Ich bin wieder im Jahr 1977. Ich räume die Teetassen weg, C. ist schon zur Uni gefahren. Am Morgen bekomme ich Post aus Unterlüß, „Flammende Herzen“, von Michael Rother. Junge, Junge, kannst du nicht noch ein bisschen dicker auftragen? Die zwei Harmonia-Platten hatte ich verpasst, sie gingen fast unter, und Michael Rother fand neue Allianzen bei Conny Planck und Jaki Liebezeit. Als ich das erste Mal die Platte auflegte, erfreute mich der Melodienrausch, der Überschwang, und wenn schnell der eine und andere mit dem Kitschverdacht kam, machte ich da nicht mit. Erinnert euch doch, wieviele Melancholiker da durchs Land schlichen, und ich meine nicht die erhebende Melancholie der frühen Wenders-Filme, eher schon das virtuose Graugetöne der Fassbinderstreifen, die verbissenen Introvertiertheiten subdepressiver Horizonterkunder, und dann kam der Michael Rother mit so einem Teil raus, setzte seiner grossen Liebe ein Denkmal, so unverschämt poetisch wie das Cover von Keith Jarretts „Belonging“. Als ich gestern die Box bekam mit seinen Solowerken, „Flammende Herzen“, „Sterntaler“, „Katzenmusik“, und „Fernwärme“, war ich bald vom Flair der alten Zeit umfangen. Eine Woche nach meinen nächsten Klanghorizonten erscheint die Box, und ich werde in der Nacht zum 16. Februar eine gute Stunde mit diesen Alben verbringen, und manchen Hörer in die alte Bundesrepublik entführen. Rothers Alben, so rogoros und schillernd wie die Regenbogenfarben der alten „Edition Suhrkamp“. Nebenbei denke ich beim „Rotherhören“ auch an Kirmes, Karussell, Sechs-Tage-Rennen, Herzklopfenanfragen für eine Tasse Kaffee, die schönste Frau vom Möhnesee, die Gitarre spielte und „Heart of Gold“ sang, ich denke an den längsten Kuss auf der Alten Mainbrücke, Sonnenaufgänge im Internationalen Studentenhaus, und daran, wieso sich niemand beschwerte, wenn ich nachts „Sterntaler“ auflegte.