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2025 16 März

Stille Brüter – Die Welt der Domestiken und Leibeigenen

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | No Comments

 

Was vom Tage übrigblieb ( GB, 1993 ), James Ivory

…eine für uns mittlerweile versunkene Welt. Natürlich gibt es heute noch Hauspersonal und Bedienstete, aber gottlob ist die Zeit vorbei in denen man diese als eine andere Sorte Mensch betrachtete und dazu eine Ideologie errichtete die alle Arten von Unterdrückung und Gewalt rechtfertigte wie die Geschichte der Versklavung der Schwarzen illustriert. Dass die Frauen ihren Körper den Herrschenden zur Verfügung stellen mussten war im sog. Herrenrecht und im besonders hundsgemeinen Jus primae noctis auch juristisch fixiert, zumindest in Europa. In den Staaten machte man sich diese Mühe gar nicht erst.

Wenn man sich mit der Literatur, insbesondere Jugendliteratur, der deutschen Kaiserzeit beschäftigt braucht man diesbezüglich einen starken Magen, da riecht man förmlich den Schweiss der bei der pädagogischen Bemühung um die Errichtung der Klassenschranken und ihre Zementierung vergossen wurde während in der Mädchenliteratur noch zusätzlich an der Verfestigung der Geschlechterschranken gewerkelt und die Mädchen auf ihre Hausfrauenrolle vorbereitet wurden; zu letzterem Zweck wurde auch noch das reaktionäre bildungsbürgerliche Ideal der einmaligen romantischen Lebensliebe permanent zelebriert – man wusste schon damals wie man die Mädels ködert und bei der Stange hält. Vielleicht hat hier noch eine der mitlesenden Damen den Trotzkopf oder Nesthäkchen oder Majors Einzige gelesen, oder überhaupt Marlitt und Courths Mahler? Schon allein die Titelbilder signalisieren dass hier reihenweise aus liebenswerten wilden Hummeln dröge Hausmuttis geformt werden sollten – eine brutale literarische Einnordungsmaschinerie – wie ich es zu nennen pflege.

                                 

 

Der Welt der Feudalherrlichkeit, der Gutsherren und Adeligen stand die Welt der Bediensteten und Bildungsfernen ( wie man heute sagen würde ) gegenüber und deren moralische Integrität wurde schon von vorneherein in Zweifel gestellt – erkennbar an dem häufig auftretenden Stolperstein der Formulierung “ eine arme Frau, aber moralisch hochstehend „. Ein Einzelfall, der eine lobende Erwähnung verdient, die anderen stehen von Anfang an offenbar im Ruch des Gangstertums. Heute heissts Prekariat, was auch nicht besser ist. Die Bediensteten und Verarmten waren also offenbar eine Population von Aliens die man wenn überhaupt höchstens mit Abstand beäugt und die nur zum Zwecke des Dienens die Liegenschaften der Herrschenden betreten dürfen, mit tiefer Verbeugung, Mütze in der Hand und einer Entschuldigung für die Störung auf den Lippen. Und beim Verlassen des Raumes rückwärts gehen müssen damit der Herrscher bloss den Hintern nicht sieht. Wenn einer davon – ein besonders begabter Junge beispielsweise – dann in die situierte Familie aufgenommen und grossgezogen wird ist das kein Erweichen der Klassenschranken sondern deren weiteres Zementieren durch den Beweis der Hochherzigkeit der herrschenden Klasse und ein Einfordern von lebenslanger Dankbarkeit der Underdogs, ebenso wenn der Graf das Kindermädel heiratet. Trotzdem bleibt es degoutant, irgendwie…wenn man zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Wenn die Gräfin sich in ihren Gutsverwalter verguckt dann muss im plot dafür gesorgt werden dass der sich als verarmter Gutsbesitzer oder besser noch verkappter Graf mit entsprechend Anstand und Bildung entpuppt – bei Gräfin Mariza wird mir heut noch schlecht – und es werden die unwahrscheinlichsten Volten und Kapriolen konstruiert die dafür sorgen dass letztlich doch die Stände unter sich bleiben. Gottlob beruhigte uns der Gutsverwalter Rudolf Schock dann gleich in seiner Auftrittsarie: Auch ich war einst ein feeeiiiiner Czardaskavalier, hab kommandiert Zigeuner gradeso wie ihr…( Woke ist das ja auch nicht!) und als einfacher Malocher hätte er die Gräfin natürlich niemals gekriegt. Die ebenso hundsgemeine Gehirnwäsche der Nachkriegszeit und ihrer Trivialkultur, immer bemüht in althergebrachten Werten Halt nach dem grossen Zusammenbruch zu finden. Aber ich komme ins Plaudern.

Die Bediensteten hatten Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen und auch bei intimeren Verrichtungen zu helfen – der französische Adel zur Zeit des Sonnenkönigs pflegte bei Gartenfesten Pisspagen zu beschäftigen: Auf dem Gelände liefen Pagen mit Eimern herum, damit die Herrschaften beim Feiern nicht erst die Toiletten aufsuchen mussten die es vermutlich ohnehin nicht gab. Welche Hilfen die Damen mit ihren unpraktischen Reifröcken von ihren Kammerzofen benötigten verschweigt die Geschichte diskret – aber dieser offensichtliche Wegfall der Schamgrenzen definiert die Beziehung zum Bediensteten ein weiteres mal: Du bist so wenig Mensch, dass ich mich nicht einmal vor Dir schäme. Man schämt sich ja auch nicht wenn einem der Hund beim Pinkeln zusieht. Heute habens die Damen besser, by the way: Auf youtube grassieren Videos die gegenwärtigen Bräuten mit Reifröcken beibringen wie man vor der Trauung noch schnell aufs Klo geht ohne die ganze Kledage nochmal ausziehen zu müssen.

