Manafonistas

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2019 15 Feb

Gregor öffnet seinen Bücher- und Plattenschrank (180)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Im letzten Schuljahr 2017/18 habe ich meinen Schülern im Literaturkurs ein besonders dickes Buch zugemutet, 1259 Seiten, unfassbar, aber so lohnend, es zu lesen!!! Das Buch wurde von Paul Auster geschrieben und sein Titel lautet 4 3 2 1. Kurz erwähnte ich dieses Werk in einem Beitrag über den dänischen Jazztrompeter Allan Botschinsky und den Bassisten Niels-Henning Ørsted Pedersen (Plattenschrank 172).

Und einmal mehr musste ich an Paul Austers jüngstes Buch 4 3 2 1 denken, denn vorgestern war auf ARTE ein Film über Paul Auster zu sehen, in dem vor allem 4 3 2 1 thematisiert wird. Auster erzählt viel aus seinem Leben, spricht über die sein letztes Werk vorbereitenden Bücher, Winterjournal (2015) und Bericht aus dem Inneren (2016); ausführlich kommt Austers Frau Siri Hustvedt zu Wort und, eine besondere Überraschung, Wim Wenders bekennt, wie sehr er Paul Auster als Person schätzt und seine Bücher liebt, vor allem 4 3 2 1.

Das Buch handelt von Archibald Ferguson und viermal wird nun seine Lebensgeschichte erzählt.

 

„… vier Jungen mit denselben Eltern, demselben Körper und demselben genetischen Material, aber jeder mit seinem je eigenen Gefüge von Umständen in einem anderen Haus in einer anderen Stadt lebend. Von den Auswirkungen dieser Umstände hierhin und dahin gedreht, würden die Jungen sich im Fortgang des Buches auseinanderentwickeln, würden als immer unterschiedlichere Charaktere durch Kindheit, Jugend und Mannesalter krabbeln, gehen, galoppieren, jeder aus seinem eigenen, separaten Weg, und doch alle immer noch derselbe Mensch, drei imaginäre Versionen seiner selbst.“

 

Und der Leser erkennt, wie sehr unser Leben durch Zufälle bestimmt ist und wie wenig wir eigentlich selber in der Hand haben. Ein großartiges Buch, das ich hier erwähne, nicht nur, weil ich es zu lesen sehr empfehlen möchte, sondern auch, weil man das Porträt über Paul Auster in der ARTE-Mediathek noch anschauen kann.

Im Anschluss an diese Dokumentation wurde dann noch Austers Film SMOKE gezeigt, ein wunderbarer Film, ein großes Vergnügen, den Streifen mit dem großartigen Harvey Keitel noch einmal zu sehen. Auch hier werden ganz unterschiedliche Geschichten erzählt, deren Auslöser stets die Zufälle des Lebens sind.

Und dann noch die Musik, die im Film nicht zu kurz kommt, wir hören unter anderem von Tom Waits „Downtown Train“ und „You Dream“; The Jerry Garcia Band mit „Cigarettes and Coffee“ und „Smoke Gets In Your Eyes“; von Louis Prima „Brooklyn Boogie“ sowie von Rachel Portman „Augie´s Photos“, „Snow Story“ und andere mehr.

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3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Es war doch Peter Rühmkorff, der mal sanft beklagte, wieviele Bücher man ungelesen am Grabesrand ungelesen zurücklassen müsse.

    Wahrscheinlich wird 4321 bei mir dazuzählen, den irgendwan ging mir die Lust an seinen Büchern verloren. Vielleicht hat er später welche geschrieben, die mich so beeindrucken würden wie MOND ÜBER MANHATTAN. Ich mochte auch noch seinen vielbelächelten Hunderoman, weil ich Hunde liebe, auch die in den besseren Walt Disney-Filmen:) Aber MUSIK DES ZUFALLS, nein danke, dann lieber Cage. Und dann gab es noch zwei Enttäuschungen, und dann war Schluss.

    Es gibt für mich kaum noch, oder viel weniger, die verlässlichen Lieblingsautoren, denen ich jedes Buch abkaufe. James Lee Burke vielleicht, aber der wurde so unregelmässig übersetzt, da komm ich gar nicht hinterher.

