Es beginnt mit einer ziemlich langen Einstellung, schattig und kaum erkennbar steht eine Frau in Nahaufnahme vor einem hellen Rechteck, das ungefähr so groß erscheint wie eine Wohnungstür. Wir sind nicht die einzigen, die sich eine Minute lang fragen, was jetzt passiert. Lars von Trier wusste es auch erstmal nicht. Es war sein Abschlussfilm an der Nationalen Filmschule Dänemarks, ein 8-minütiger Kurzfilm aus dem Jahr 1980, Nocturne. Ich sah ihn auf der DVD Cinema 16 (European Short Films), die auch Audiokommentare enthält. „I´m so scared of the things the light can hide“, sagt die Frau ins Telefon. Es ist mitten in der Nacht, eine rote Glühbirne verbreitet kaum Licht, die Frau trägt eine Schlafmaske, kann aber nicht schlafen, vielleicht wegen der Hitze (ein Ventilator läuft), vielleicht wegen der bevorstehenden Reise, vielleicht weil ihre Augen so trocken sind, dass sie sie ständig mit Tropfen behandelt. Die Wohnung scheint nur aus Schatten zu bestehen. Weiße Taschentücher fliegen in Zeitlupe herum. Auch hier: das Vogelmotiv. Es gibt Blautöne, Grüntöne. Mimosa, Sepia. Die Kopie einer Kopie erzeugt bestimmte Lichteffekte. Lars von Trier erklärt Tomas Gislason die Übergänge im Schnitt: Linien, die an gleicher Stelle wieder aufgenommen werden, Kreise, die Kuppel einer Kirche, das Zifferblatt einer Armbanduhr. Es passt. Eine Armbewegung in den Horizont hinein und die Silhouette der Stadt am frühen Morgen. „It was such a different film for people to see even on film school. We had so much trouble at school. They thought it was politically incorrect in all kinds of things, but this was a good beginning of a new era.“ Nocturne ist poetisch, wortkarg, offen, verträumt und voller Magie. Der Übergang von einer Flucht in eine andere.