Es bedurfte erst der Einflüsse des Kommunismus und Marxismus in den sog unteren Ständen so etwas wie Klassenbewusstsein und Klassenstolz zu entwickeln, ein Aufatmen in der Geschichte bis zum Auftreten des Liberalismus und seiner Anything – goes – Philosophie, die die Arbeiter veranlasste den Anschluss an das Bürgertum und seinem Rattenrennen nach Wohlstand anzustreben anstatt sich zu solidarisieren. Soweit meine Marginalien zum historischen Hintergrund.

Der vorliegende Film beginnt im Jahr 1956 auf einem feudalen Landsitz in England, weist dann aber zurück in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und dem Aufblühen des Nationalsozialismus, den England zunächst durchaus goutierte – appeasement nannten das die gentlemen damals und die Politiker pflegten sich bei den Feudalen einzufinden um ihnen die für den Krieg benötigten finanziellen Mittel aus den Rippen zu leiern, was natürlich hochgestochener ausgedrückt und mit altbackenen Idealen und tradierten Werten garniert wurde. Der Film zeigt das Leben des untadeligen Butlers Stevens, ein furioser Parcours für den vielseitig verwendbaren Anthony Hopkins, der in seinem feinst austarierten, aber immer minimalistischen Mienenspiel eine breite Palette an sonst unsichtbaren Gefühlsregungen auszudrücken versteht; in der Gesamtkörpersprache wirkt er oft eher wie ein geprügelter Hund oder in ein unsichtbares Korsett gesperrt. Als Bediensteter ist er perfekt, beherrscht alle Codes und Rituale des Understatements und der Unterwerfung gegenüber dem Dienstherrn, auch als sein Vater plötzlich verstirbt verliert er nicht die Contenance und serviert brav weiter das Dinner der hohen Herren, das verlangt seine Dienstbotenehre. Jüngere Generationen würden ihn für einen Chatbot halten. Das ist kein Bediensteter der nach Feierabend ( den es ohnehin nicht gibt ) mit den anderen Domestiken über die Herrschaft lästert, er ist durchdrungen von einer Identifikation mit seinen Herrn, die kaum noch Individualität durchschimmern lässt – wenn, ja wenn die kleinen mimischen und gestischen Signale nicht wären. Seine Loyalität versagt auch nicht als der Lord sich zu offensichtlich mit den Zielen der Nationalsozialisten identifiziert und zwei jüdische Hausmädchen ausliefert. Hier wird es gruselig – die Figur bekommt die Züge eines Mitläufers, Zuarbeiters, Mitwissers – hier können wir ihn nicht mehr einschätzen, fürchten das Abgründige im Undurchschaubaren. Ein heimlicher Faschist? Wir werden es nie erfahren. Das ist fesselnd zu beobachten und wirkt eher anrührend als abstossend wenngleich gelegentliche Seufzer im Publikum signalisieren dass diese Überanpassung auch Beklemmung und Gereiztheit erzeugt und gelegentlich als Sturheit ruchbar wird. Aber er versteht es Leerräume zu lassen dir wir mit unseren Phantasien über ihn füllen können, auch das eine Kunst von Schauspieler und Regisseur. Dabei vermeidet letzterer geschickt die Darstellung der Rituale der Herrschenden ins Groteske oder gar Komische abgleiten zu lassen wodurch der Film in wohlfeiler Sozialkritik verpuffen würde. So verbleibt er bis zuletzt im Reich der Tragik.

Die Wirtschafterin des Hauses, hinter deren Comme-il-faut- Attitüde unterschwellig das Leben und das Begehren brodelt lehrt ihn was Verliebtsein bedeutet und sendet unmissverständliche Signale ihrer Beziehungswünsche die Stevens nicht beantworten kann, die der Zuschauer aber bemerkt in einem plötzlichen Weichwerden seines Blicks, einem etwas zu langen Blickkontakt, einem kurzen Verzögern der Antwort, einem minimalen Schwanken der Stimme – man erahnt das Innenleben, die Kamera bleibt immer nahe an den Gesichtern. Mehr geht nicht bei diesem Mann, auch nicht bei einem Wiedertreffen nach Jahrzehnten als er sie auf das Anwesen zurückholen möchte im zunehmenden Bewusstsein seiner Versäumnisse.

 

Was wir zuletzt von ihm sehen ist der Blick nach einer Taube, die sich in einen Raum des Anwesens verirrt hat und erst eingefangen und ins Freie entlassen werden musste wo sie rasch das Weite sucht. Stevens blickt ihr hinterher und schliesst dann das Fenster, verbleibt in seiner abgeriegelten Welt…und man denkt unwillkürlich an La Paloma, ein Lied in dem die Seele eines Verstorbenen in Gestalt einer Taube zur Geliebten kommt, zum Ende doch noch eine kleine romantische Arabeske.

 

                  

 

Ein kritisches Porträt einer Gesellschaft der Klassen und Hierarchien und ihrer dahinterliegenden Abgründe, ein feiner stiller Film über einen stillen Mann und dessen Ersticken in Konventionen, sein Lebensscheitern an den eigenen Begrenzungen und Zerstörungen und ein Film über Dinge die nicht geschehen und Gefühle die nicht gelebt werden durften. Und eine Insel der Ruhe im ganzen Blockbustergetöse.

 

 

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