Konflikt genial zusammengefasst von Liedermacher F. J. Degenhardt (1972):
Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden:
Also, Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz
Sagen Sie mal sind sie eigentlich Kommunist?
Ja, Sie dürfen sitzenbleiben – überhaupt, wir sind hier ziemlich liberal
Lange Haare, Ketten, Ringe habn wir alles schon gehabt
Aber in die Akten scheissen mögen wir hier nicht!
Marx und Engels haben Sie gelesen – sagen Sie verstehen Sie das denn? Sie habn doch bloss die Volksschule besucht?
Na, nun regen Sie sich nicht gleich auf, lesen dürfen Sie ja was Sie wolln.
Überhaupt: Hier darf jeder machen was er will. Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!
Jaa, Soldat sein will heut keiner mehr, kann ich auch verstehn und ich selber hätte keine Lust, aber: Gründe haben müssen wir dafür.
Kommen Sie mir jetzt bloss nicht mit Imperialismus, den 2 Kriegen und die alte Klasse ist noch immer an der Macht , mag ja alles richtig sein, interessiert uns aber nicht.
Das ist nämlich Politik. Hier interessieren nur Gewissensgründe!
Was das ist? Hört sich zwar sehr grausam an, trifft den Nagel aber auf den Kopf: Nämlich, ob Sie töten können oder nicht.
Hier darf jeder machen was er will …
Also fangen wir mal an: In ner Kirche sind Sie nicht, auch nicht in ner anerkannten Sekte? Sehnse, da wirds schon schwierig mit Gewissensgründen!
Einen hatten wir mal hier und der machte auf Buddhist,
Warn son Typ mit Glatze, aber: Durchgekommen ist der, schlaues Kerlchen!
Also passen Sie mal auf, ich werd jetzt Ihr Gewissen prüfen:
Nehmen wir mal an Sie gehn spaziern mit Ihrer Freundin nachts im Park
Plötzlich kommt ne Horde Russen, schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park
Machen sich an Ihre Freundin ran, Sie haben ne MP dabei.
Na, was machen Sie?
Was sagen Sie? Sie verbitten sich dies Beispiel? Meinetwegen, bitte schön!
Hier darf jeder machen was er will …
Schön, die Russen und die Amis fallen also weg, die Chinesen sicher auch, und mit Negern brauch ich gar nicht erst zu kommen.
Nehmen wir ein paar normale Kriminelle, schwer bewaffnet und betrunken, nachts im Park, machen sich an ihre Freundin ran, Sie haben wieder die MP dabei. Na, was machen Sie?
Sagen Sie uns bloss jetzt nicht Sie fallen auf die Knie und beten. Denn mit sowas kommt hier keiner durch der Marx und Engels liest …
Aber bitte … hier darf jeder machen was er will …
So, jetzt wolln wir aber wissen was Sie tun? Sie sagn Sie wehren sich? Weil Sie ja in Notwehr sind?
Ätsch! Das ist aber falsch! Dürfen Sie nicht sagen!
Richtig wär die Antwort nämlich die: Ich werfe meine Waffe weg, Und dann bitte ich die Herrn mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhörn.
Was sagen Sie? Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?
Fangen Sie schon wieder an? Ist doch Politik! Hat doch mit Gewissen nichts zu tun.
Grundgesetz, ja, Grundgesetz, ja, Grundgesetz … Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz; Sagn Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?
Aber bitte, hier darf jeder machen was er will! Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!
Und so stellt sich wieder die Menschheitsfrage: Abrüsten oder Gleichgewicht des Schreckens? Letzteres hat immerhin 70 Jahre funktioniert – bis auf die chronischen Eiterherde im nahen Osten und in der Dritten Welt. Si vis pacem para bellum … Diese Erkenntnis ist niederschmetternd und katapultiert uns zurück ins Neandertal, wer das noch nicht ins Auge fassen will, mag mit Abrüstungstransparenten losziehen – er wird nicht bekommen, was er will und als Idealist und Naivling verspottet werden, weil halt nun mal der Angegriffene nicht mehr entscheiden kann, ob er Krieg will oder nicht – er hat ihn schon. Die NATO hat ihn auch.
Aber es ist auch wichtig, die moralische Position und den Friedenswunsch aller Nichtgestörten immer wieder zu formulieren und öffentlich zu artikulieren, wenn wir irgendwann einmal später aus dem Neandertal wieder herauskommen wollen! Das innovative und an humanen Werten orientierte Potential der revoltierenden Jugend und ihre I-have-a-dream-Haltung ist eine wichtige und unter Umständen ausbalancierende Kraft in Gesellschaften, die gehört werden und Raum bekommen muss damit sich nicht zuviel Resignation einschleicht. Meine Generation hat für Frieden demonstriert, wir haben ihn nicht erreicht, aber wir haben erreicht, dass man für Frieden demonstrieren darf, ohne verhaftet zu werden, das ist ein Anfang; the times they are a’changing … nur verflucht langsam.
Wenn ich noch besser laufen könnte, würde ich – wider besseres Wissen und im Bewusstsein einer gewissen Realitätsfremdheit – mitschlurfen und immer wieder Imagine anstimmen. Und We shall overcome … Songs für die Ewigkeit … und von ungebrochener Aktualität! Joan Baez lebt ja noch … und John Lennon wird uns aus den Wolken zulächeln.