Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 22 Mai

June’s seductive offerings

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

„Leere ist mehr als nichts. Sie ist ein Zustand, vor dem wir intuitiv fliehen, und den wir erst genießen können, wenn er eintritt.“ Interessant. In Birbaumers & Zitlaus Buch über das überschätzte Denken und diverse Erfahrungsweisen der Leere im Gehirn werden einige Hirnareale erkundet, in einem munteren „crossover“ der Wissenschaften. Des einen horror vacui ist des anderen Mini-Sartori. 256 Seiten kosten 20 Euro.

Ein Weg, Furchtlosigkeit zu entwickeln, bleibt auf ewig, dem grössten Schrecken die Stirn zu bieten, Jon Hassell erzählt davon im Begleittext (oder in Interviews) zu seinem fantastischen Album „Dream Theory in Malay“ – man kann es aber auch so anstellen wie das „erzählende Ich“ von „My Favourite Thing is Monsters“ – unser Thriller des Monats, eine „graphic novel“, ein wahrlich berauschender Genre-Mix. Bei den Manafonisten stehen „graphic novels“, soviel ich weiss, aber was weiss ich schon, nicht gerade ganz oben auf der Begeisterungsskala (ausser bei Martina), aber dieser „Schmöker“ der besonderen Art könnte das ändern.

 
 
 

 
 
 

Ob Patti Smith schon die finale dritte Staffel von „Broadchurch“ gesehen hat, die jüngst auf DVD und BLU RAY erschienen ist? Es würde ihre Wertschätzung britischer Kriminalserien bekräftigen. Die Armseligkeit deutscher Serien-Formate tritt da nur noch krasser ins Blickfeld. Jetzt bin ich mir sicher: „the revolution has been televised“. Man sollte sich von dem Gedanken freimachen, bei diesen Serien der Extraklasse gehe es um gute Unterhaltung und andere Formen des Zeitvertreibs. Ich glaube, dass hellwache Zeitgenossen beim Eintauchen in ausgewählte Serienwelten manche Form von Katharsis durchlaufen, und dermassen aufgerüttelt werden, dass Psychoanalytiker um ihre Kundschaft fürchten könnten. Kleine Übertreibung, klar. In therapeutischen Sitzungen setze ich,  zunehmend und begleitend, auf den jeweilgen Klienten „zugeschriebene“ Serien ein. Gerade in der Trauer- und Traumaarbeit können Serien wie „The Leftovers“ oder „Broadchurch“ enorm unterstützend wirken.

Eigentlich hatte ich vor, Midori Takadas „Through The Looking Glass“, das mir eines Morgens von UPS übergeben wurde (ein Hörer der Klanghorizonte aus Truro hatte die Eingebung, es mir für meine Sendung zukommen zu lassen) als Geheimware in die nächste Nachtsendung zu schmuggeln, aber kaum hatte ich das Werk nachts erstmals in aller Ruhe (und mit einer gewissen Portion Leere im Gehirn) gehört, hatte Uli Koch bereits seine Geschichte zum Album erzählt. Das Werk aus dem Jahre 1983 lässt sich diesem flatterhafte Genre von „Fourth World Music“ zurechnen, in dem diverse Erdzonen ein eher abenteuerliches als gepflegtes Verhältnis eingingen, ehe das Gros der „Weltmusik“ sich in einen Groovestadel der Gemütlichkeit verwandelte.

Anzusiedeln zwischen kühner Träumerei, Wissensdurst und einem fortgesetzten Abstreifen eingetrichteter No-Go’s: die Exotica der Midori Takada und das Leben von Susan Sontag (1934-2004) haben einiges gemeinsam, weit über klassisch feministische Themen hinaus. Seit einiger Zeit liegt das lange Gespräch, das Susan Sontag und Jonathan Cott in Paris und New York führten, in Buchform vor. Wie die Manfonisten im Normalfalle, so scherte sich auch die Amerikanerin keinen Deut um fadenscheinige Trennungen von Pop- und Hochkultur. Was für ein spannendes Erinnerungsfundstück!

Und das Album des Monats? Ein Songzyklus aus dem berühmten einen Guss, Vertonungen von Gedichten einer über 90 Jahre alten Lyrikerin, die zwar ihr Leben lang schrieb, aber erst im hohen Alter einen ersten Band an die Öffentlichkeit brachte. Fernab aller Exzentrik tauchte Sam Genders aka Diagrams in diese Gedichte ein,  und brachte das Kunststück fertig, diese reimfernen Gebilde in sanft fesselnde Songs zu verwandeln.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Some final corrections etc., and now June’s seductive offerings are ready for reading in toto. Everybody has his or her own version of enthusiasm, but, speaking of song albums, there are only two new ones on hot rotation in my place in these days, Diagrams and The Mountain Goats.

