Manafonistas

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Archives: Februar 2025

 

Sterben (D, 2024) von Matthias Glasner

Deutscher Filmpreis 2024

 

 

Vorüber, ach vorüber, Du wilder Knochenmann – fleht das Mädchen in dem Gedicht von Matthias Claudius („Der Tod und das Mädchen“), als der Tod nach ihm greift; genial vertont von Schubert im gleichnamigen Streichquartett, in der sich ein faszinierender musikalischer Dialog entspinnt zwischen dem verängstigten Mädchen und dem Tod, der sie in weicher  Moll-Intonation zu beruhigen und zu trösten versucht. Teile dieses Dialoges werden demgemäß oft eingeblendet, wenn der ständig präsente Gevatter sich wieder einmal mehr anschickt, jemand abzuholen. Matthias Glasner, ein Regisseur mit Gespür in der Abwicklung düsterer Themen (Der freie Wille, Requiem) liefert hier eine nur geringfügig entgleiste Nummernrevue über ein existenzielles Thema, das wir lieber in Form von Mord und Gewalt im Film konsumieren als in seinen alltäglicheren Erscheinungsbildern, um nicht zu spüren, dass er die ganze Zeit neben uns hermarschiert wie ein Bodyguard, den wir aber gar nicht bestellt haben.

Das DVD-Cover zeigt ein chaotisches Fingerfarbenbild, in dem bereits deutlich wird, dass etwas aus seinem Gesamtzusammenhang ausgestossen wird oder ihm entflieht. Das verheisst nichts Gutes.

Die User-Rezensionen sind aufgespalten zwischen Begeisterung und Verriss; ein Zeichen für die Abwehr, die ein Filmmotiv auslösen kann, auf das sich mancher nicht einlassen will – kein Wunder, wenn es um den Tod geht und der Film auf wohlfeile Sympathieträger verzichtet. Ein Film über das Leben „angesichts der Unverschämtheit des Todes“ nannte ihn ein Rezensent, womit sich die Frage erhebt, ob der Tod mit Adjektiven personalisiert und benamst werden kann. „Unbeirrbar“ wäre dann sicher das bessere Wort, aber immerhin schafft der Regisseur von Anfang an einen Resonanzraum, in der man dieser Gestalt wie auch immer begegnen kann.

Der Film besteht aus 5 Episoden, in dem jeweils ein Mitglied der Familie Lunies im Zentrum steht und in irgendeiner Weise mit dem Tod konfrontiert ist – sei es realiter oder in einer indirekten oder künstlerisch gefassten Form, dieses Thema durchzieht den Film wie eine Textur oder das Thema einer Fuge.

Konkret manifestiert sich der Knochenmann in der ersten Episode bei den Eltern der Familie, dem dementen Vater und der schwerkranken Mutter, die ihn mit Hilfe einer Haushälterin versorgt und zusehends an ihre Grenzen kommt. Man sieht es ohne Verschönerungen und ohne pseudoversöhnliche Honig-im-Kopf-Klischees aus dergleichen Machwerken, in denen die Alten nie aufs Klo oder geduscht werden müssen und die Szenen, die einem das Herz zerreissen, fehlen hier nicht – wenn der alte Vater im Pyjama alleine am Ende des Flures zurückbleibt und Sohn oder Tochter erleichtert in ihr gewohntes Leben zurückeilen und diese Endhaltestelle gar nicht schnell genug hinter sich zurücklassen können. Und der Vater das weiss.

 

 

