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Künstler sind ja nicht immer die kompetentesten Kritiker ihrer eigenen Werke. Wie oft, nach „The Blue Mask“, verkündete etwa Lou Reed zu jedem neuen Album, das sei nun wohl das herausragende Werk seiner Karriere. Ein ums andere Mal lag er falsch, vielleicht nur einmal nicht, auf seinem wundervolles New York-Album. Das wirkte schon wie eine Marketingstrategie.
Ein anderes, interessanteres Beispiel betrifft Brian Eno. Dank Uwe Meilchen konnte ich ein Gespräch nachhören, dass ein aus der Klassik kommender Dirigent (?) mit osteuropäischem Dialekt und offenen Ohren für andere Spielarten der Musik mit Brian führte, vor Monaten, irgendwo im badischen Raum. Während sich der werte Herr für ein Album, respektive einen Song aus diesem Frühwerk des Mannes aus Suffolk begeisterte, stöhnte Eno fast, und konnte die Begeisterung für „Here Come The Warm Jets“ im grossen und ganzen gar nicht teilen.
Es war sein erstes Songalbum nach der Trennung von Roxy Music. Er habe damals Zeitdruck gehabt, einige Geldschulden auch, und bei ihm sei daher wohl ein bestimmtes Warnsystem – er nannte es „alert system“ – ausgefallen: so habe er ein Gitarrensolo von Phil Manzanera mit einer dauerhaft-tremolierenden Verzerrung bearbeitet, was ihm, in der Rückschau, dilettantisch vorkomme. Nun, ich habe mir das Album daraufhin noch einmal zu Gemüte geführt, das ich stets weitaus mehr schätzte als die ersten zwei Roxy Music-Alben zusammen, und fand auch die Passage, auf die Brian Bezug nahm. Betörend, waghalsig, tollkühn, wie das gesamte Werk.
In Enos Kartenspiel „Oblique Strategies“ kann man eine Karte ziehen, auf der zu lesen ist: „Honour Thy Error As Hidden Intention“. Ich glaube felsenfest, wären auf diesem Album nicht so viele „Fehler“ gewesen, es wäre nie so genial geworden. Bis heute zählt es – neben „Nerve Net“, ein Opus, das Eivind Aarset über alles liebt – zu dem anarchischen Meilensteinen in Brians Diskographie.
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im Juli 2017 schrieb ich, hier auf dem Blog, zu dieser Arbeit: Das war der erste Streich der vier Songalben von Eno in den Siebzigern, und über keine Platte aus diesem Quartett wurde in den Jahren der Manafonisten weniger gesprochen als über dieses. Völlig zu Unrecht, für mich steht es auf einem Level mit den drei Nachfolgern. Die Songs sind so bizarr und surreal wie das Cover, Eno wandelt seinen Gesang, seine „persona“, von Track zu Track. So war es unmöglich, seiner Stimme ein kommerziell taugliches „branding“ zu verpassen – er entzog sich jeder biederen Vereinnahmung – viele andere Künstler, die „ihre‘ Stimme gefunden hatten, wiederholten diese Rezeptur bis zum Sankt Nimmerleinstag. Und die ständig wiederkehrenden herzerweichenden Melodien? Inmitten all der Songwildnis? Sie konnten nie Hits werden, weil ihr instrumentaler Untergrund zu subversiv war, ihr Text zu erratisch. Proto-Punk. Psychedelic Exotica. Pure Pop. „Weird, very weird, very strange, disturbing and utterly beautiful.“