  2. Michael Engelbrecht:

    Ein Interview mit Susan Sontag aus dem Jahre 2002, damals im SPIEGEL erschienen. Die US-Autorin stellte auf der Leipziger Buchmesse ihren neuen Roman vor: „In Amerika“. Er beschreibt das Schicksal polnischer Intellektueller, die um 1880 in Kalifornien eine Art Landkommune gründen.

    SPIEGEL: Ms. Sontag, in Ihrem neuen Roman heißt es einmal, die USA wollten alle Menschen zu Verkäufern oder Konsumenten machen*.

    Sontag: Das sagt eine Figur. Aber es stimmt – und die Tatsache, dass diese Kritik schon polnische Einwanderer im 19. Jahrhundert beschäftigte, hat mich fasziniert.

    SPIEGEL: Mögen Sie Ihre Romanfiguren?

    Sontag: Allerdings. Nicht nur, weil ich so lange und so intensiv mit ihnen lebe. Ich erinnere mich an einen heißen Sommertag, als ein schwitzender Handwerker einen der Aufzüge in meinem Haus reparierte. Ich wollte schon den anderen Aufzug nehmen, als mir einfiel, dass Emma, die Heldin meines Romans „Der Liebhaber des Vulkans“, ihm etwas zu trinken angeboten hätte. Und ich brachte dem Mann etwas zu trinken.

    SPIEGEL: Sollen wir für Emma, die Geliebte Lord Nelsons, Sympathie empfinden?

    Sontag: Sie ist eine typische Femme fatale. Vor allem Frauen, die im Mittelpunkt stehen, haben oft eine mütterliche Seite, wie zum Ausgleich für ihre Egozentrik. Marlene Dietrich war berühmt dafür, ihre Umgebung mit Hühnersuppe zu traktieren. Ich habe immer wieder im Milieu von Schauspielern gelebt, sonst hätte ich diesen Roman nicht schreiben können. Ich bin genauso, aber Sie wollten ja keine Suppe.

    SPIEGEL: Trotz Ihrer Fürsorglichkeit gelten Sie als schwierig, zumal in Interviews.

    Sontag: Das ist ein misogynes Vorurteil. Einem berühmten Mann nimmt man eine gewisse intellektuelle Ungeduld nicht übel, während man eine Frau gleich zum Monster macht. Außerdem ist es nicht selten wirklich gleichgültig, wie ich mich verhalte und was ich sage – es steht ohnehin von vornherein fest. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer österreichischen Zeitung, die riefen mich an, kurz nachdem Peter Handke diese grauenhaften Aussagen zu Serbien gemacht hatte, und sie fragten mich, was ich davon hielte. Nun, ich sagte, was ich davon halte – dass sie grauenhaft sind, so falsch, verheerend, entsetzlich, wie sie eben sind. Dann wollte der Interviewer wissen, ob ich weiter Handke lesen werde. Ich bewundere ihn als Dichter, sagte ich, also werde ich ihn natürlich weiterhin lesen. ,Aber nach dem, was er gesagt hat und was Sie jetzt gesagt haben, müssen Sie doch fertig mit ihm sein?“ Nein, sagte ich, wieso sollte ich seine Romane nicht mehr lesen, nur weil ich mit seinen Äußerungen nicht einverstanden bin? Ich lese doch auch Nietzsche, obwohl ich seine Ansichten über Frauen nicht vollkommen teile. Kurz und gut, nach einer Woche bekam ich einen Anruf von einem Freund aus Italien, der mir Vorwürfe machte, weil Susan Sontag gesagt hätte, Handke könne man als Schriftsteller künftig getrost vergessen.

    SPIEGEL: Handke hat den Medien misstraut, er wollte sich sein eigenes Bild machen.

    Sontag: Was ich nur begrüßen kann. Eigentlich sollte es zur Regel werden, dass man sich zu politischen Fragen dieser Art nur äußern soll, wenn man dort gewesen ist. Wissen Sie, warum in dieser Riege von selbstgerechten Robotniks, die im Moment unsere Außenpolitik bestimmen, ausgerechnet General Powell noch als besonnen und beinahe sensibel durchgeht? Weil er der Einzige ist, der überhaupt weiß, was Krieg bedeutet – er hat ihn erlebt.

    SPIEGEL: Allerdings bringt der Lokaltermin auch nicht immer die wahre Erkenntnis.