Bedrückend auch die Szene, in der der Sohn Tom der Mutter mitteilt, dass er in seinem Inneren nur Leere verspüre – da wo die Gefühle für die Mutter sein müssten; die Mutter muss es hinnehmen, weil sie auf Versorgung angewiesen ist – eine unterschwellige Grausamkeit in dieser Szene, der finale Prankenhieb eines Ungeliebten gegenüber einer Wehrlosen, das geht in seiner Point-of-no-return-Anmutung schwerst unter die Haut. Dabei ist Tom eigentlich ein netter Kerl, der seine Begabungen verwirklicht, während die angeblich mehr geliebte Schwester im nächsten Abschnitt ihr Leben im Alkoholrausch vergeigt. Hier entgleitet der Film ins Makabre und Groteske, was dem Regisseur nur eingeschränkt gelingen will – er schrammt ziemlich haarscharf an der Klamotte entlang und der Bezug zum Thema und Gesamtkonzept will sich nicht so recht erschliessen, ausser man fasst den Todesbegriff sehr weit im Sinne eines Absterbens und Verschwindens von Möglichkeiten, Hoffnungen und Lebenschancen – hinter dem Grotesken lauert gern das Absurde und übergibt die letzte Stafette auf der Zielgeraden dann der Verzweiflung. Allerdings hat die Szene im Konzertsaal, als die Schwester ein vom Bruder dirigiertes Musikstück mit dem Titel „Sterben“ durch lautstarkes Husten und Erbrechen als späte Rache stört, durchaus ihren von Schadenfreude gespeisten Reiz und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Geschwistergemeinheiten. Der dem Desaster beiwohnende und im übrigen hochnarzisstische und dauergekränkte Komponist des Musikstücks suizidiert sich im Anschluss – was man nicht so recht bedauern kann. Was aber die Frage aufwirft, ob man jemanden am Suizid hindern soll, wenn man um seine Absichten weiss, aber andererseits keine Chance auf ein geglücktes Leben mehr bei ihm sieht. Stoff für Psychotherapie- und Ethikseminare zum Thema Selbstbestimmung contra Bevormundung.

Lars Eidinger und Corinna Harfouch wuppen ihren Part auf gewohnt professionelle Weise und zeichnen das Bild einer weitgehend dysfunktionalen Familie, die ihre Programmierungen auch im Erwachsenenleben nicht überwinden können und bilden immer wieder Modelle für das Abarbeiten subtiler Aggression am jeweils anderen.

Diese Familiendystopie ist ein harter Brocken, genial verschachtelt und aufeinander aufgebaut, Leerstellen eines Kapitels werden im nächsten Kapitel gefüllt und enträtselt, ein Mosaik mit einem deprimierenden Schlussakkord. Der Soundtrack versteht es, das Titelthema immer wieder aufzugreifen und eine andere Variante des Todes zu zeigen – ein friedliches und befreiendes Angekommensein nach allen Disharmonien beziehungsweise im Schubert-Quartett das Zurückscheuen vor diesem Übergang contra dem Lockruf von der anderen Seite. Das hebt den Film noch einmal in eine existenzielle Dimension und macht die Titelgebung erklärlich für einen Film, der eigentlich vom Leben in seinen tragischen Facetten handelt – und auch von seinen lächerlichen, wie die Eskapaden der Schwester und ihres Liebhabers zeigen – ein Fremdkörper im Film und doch zugehörig wie die Szene des Strandens von Tom auf der Landstrasse, der keine Ladesäule für sein E-Auto findet und nicht zur Beisetzung des Vaters kommen kann und am Grab statt einer Rede des Pfarrers eine Handydiskussion mit der Mutter ausklinkt – eine der kleinen Hundsgemeinheiten des Lebens oder späte Rache an den Eltern?

Am Ende gibt es einen Hoffnungsträger: Tom hat ein neues Baby (diesmal wirklich von ihm) mit einer Kollegin, mit der ihn auch nicht wirkliche Liebe verbindet; bei der Beerdigung der Mutter trägt er es als Manifestation einer möglichen besseren Zukunft auf dem Arm und der Zuschauer erahnt die Bürde, die im Moment auf dieses neue Leben geladen wird mit einem chronisch ungeliebten und ausbeutbaren Vater. Dieses Kind muss liefern.

Somit ist dieser Film nicht primär ein Film über den Tod als biologischer Fakt und spirituelles Motiv, sondern ein Narrativ über Egomanie, emotionales Erstarren, Liebesunfähigkeit und Gefühlsleere. Und das ist in der Tat schauriger als das schlimmste Knochengestell.

 

2025 28 Feb.

