Insel – Stille
Fluglärm in Frankfurt, in Stuttgart, in München, brülllaute Städte überall, Lärmkulissen in Kaufhäusern, Spielhöllen, schamloses Handygequatsche in Zügen, U-Bahnen, S-Bahnen, Straßenbahnen, überall, von den Lärmpegeln in Schulen ganz zu schweigen. Der 1937 in Memphis (TN) geborene Trompeter Jon Hassell lebt ausgerechnet in einer Lärm-Stadt- New York- , die wohl nie zur Ruhe kommt. Jon Hassells Musikstücke strahlen für mich dagegen eine Ruhe aus, wie ich sie nur in der Natur erlebe. In meinem Plattenschrank finde ich, passend zur „Zeit der Stille“, eine echte Insel-Stille-Platte aus dem Jahre 1978: Jon Hassell – Vernal Equinox. Ich lege von dieser inzwischen als CD wiederveröffentlichen Platte Blue Nile und anschließend noch das Titelstück Vernal Equinox auf und entschwinde für über 30 Minuten dem Lärmchaos.
Natur-Stille
Der Kölner Musikjournalist Karl Lippegaus schrieb in seinem Buch Die Stille im Kopf : „Letzte Woche in Südfrankreich nahm ich die Natur um mich herum so differenziert wahr wie lange nicht mehr. Ich erinnere mich an die Zeit als ich ein kleiner Junge war, ganz für mich allein im Wald spielte und langsam die Welt entdeckte, die mich umgab. Einmal saß ich stundenlang unter einem Baum und schaute auf das weite Tal zwischen Saignon und St.Martin-de-Castillon. Während ich so dasaß und einfach nur vor mich hinschaute, entdeckte ich ganz allmählich viel Dinge, die ich zuerst gar nicht beachtet hatte.
Wie ein Kind staunte ich über einen Stein … Pilze … Insekten, … alle Nervosität fiel von mir ab … und ich fing an, die Geräusche um mich herum wahrzunehmen, sehr differenziert, zuerst dachte ich: Unglaublich, wie still es hier ist. Dann jedoch gewöhnte ich mich an die minimalen Lautstärken, die Geräusche der fliegenden Insekten, die weit entfernten Rufe der Vögel. Ich freute mich über die Schönheit der leisen Töne und konnte mich nicht satt daran hören … Je später es wurde, um so dichter flogen die Schwalben um mich herum. Ihre akrobatischen Flüge beim Mückenfang wurden immer gewagter und hektischer. Sie kamen so nahe heran, daß ich das Surren ihrer Flügelschläge hören konnte, während sie an mir vorbeizischten. Es klang wie Musik.“
Ich denke, es wird Zeit eines meiner Lieblingswerke von Luigi Nono herauszusuchen, das Streichquartett „Fragmente – Stille, An Diotima“, 1980 wurde es uraufgeführt. Ein 35 Minuten Stück, äußerst zart, sehr leise Einzeltöne, sehr viele Pausen, gerade noch hörbar.
Musik aus der Stille
Peter Handke hat gegenüber der französischen Tageszeitung Liberation 1986 etwas geäußert, was man, denke ich, so auch auf die Musik übertragen kann: „Ich fühle, daß es immer anormaler wird zu schreiben, Ich weiß nicht genau zu sagen, warum. Aber es ist, als überschritte man eine verbotene Schwelle. Man muß dabei schweigen, die Stille finden, und in dieser Stille … beginnt das Schreiben.“
Musik aus der Stille – da fällt mir natürlich sofort Paul Bley, der Meister, der aus der Stille kommt, ein, für dessen Klavierpiel gerade die Pause so wichtig ist. 1972 erschien sein Meisterwerk Open, To Love (Solo piano) bei ECM. Ich wähle das Stück Seven und wünsche allen Lesern „Stille Tage“.
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