    Oder andersrum, die Augen mal auf meine neun Geniestreiche der Phantastik gerichtet: welchen von diesen Krachern hast du gelesen? :) – it‘s a wide, wide, wide world.

  2. Rosato:

    Wäre bei ARTE nicht ein Film über Paul Auster zu sehen gewesen, dann hätte Gregors 180. Plattenschrank anderen Inhalt präsentiert – vielleicht. Der Zufall hat jedenfalls mitgewirkt.

    Und der Leser erkennt, wie sehr unser Leben durch Zufälle bestimmt ist und wie wenig wir eigentlich selber in der Hand haben.

    Ich bin überzeugt vom Zufall, angedeutet habe ich das in einem Posting über Jordi Savall. Die meisten Zufälle führen mich auf unspektakulären Wegen durch das Leben. Dass ich am frühen Nachmittag des 21. Februar diesen Kommentar schreibe, ist – besser gesagt – erscheint mir als meine freie Entscheidung. Aber ohne eine zufällige Begebenheit gehörte ich überhaupt nicht zum Kreis der Manafonisten.
     
     
     


     

     
     
     
    Als im Herbst 2014 dieses ECM Album erschien, habe ich eine Rezension bei Amazon verfasst. Wenige Stunden später traf ein Kommentar von song_x ein, der mich erstmals zum Manafonistas-Blog leitete.

    Ach ja, bevor ich es vergesse: zwei Tage vor dem NDR-Jazz-Workshop spielte das Trio im ARRI Kino zu München – nachzulesen in der Amazon-Besprechung. Bei diesem Auftritt befand ich mich im Publikum. Hier bitteschön der Rundfunkmitschnitt.
     
     
     


     
     
     

    Das ist im Wesentlichen der Nachlass meines Papas. Er ist 3 Wochen vor Kriegsende im Alter von 23 Jahren zufällig gestorben. Die Geschichte hat mir vor Kurzem meine Mama wieder erzählt. Viele wussten, dass der Krieg verloren war. Der Bürgermeister von Oberfeldbrecht bot ihm Zivilkleidung an, damit er sich nach Hause durchschlagen könne. Das lehnte er ab, denn man hatte ihm ein paar Jugendliche zugewiesen. Bei denen wollte er bleiben. Sie hielten sich an einem Tag Mitte April in einem Waldstück versteckt während amerikanische Truppen anrückten. Diese nahmen jedes Waldstück unter Gewehrfeuer, um nicht selbst in einen Hinterhalt zu geraten. Mein Papa und ein Sechzehnjähriger wurden tödlich getroffen.
     
     
     


     
     
     

    Diese Nagelfeile ist im hinterlassenen Beutel meines Papas aufbewahrt. Im Jahr 1943 hat sie ihm wohl das Leben gerettet. Er trug sie zusammen mit Rasierklingen und Nassrasierer in einem Lederetui in seiner linken Brusttasche. Sie wurde verbogen von einer Gewehrkugel. Wegen eines oder zweier Zentimeter kann ich diesen Kommentar schreiben.
     

  3. Michael Engelbrecht:

    Was sich in manchem Kommentar alles an seltsamen Umständen kundtut, an dramatischen wie beiläufigen Wegscheiden. Wenn man nicht an Schicksal glaubt, mag dennoch der Zufall nicht viel weniger wunderlich erscheinen.

    Wir nähern uns dem unerhörtesten aller Zufälle. Aber davon wird ein andermal zu erzählen sein.

    An dieser Stelle aber spreche ich dir, Rosato, eine Leseempfehlung aus, und wenn du ihr folgst, ist die Wirkung umso tiefer, je weniger du über den Roman im Vorfeld erfährst: ignoriere Besprechungen, Klappentexte, Inhaltsangaben, und mach dich auf eine ergreifende Lektüre gefasst, es ist ein schmaler Roman und er enthält u.a. ein Jazzstück, das du liebst, und eine Busfahrt, die du nie vergisst:

    Der amerikanische Traum, von Ernst Augustin.


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