Ultracycling

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Wer sich ausgiebig mit Fahrradfahren beschäftigt, zumal ja weniges dem Älterwerden auf so angenehme und körperschonende Weise entgegenwirkt, vielleicht noch ein funktionelles Krafttraining mit ins Vorsorge-Portfolio aufgenommen, dem baumelt in regelmässigen Abständen eine neue Wunschobjekt-Bratwurst vor der Nase, sei es in Gestalt eines Anbau-Teiles oder gar eines neuen Bikes. Es waren zwei helle Momente, die einst im Vorschulalter zusammentrafen. Zum einen der, dass die Mutter wach genug war, die Kamera zu zücken und in einer Fotosequenz festzuhalten, was ihr Bub gerade in der Hofeinfahrt entdeckte: er sass auf der Bank seines Schaukelpferdes, die flankiert war durch zwei Kufen, hielt sich vorne an der Stange fest und schaukelte die Steigung zum Hof hoch. Oben angekommen, zog er das Teil wieder runter, um erneut die Steigung zu nehmen. Sisyphos lässt grüssen! Ich erinnere mich an diesen Moment, als wäre es gestern gewesen: dass man die Gesetze der Schwerkraft aushebelt, dabei seine Körperkraft, Widerstand und den Willen spürt: es geht vorran. Das steckt tief in mir drin als Grundimpuls des selbstbestimmten Vorwärtskommens mittels des beglückenden Gefühls von Willens- und Körperkraft. So ist das Archaische tief in uns angelegt, wie es sich beispielsweise in der Faszination für Westernfilmen zeigt: den Colt schneller ziehen als der Gegner, die Fäuste auch mal sprechen lassen und danach der Ritt ins Weite, immer der Sonne entgegen. So wie die junge Ultracycling-Sportlerin und Bikepackerin Jana Kesenheimer, die drei Gipfel nahm und alles, was dazwischen lag. Der Film Three Peaks And In Between, vom Kamerateam um Produzent Stephan Wieser brilliant in Szene gesetzt, ist wohl der beste Fahrradfilm, den ich jemals sah.

 

2025 23 Feb.

Play it again, Sam!

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Und spätestens jetzt sollten alle kapiert haben, dass Zwangsverheiratungen halt nun mal keine glücklichen Beziehungen erzeugen. Warum?

Niemand will sie.

Die Partner konnten sich vorher schon nicht leiden.

Sie können sich während der Ehe auch nicht riechen.

Sie können keine gemeinsamen Ziele verfolgen, weil sie zu verschieden sind und keine finden.

Falls sie welche finden, sind sie zu sehr mit ihrem Zoff beschäftigt, um bis ans Ende zu kommen.

Ziel ist nicht eine geglückte Partnerschaft, sondern sich zu profilieren, um mal alleine existieren zu können.

Sie hoffen auf eine Scheidung in spätestens vier Jahren, wo sie wiederum feststellen, dass sie alleine nicht existieren können.

Sie ehelichen wieder jemand, den sie schon vorher nicht leiden konnten. Manchmal sogar den Gleichen.

Zoffen tun sie sich grundsätzlich öffentlich, damit jeder mitkriegt, was der andere für ein Trottel ist.

Falls sie es doch hinbekommen, sich fortzupflanzen, entstehen oft sehr merkwürdige Kompromissgebilde, denen kein langes Leben beschieden ist.

An ihre ehrwürdigen Vorfahren und deren Wertekanon erinnern sie sich überhaupt nicht mehr.

Sie warten sehnlichst auf die Trennung, stellen aber durchaus in Aussicht, den gleichen vielleicht bald wieder zu heiraten oder sogar den, dem sie vorher immer die Fresse poliert haben.

Manchmal lässt einer die ganze Sache platzen, was jetzt aber auch nicht viel ändert.

Mediation oder Eheberatung wird nicht in Anspruch genommen.

Trotzdem wirkt das System schuldentlastend: Wenn was schiefgeht wars der andere. Vielleicht wird es deshalb nicht abgeschafft. Ausserdem gibt’s ’nen Haufen Kohle für das Ganze und jeden Tag steht in der Zeitung, worüber man sich gezofft hat. Somit ist immer was los und es lenkt ab von der Frage nach der Effizienz des ganzen.

Das hat doch was …!

Play it again, Sam!

Am Montag wissen wir mehr!

 

 

 

Konflikt genial zusammengefasst von Liedermacher F. J. Degenhardt (1972):

Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden:

Also, Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz

Sagen Sie mal sind sie eigentlich Kommunist?