    Sontag: Es kommt natürlich auch auf die Art des Reisens an. Als Mitglied einer so genannten Delegazi und auf Einladung und unter Aufsicht der Regierung bringt man wenig in Erfahrung. Aber es schmeichelt der Eitelkeit. Als ich in Paris lebte, wurde dort eine Autorenreise nach China organisiert, die kaum rühmlicher verlief als der Besuch von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir in China. Selbst ob es sich um eine Diktatur handelt, war anfangs noch durchaus strittig.
    SPIEGEL: Wie soll man es also machen?

    Sontag: Allein reisen, mit normalen Leuten reden, Erfahrungen und Widersprüche zulassen. Wahrscheinlich hat Handke tatsächlich nur nette Serben getroffen – so wie man auch 1942 in Bamberg nette Deutsche kennen lernen konnte. Trotzdem vertraue ich meiner sinnlichen Erfahrung.

    SPIEGEL: Die Erfahrung von Schmerz hat Sie in den letzten Jahren stark beschäftigt.

    Sontag: Seit dem Krieg in Jugoslawien treibt mich die Frage um, wie wir mit Schmerz umgehen – auch mit dem Anblick von Schmerz. Vor langer Zeit, in meinem Essay „Über Fotografie“, habe ich die These vertreten, dass die permanente Abbildung von Leid, gerade durch die Kriegsfotografie, die seit dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle spielt, unsere Wahrnehmung abstumpft, unsere Sensibilität durch Wiederholung und Steigerung eher schwächt. Das glaube ich heute nicht mehr. Natürlich gibt es auch einen Voyeurismus des Leidens, aber insgesamt sind wir doch gerade durch die Vergegenwärtigung von Schmerz zu erschüttern. Aber welches Leid muten wir uns in der Abbildung zu? Für das Eingreifen in Jugoslawien, schließlich und viel zu spät, war auch die Tatsache verantwortlich, dass es Menschen sind wie wir, die da getötet und zerstückelt wurden: nicht Vietnamesen, Afrikaner, sondern Leute wie wir, europäische Physiognomien. Darum auch gibt es Bilder vom Ground Zero, von Leichen und Leichenteilen, die eben nicht gezeigt werden. Unsere eigenen Toten muten wir uns nicht zu. Da gilt für uns die zivilisatorische Regel: Körperteile sind keine Personen mehr.

    SPIEGEL: Zu Ihren Schmerz-Erfahrungen gehört eine zweite Krebserkrankung, die Sie überstanden haben. Hat das Ihre Wahrnehmung fremder Leiden verändert?

    Sontag: Ja. Ich bin, vermutlich, geduldiger geworden; vielleicht habe ich auch mehr Mitgefühl für andere entwickelt. Ich bin eigentlich ein schneller, aktiver Mensch, jemand, der eher unduldsam auf Verzögerungen reagiert und ungern Empfindungen in den Vordergrund stellt. Ich bin erfahrungshungrig, ich suche Realität.

    SPIEGEL: Keine typische Intellektuelle also?

    Sontag: So gesehen nicht. Ich habe mich gegen diesen Titel immer gewehrt – auch weil ich mich als Schriftstellerin verstehe. Natürlich bin ich eine Intellektuelle, insofern ich Akademikerin bin, Bücher schreibe und so weiter – soziologisch gesehen also. Ich habe vielleicht auch andere Wünsche als eine typische Intellektuelle. Ich erinnere mich an eine Situation vor einigen Jahren, wiederum in Frankreich, als ich mit Freunden – soziologisch Intellektuelle wie ich – zusammensaß und die Frage aufkam, was man gerne wäre. Eine spielerische Frage: so als ob man sagen soll, was man gern noch lernen würde.

    SPIEGEL: Was wäre das bei Ihnen?

    Sontag: Deutsch. Ich spreche gut Französisch und komme mit einigen anderen romanischen Sprachen zurecht, aber ich habe nie ordentlich Deutsch gelernt, obwohl viele Autoren, die ich besonders liebe, Deutsch geschrieben haben. „Der Zauberberg“ war ein elementares Lektüreerlebnis für mich – und ist vielleicht der wichtigste Roman für mich überhaupt. Jedenfalls, auf die Frage, was man gerne wäre, sagte ich spontan, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken – denn sonst hätte ich das sicher nicht gesagt: „Ein guter Mensch.“

    SPIEGEL: Warum hätten Sie es nicht gesagt?

    Sontag: Sie hätten die Gesichter sehen sollen: betreten, beinahe peinlich berührt. Ein guter Mensch sein zu wollen, das hat heute etwas Lächerliches. Das ist etwas aus dem 19. Jahrhundert. Die Menschen bei Tschechow, bei Tolstoi, die schlagen sich damit herum.

    INTERVIEW: ELKE SCHMITTER


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