Der depressionsfreudige Monat naht, und mit ihm Gruselgrau, Dauerregen und Kaminfeuer. Unser „album of november“ wird von Ingo J. Biermann vorgestellt, und ich habe bislang noch nie etwas von dieser Sängerin gehört. Musikalische Szenen sind so unendlich weit gefächert, dass ein 360-Grad-Überblick gar nicht mehr möglich, auch nicht erstrebenswert ist. Gerade deshalb sind ENTDECKUNGEN jederzeit möglich, zumal, wenn vertrauten Stimmen sich zu Wort melden.
Da Ingo J. Biermann jüngst Manfred Eicher bei einer Studioproduktion mit Kamerateam begleitete, dürfte ihm als Kenner der ECM-Welt (die gerade, in pataphysischer Manier, und ganz im Sinne Cortazar’scher Cronopien und Famen, selbst die Sylter Jukebox-Szene erfasst hat), unsere novemberige Vinylecke, reich an alten ECM-Werken, gefallen. Unserm grossen Vinylexperten und Stammleser Norbert Ennen ohnehin, der da einiges Lesefutter vor sich hat. Der Text existiert jetzt in einer neuen Fassung.
Für das Grau(en) in allen Schattierungen bis ins tiefste Caravaggio-Schwarz sorgt meine Thriller-Empfehlung, die bei aller Plot- und Schreibqualität in ähnliche Dimensionen des Horrors und der Umnachtung vorstösst wie einst Robert Bollanos dunkelstes Werk. Nett wie ich nun mal bin, enthält meine inhaltsfreie Vorstellung neben einer ausdrücklichen Warnung auch die etwas heller gestimmte Alternative, ein gewitztes Frühwerk von Don Winslow, das, folgen wir mal dem Spass des Klappentextes, den „besten Detektiv Amerikas nach London“ verschlägt.
Der Knaller aus der Abteilung „Philosophica“, die diesmal eher „Psychologica“ lauten sollte, ist den kreativen Potentialen von Fehlern, Zufällen, Desorganisation und anderen geplanten wie ungeplanten Verwirrspielen und Missgeschicken gewidmet: MESSY geht los mit Vera Brandes, Keith Jarrett und dem „Köln Concert“, mit David Bowie und Brian Eno in Berliner Tagen, womit sich gleich mehrere manafonistische Kreise schliessen. Lars Gustafsson hat einst den feinen Kurzgeschichtenband „Die Kunst, den November zu überstehen“ herausgebracht (wo es viel ums Reisen geht, auch um die einundzwanzig Eisenbahnen von Iserlohn) – ich bin sicher, unsere Empfehlungen können (wenn man mal unseren „Alptraumthriller“, dessen erster Teil nicht zu Unrecht „Böse Träume“ lautet, aussen vor lässt) dabei wertvolle Hilfe leisten.
Nicht zuletzt auch DETECTORISTS, die zwei Staffeln umfassende britische TV-Serie, welche im ländliche Suffolk den dezenten Obsessionen und Weltverlorenheiten der Protagonisten nachspürt: dass diese neue Kolumne „Bingewatch Trance“ lautet, stellt dem flapsigen englischen Ausdruck fürs „Komagucken“ jene bewusstseinsverändernde Qualität an die Seite („Trance“), die ein Alltagsphänomen ist und nicht das Privileg ausgefuchster Hypnosetechniken. Das rationale Bewusstsein ist ein Teilzeitarbeiter, und überlässt oft genug dem Unbewussten das Feld, gerade auch da, wo wir in andere Welten eintauchen.
P.S. Anlässlich der im November in Hamburg wochenlang zu erlebenden Installation von Brian Eno’s THE SHIP wird die Besprechung dieses Meisterwerkes (im LP/CD-Format) in Kürze wieder ins „Blogtagebuch“ transportiert. Incl. Brians Kommentar zu unserem Text! Ob es tatsächlich das manafonistische Album des Jahres wird, zeigt sich in der Abrechnung zum Jahresende hin.