Ja, Sie dürfen sitzenbleiben – überhaupt, wir sind hier ziemlich liberal

Lange Haare, Ketten, Ringe habn wir alles schon gehabt

Aber in die Akten scheissen mögen wir hier nicht!

Marx und Engels haben Sie gelesen – sagen Sie verstehen Sie das denn? Sie habn doch bloss die Volksschule besucht?

Na, nun regen Sie sich nicht gleich auf, lesen dürfen Sie ja was Sie wolln.

Überhaupt: Hier darf jeder machen was er will. Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

Jaa, Soldat sein will heut keiner mehr, kann ich auch verstehn und ich selber hätte keine Lust, aber: Gründe haben müssen wir dafür.

Kommen Sie mir jetzt bloss nicht mit Imperialismus, den 2 Kriegen und die alte Klasse ist noch immer an der Macht , mag ja alles richtig sein, interessiert uns aber nicht.

Das ist nämlich Politik. Hier interessieren nur Gewissensgründe!

Was das ist? Hört sich zwar sehr grausam an, trifft den Nagel aber auf den Kopf: Nämlich, ob Sie töten können oder nicht.

Hier darf jeder machen was er will …

Also fangen wir mal an: In ner Kirche sind Sie nicht, auch nicht in ner anerkannten Sekte? Sehnse, da wirds schon schwierig mit Gewissensgründen!

Einen hatten wir mal hier und der machte auf Buddhist,

Warn son Typ mit Glatze, aber: Durchgekommen ist der, schlaues Kerlchen!

Also passen Sie mal auf, ich werd jetzt Ihr Gewissen prüfen:

Nehmen wir mal an Sie gehn spaziern mit Ihrer Freundin nachts im Park

Plötzlich kommt ne Horde Russen, schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park

Machen sich an Ihre Freundin ran, Sie haben ne MP dabei.

Na, was machen Sie?

Was sagen Sie? Sie verbitten sich dies Beispiel? Meinetwegen, bitte schön!

Hier darf jeder machen was er will …

Schön, die Russen und die Amis fallen also weg, die Chinesen sicher auch, und mit Negern brauch ich gar nicht erst zu kommen.

Nehmen wir ein paar normale Kriminelle, schwer bewaffnet und betrunken, nachts im Park, machen sich an ihre Freundin ran, Sie haben wieder die MP dabei. Na, was machen Sie?

Sagen Sie uns bloss jetzt nicht Sie fallen auf die Knie und beten. Denn mit sowas kommt hier keiner durch der Marx und Engels liest …

Aber bitte … hier darf jeder machen was er will …

So, jetzt wolln wir aber wissen was Sie tun? Sie sagn Sie wehren sich? Weil Sie ja in Notwehr sind?

Ätsch! Das ist aber falsch! Dürfen Sie nicht sagen!

Richtig wär die Antwort nämlich die: Ich werfe meine Waffe weg, Und dann bitte ich die Herrn mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhörn.

Was sagen Sie? Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?

Fangen Sie schon wieder an? Ist doch Politik! Hat doch mit Gewissen nichts zu tun.

Grundgesetz, ja, Grundgesetz, ja, Grundgesetz … Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz; Sagn Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?

Aber bitte, hier darf jeder machen was er will! Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

 

Und so stellt sich wieder die Menschheitsfrage: Abrüsten oder Gleichgewicht des Schreckens? Letzteres hat immerhin 70 Jahre funktioniert – bis auf die chronischen Eiterherde im nahen Osten und in der Dritten Welt. Si vis pacem para bellum … Diese Erkenntnis ist niederschmetternd und katapultiert uns zurück ins Neandertal, wer das noch nicht ins Auge fassen will, mag mit Abrüstungstransparenten losziehen – er wird nicht bekommen, was er will und als Idealist und Naivling verspottet werden, weil halt nun mal der Angegriffene nicht mehr entscheiden kann, ob er Krieg will oder nicht – er hat ihn schon. Die NATO hat ihn auch.

