Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 28 Dez

Kingdom of the Self (Gastbeitrag von David Emling)

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | Comments off

 

 
 
 

Übersetzungen sind in solchen Besprechungen eigentlich tabu. Sie zerstören den Klang des Geschriebenen und damit auch das Reich der Imagination, das sich (hoffentlich) beim Zusammenkommen von Musik und Text für den Hörer eröffnet. Dennoch ist dieser Titel auch in der deutschen Übersetzung entscheidend für ein Verständnis dessen, worum es auf diesem Album geht.

Das Selbst also, unser Selbst – beschrieben als ein Königreich. Ein strukturell, sogar geografisch klar abgrenzbares Areal, in dem ebenso klare Hierarchien, Strukturen und Ordnung herrschen. In dem ein jeder wie das berühmte kleine Rädchen ins andere greift und genau durch diese Funktion Bedeutung erlangt. Und nun kann man fragen: Geht es uns in der heutigen Zeit, der „Moderne“ (oder doch schon „Postmoderne“?!) nicht ähnlich? Wir befinden uns in einem klar abgrenzbaren Leben (geografisch, physisch, sozial), das mit allerhand Rollen angereichert ist und dadurch erst greifbar, beschreibbar wird (oder gar nur dadurch existiert?). Jeder hat „seine Woche“, die Arbeitswoche wiederum ergibt sich für viele durch einen 8-Stunden-Tag, der somit zwangsläufig die restliche „Freizeit“ definiert. Und wir scheinen uns darin eigentlich ganz wohl zu fühlen, denn durch die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen, Team oder sonst was sowie einer entsprechenden Entlohnung lässt sich wie aus einer Frucht das süße Verständnis seiner selbst „als jemand“ extrahieren. Soziale Kreise (so hat das Georg Simmel genannt) wie eben die „Arbeit“ sind die klar abtrennbaren Lebensbereiche eines jeden, deren Kristallisationspunkt schließlich das eigene Selbst ist (am Ende dieses Textes sieht der Leser, dass es mir ähnlich geht).

Wie anders wirkt dagegen das Cover von „Kingdom of the Self“, auf dem nur wenig klar erkennbar ist. Der Künstler Dennis Krieg, der das Bild mit der hochkomplexen Ambrotypie-Technik erschaffen hat, zeigt einen Mann mit nacktem Oberkörper, ein in der Mitte noch deutlich erkennbarer Leib, der aber zu den Rändern an Kontur verliert. Und in dessen Mitte ein Messer, das vor der Brust schwebt, jederzeit in der Lage, den dahinter stehenden Menschen zu verletzen. Ansonsten ist der Hintergrund schwarz, daneben stehen Bandname und Albumtitel. Unser Königreich des Selbst – vertieft man sich in dieses Bild, wird schnell klar, dass das nichts als eine Fassade ist, die mit einem gezielten Stich des Messers, das in Form von allerlei Unvorhersehbarkeiten des Lebens stets auch uns treffen kann, in sich zusammenfällt.

Eine solche Erkenntnis (wenn es denn eine ist; genau genommen „wissen“ wir alle schon längst um diese Fragilität) ist beklemmend und befreiend zugleich. Sie hat die Kraft, uns völlig aus der Bahn zu werfen und im Alltagsrauschen jegliche Orientierung zu nehmen, bis wir völlig hinter unseren vermeintlich wichtigen Handlungen verschwinden. Es ist das Gefühl, allein zu sein auf dieser Welt. Ganz allein – und nichts, absolut nichts, wird von uns zurückbleiben.

Aber damit muss es nicht zu Ende sein. Wir müssen nicht aufhören – nach Sinnhaftem zu suchen, zu leben. Wir können manches anders machen. Genau dafür ist diese Musik gemacht, sie lebt und atmet diesen Gedanken in besonderer Weise. Die Bilanz dieser Band ist da eindeutig: Zwölf Jahre, fünf Studioalben, rund 150 Konzerte. Dazwischen die Arbeit, Familie, zwei Bandmitglieder mit abgeschlossener Promotion, unzählige Umzüge, Hausrenovierungen, inzwischen fünf Kinder, ein sechstes auf dem Weg – und doch zu keinem Zeitpunkt der Gedanke, das alles einfach sein zu lassen, weil man den „Durchbruch“ ja nicht geschafft habe. Zu wichtig scheint es zu sein, dieses Andere.

 
 
Oh take this umbrella and shelter my soul,

I need you to guide me and call me your son.

Because I am alone

when the wolves begin to howl

When Atlas cries

for love, for pain, for joy and happiness.
 
 

Diese Zeilen aus dem für mich mit dem Opener „This Fire“ umfassendsten und somit in gewisser Weise „besten” Song „The wolves“ lässt mich daran glauben, in dieser Einsamkeit Kraft finden, uns von einem vermeintlichen Selbst, das wir nie werden erreichen können, zu lösen. Hört man den Song „The wolves“, kommen sie nämlich, jene Momente, in denen man vollkommen im Gehörten oder Gespielten aufgeht. Es ist keine schmerzvolle Auflösung, es ist ein Sich-Fallenlassen ins unabwendbar Geschehende. Momente, in denen alles, wie es nun einmal ist – nein, nicht perfekt scheint, aber doch annehmbar. Solange es das noch gibt, ist das Leben nicht verloren. Und jenes Alltagsrauschen, das es zu überwinden gilt, bleibt besiegbar. Danke Jungs!

 

David Emling, Schriftsteller und Soziologe, ist Gitarrist der Band Shy guy at the show.

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