtig. So sollten Filme nicht funktionieren. Schließlich sehen wir die Frau, die von Jessie Buckley brillant gespielt wird. Sie steht auf der Straße, als aufgeblasene Schneeflocken zu fallen beginnen, als wären wir mit ihr in einer 3-D-Schneekugel. Sie schaut zu einem Fenster ein paar Stockwerke höher. Wir sehen einen alten Mann, der aus einem Fenster nach unten schaut. Wir sehen Jesse Plemons, der aus einem Fenster nach unten schaut. Wir sehen Jesse Plemmons in der nächsten Einstellung, wie er Jessie Buckley in seinem abgefahrenen Auto abholt. Die Filmmusik funkelt und wirbelt. Jessie Buckleys Lucy oder Lucia oder Amy denkt darüber nach, die Sache mit Jesses Jake zu beenden. Die Dinge werden nirgendwo gut laufen, so scheint die Argumentation zu lauten. Jake fährt das Auto und redet manchmal; sein Verhalten scheint ziemlich beständig zu sein, bis es das nicht mehr ist, bis eine Geste wie ein Fremdkörper aus einem anderen Ich aufkocht. Louisa oder Lucy ist entgegenkommend, eine Quelle des Wissens und der Interessen. Aber manchmal verlangsamt sie sich zu einem Rinnsal, oder sie ist still, und plötzlich ist sie jemand anderes, der dieselbe Person ist, aber vielleicht mit anderen Erinnerungen, anderen Interessen. Manchmal ist sie eine Malerin, manchmal eine Physikerin, manchmal weder noch. Jessie und Jesse sind großartig. Ihre Leistungen und ihre Charaktere sind schwer zu beschreiben. Einer der besten Filme  des Jahres 2020, und ganz sicher der verstörendste, hält sich nicht an gängige Muster, Rhythmen oder Tropen. Er versucht nicht einmal, ein großartiger Film zu sein, er versucht einfach, das Geistesleben des anderen, unsere gesammelten Ich-Konstruktionen, zu sezieren, und zwar mit allen möglichen filmischen Mitteln. Zu sagen, der Film akzeptiere sowohl die Schönheit als auch die Hässlichkeit des Lebens, wäre eine Plattitüde, die der Film selbst ablehnt. Zu sagen, dass „die Liebe alles erobert“, sogar noch mehr. Aber diese falschen Wahrheiten flattern an der Peripherie, Illusionen oder Geister, durchweg willkommen, das Ende ein surreales Schachmatt. Wie erfindet man einen Hoffnungsschimmer?

 

This entry was posted on Sonntag, 25. Oktober 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

1 Comment

  1. Martina Weber:

    Was für ein wunderbarer Text. Ich habe den Film (noch) nicht gesehen, aber das erste Kapitel des Thrillers von Iain Reid gelesen, auf dem der Film beruht.


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