Aber es ist auch wichtig, die moralische Position und den Friedenswunsch aller Nichtgestörten immer wieder zu formulieren und öffentlich zu artikulieren, wenn wir irgendwann einmal später aus dem Neandertal wieder herauskommen wollen! Das innovative und an humanen Werten orientierte Potential der revoltierenden Jugend und ihre I-have-a-dream-Haltung ist eine wichtige und unter Umständen ausbalancierende Kraft in Gesellschaften, die gehört werden und Raum bekommen muss damit sich nicht zuviel Resignation einschleicht. Meine Generation hat für Frieden demonstriert, wir haben ihn nicht erreicht, aber wir haben erreicht, dass man für Frieden demonstrieren darf, ohne verhaftet zu werden, das ist ein Anfang; the times they are a’changing … nur verflucht langsam.

Wenn ich noch besser laufen könnte, würde ich – wider besseres Wissen und im Bewusstsein einer gewissen Realitätsfremdheit – mitschlurfen und immer wieder Imagine anstimmen. Und We shall overcome … Songs für die Ewigkeit … und von ungebrochener Aktualität! Joan Baez lebt ja noch … und John Lennon wird uns aus den Wolken zulächeln.

 

 

Vermutlich träume ich – ja, wahrscheinlich ist es so, Realität kann das unmöglich sein. Andererseits habe ich mich schon zu oft gezwickt, ohne in die Dreidimensionalität zurückkehren zu können, wiederum andererseits sind die Szenerien zu irreal. Gut, narzisstische Zentrifugalkräfte können sehr stark sein und die Zentripetalkräfte von Mitte und Mass aushebeln und in den Kosmos der Unwahrscheinlichkeiten hinausdriften. Das geht, wir erleben es gerade. Das Kapital – um einen antiquierten marxistischen Ausdruck zu gebrauchen, man traut sich sowas ja schon gar nicht mehr – verbrüdert sich nicht mehr verschämt in den Hinterzimmern der Lobbyisten mit den Regierungsorganen und schleust Parteispenden durch dunkle Kanäle, sondern kopuliert in aller Öffentlichkeit mit den Mächtigsten der Erde – wer wollte denn da schon gross stören? Uns kann doch keiner! Und der Mächtigste der Erde rollt mit dem Einkaufswagen einmal rund um den Globus und schaut was im Angebot ist und bald hats Bettenburgen und rotblaue Schirmchen am Gazastreifen und in den Multiplexen läuft das Leben Jesu in Dauerschleife und die Bevölkerung wird enteignet, falls sie überhaupt noch was hat, das man ihnen wegnehmen könnte … ach, ich träum ja oft recht skurril, irgendwann wach ich schon auf oder es kommt der Abspann und ich finde mich im Kinosessel wieder nach einer entgleisten Hollywood-Politparodie und der Musk auf der Leinwand macht ein Pokerface und sagt „I’ll be back!“ und man kann in Ruhe überlegen ob man sich die Fortsetzung noch antut – ja, so wird’s sein. Und es gibt bald viele Rezensenten, die finden, dass der Film zu artifiziell und irreal sei und ausgesprochen plump in seinen Effekten und man freut sich, dass es keinen Oscar für niemand gibt für diese miese Parodie. Genau … so wird’s sein … einfach ein völlig absurdes Machwerk und man kommt aus dem Kino und alles ist wieder gut … gleich kommt die Langnese-Eis-Verkäuferin … ganz sicher … keine Sorge! Die Welt ist nicht verrückt geworden, nein nein! So schnell geht das nicht, man muss nur seine Phantasie ein bisschen im Zaum halten, sonst kommt man auf die irrsten Sachen. Oder der Wecker läutet gleich … wär auch recht!

Heute Abend gibt’s ’nen Film über einen Diskurs der Kanzlerkandidaten, da ist die Weidel dabei. Als ob die ernsthaft Chancen hätte, mit ihrem Rudel Durchgeknallter in den Bundestag zu kommen … guck ich aber nicht. Unrealistisch – das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand schon!!! Wer dreht denn bloss immer einen derart abgefahrenen Scheiss? Das kann doch bloss wieder der Tarantino sein …

 

ALICE THE BRAIN

 

 
 

The Room Next Door (ES, 2024) von Pedro Almodóvar

 

Ich möchte jetzt nicht die Platitüde gebrauchen, dass ein Film über den Tod auch immer ein Film über das Leben ist (was man langsam nicht mehr hören kann) – aber ein Film über einen Übergang erzählt immer von den beiden Welten, zwischen denen gewechselt wird, das ist weniger Kunst des Regisseurs als allgemeines Gesetz, so wie es kein Ende ohne einen Anfang gibt und keine Krankheit ohne Gesundheit. So ist die Zeit der Regisseur jeden Lebens und jedes Leben ein Sichbewegen zwischen Polaritäten und Antagonismen.

Almodóvar ist offenbar dazu übergegangen, sich nun nach seiner Biographie Leid und Herrlichkeit den letzten Dingen zuzuwenden – übrigens ein Film ohne seine üblichen Ebenenwechsel und intellektuellen Verschachtelungen, die man so spannend fand, aber lebensfreundlich, blutvoll und anrührend. Jetzt geht ihm aber offenbar die Puste aus.

Das Sterben findet hier in einem luxuriösen Chalet mit zwei verdienten Hollywoodstars statt, mitten ins amerikanische Nirgendwo outgesourct und im Dialog zwischen zwei Freundinnen, von denen eine vom Krebs zum Tode verurteilt ist und die andere, die panische Angst vor dem Tod hat, sie bis zum Ende begleiten soll – schon mal ein leicht sadistisches Arrangement, das einige filmische Möglichkeiten eröffnen könnte, die dann aber nicht ausgeschöpft werden. Im Zuge dieser Sterbebegleitung gibt es noch einige Kapriolen über eine geschlossene Tür, die den Tod der Freundin durch eine finale Pille aus dem Darknet signalisieren soll, aber wohl auch mal vom Wind zugeklatscht wird und die Freundin in Panik versetzt, was die Sterbende wiederum überhaupt nicht kratzt: Anmutungen von Schulmädchentriezerei mit sadistischem Unterton, wie gesagt. Dazwischen gelegentlich halbwegs geistvolle und lebensweise, meistens aber plattitüdelige Dialoge, angesichts eines bevorstehenden Lebensendes affektlos und blutleer zwischen überkontrollierten und immer leicht untertemperierten Frauen, die keine besondere Teilnahme abnötigen und jegliches Feuer, das der Regisseur sonst in seinen Figuren zu entfachen versteht, vermissen lassen. Sic tacuisses ... oder doch wieder Penelope bemühen? Die hätte da etwas mehr Latino-Pep reingebracht. Und ein bisschen mehr Hängen-am-Leben anstatt dieses Abgeklärtheitstriefen der Hauptdarstellerin mit ihrer flotten Sidecutfrisur.

Auf jeden Fall wird dann nach circa einer Stunde Filmzeit relativ unspektakulär verstorben, die Freundin bleibt gefasst und am Ende erscheint dann die Verstorbene noch einmal als ihre verbiesterte eigene Tochter, traumatisiert durch die Tatsache, dass sie ihren Vater nicht kennt (als ob das nicht auch ein Vorteil sein könnte), eine abschliessende Begegnung, deren Sinn für das Ganze sich nicht so recht erschliessen will. Zumindest aber erspart uns der Regisseur jegliches Hollywood-Sterbesentiment einschliesslich Streichorchester mitsamt dem Erheben und Ins-Licht-wandeln des Astralkörpers aus dem Leichnam. Da ist man dann doch dankbar.

Und so ist Sterben hier vor allem eines: Gepflegte Upper-Class-Sterbenslangeweile.

 

2025 2 Feb.

Frau mit Rückgrat

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Dass ich den neuen iranischen Film als grosse Bereicherung in der Filmwelt empfinde, habe ich hier ja schon des öfteren vertreten … irgendwie können die das einfach; unterdrückende Regimes setzen anscheinend erstaunliche kreative Kräfte frei. Trotzdem wäre mir vor lauter Farhadi-Laudatio Marjane Satrapi entwischt, die mit ihrer Graphic Novel Persepolis (2007) eine ganz neue Ästhetik entwickelt hat. Natürlich sind unsere Augen seit der ersten Micky Maus 1951 comicgewöhnt, aber die Psyche stimmt sich dann doch bei Comics sehr rasch in Richtung Heiterkeit und Action ein und weniger auf Inhalte mit einer gewissen Seelenschwere wie hier: Ein subversiver Film über ein rebellisches Mädchen im Iran, ein Thema das – wie wir inzwischen wissen – aufgrund der politischen Verhältnisse eher das Potential zu einer Auf-Leben-und-Tod-Geschichte hat.

 
 

        

 
 

Die Graphic Novel versuchte Geschichten für Erwachsene in die gewohnte kindliche Bildersprache und Bewegtheit zu fassen, die dadurch erzielte Verfremdung erhöhte noch den Effekt des Makabren bei einer der ersten Graphic Novel Mouse von Art Spiegelmann 1986. Die Diskrepanz zwischen spielerischer Darbietung und ernstem Inhalt erzeugte eine Spannung, die zunächst schwer einzuordnen war – ähnlich wie bei Benignis Das Leben ist schön, beim Grossen Diktator sowie bei Mein Führer von Dany Levi. Auschwitz und Humor – geht das zusammen und welche Art von Humor ist das nun? Darf man lachen? Muss man sich hinterher deswegen schlecht fühlen? Verwirrung … ein guter Denkanstoss und oft heilsam zum Erzeugen neuer Sichtweisen. Darf man Juden als Mäuse darstellen, wenn sie vorher als Ratten apostrophiert worden waren?

 
 

 
 

Verfilmte Graphic Novels erreichen einen ähnlichen Effekt durch Eliminierung des human factors, wenn die Figuren nicht von Menschen verkörpert werden, sondern schablonenhaft – zweidimensional und plakativ bleiben, die Übertragungs- und Identifikationsprozesse verlaufen schwächer bzw in anderer Form, eher als läse man ein Buch, man ist mehr auf die Handlung zentriert als auf die Personen bzw konzentriert auf die zeichnerischen Effekte, in jedem Fall ein ungewohntes Seherlebnis. Und man bemüht stärker seine Phantasie, unterläuft seine sonstigen Sehgewohnheiten – das macht in jedem Fall wacher und man versinkt nicht so tief in die eigenen Affekte und Identifikationen mit den handelnden Schauspielern und ihren real vergossenen Tränen. Andere Regisseure sprangen auf den Zug auf mit dem computeranimierten Teheran Tabu (2017) von Ali Soozandeh, Die Sirene (2021) von Sepideh Farsi und natürlich dem hochbepreisten Waltz with Bashir von Ari Folman (2008).

 
 

                 

 
 

Computeranimierte Filme haben mit ihrem fliessenden Licht- und  Schattenverlauf noch eine andere Anmutung – als würde man die Figuren unter Wasser in einem Aquarium beobachten oder unter einem flackernden Licht. Fremde Welten, noch einmal verfremdet durch Verzicht auf die Abbildung von gewohnter Realität und Schaffung eines neuen zeichnerischen Kosmos. Keine Realität, in die wir eintauchen können, so wie Leben eben vor uns abrollt – vielmehr sehen wir etwas Gemachtes, für unsere Betrachtung Hergestelltes; für mich machte das immer einen grossen Unterschied, manchmal bekam ich dieses Gefühl auch bei Brechtschen Lehrstücken oder einem Geschichtsbuch. Satrapi hat uns eine Geschichte geschrieben, in minimalisierender Form und bedrohlichem Schwarzweiss aus einer bedrohlichen Gesellschaft mit einer simplifizierenden Haltung insbesondere zur Frau und männlichen Huren-Madonnen-Spaltungen in kranken Gehirnen. Da passt das Medium zur Botschaft – so simpel wie die Denke der Islamisten und von Satrapi karikaturistisch aufgegriffen. Die iranische Regierung protestierte vehement gegen den Film, im Libanon wurde er verboten und in Tunis wurde wegen der Darstellung Gottes als altem bärtigem Mann der Sender in Brand gesetzt. Im Januar lehnte Satrapi die Verleihung des Ordens der Ehrenlegion – Frankreichs höchste Auszeichnung – ab mit der Begründung der „scheinheiligen Haltung Frankreichs“ gegenüber der iranischen Politik und forderte konkrete Unterstützung der Revolution der iranischen Frauen. Derer mit Rückgrat …

 


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