Ein kleiner Konzertsaal im Kulturzentrum „Das Rind“ in Rüsselsheim, wie es mich dorthin verschlagen hat? Die Atmosphäre ist intim, der Raum noch überschaubar. Viele glückliche Stunden voller Musik im Hinterkopf bin ich angereist. Dann, kurz vor 20:00 Uhr betritt Hans Joachim Roedelius, der vor einem Monat seinen 90. Geburtstag feierte, die Bühne und begrüßte das Publikum. Ohne Mikrofon, herzlich und fast beiläufig, als ob er vorhabe ein paar alten Freunden mal wieder etwas vorzuspielen. Im Hintergrund visuelle Installationen von seiner Tochter Rosa. Ich schalte jetzt mal die Maschinen ein. Ein leises Grummeln, das sich langsam zu einem Klanggebilde herausschält, das sich in stetigem Fluss entfaltet. Friedlich dahinfließend und mit den wunderbaren kleinen Kanten, die seine Musik so liebenswert machen. Unvorhersehbarkeiten, vielleicht auch der Absichtslosigkeit des Geschehens geschuldet. Ich habe jetzt Jahrzehnte elektronische Musik gemacht, jetzt mögen das meine Ohren nicht mehr so sehr, weswegen ich auch mal am Klavier spiele. Vor den sich stetig und langsam wandelnden Bildern geht die Musik langsam auf das Piano über. Fragmente, die ich irgendwo schon einmal gehört habe, klingen an und tanzen in vielfältigen neuen Kontexten des Augenblicks wie ein Kaleidoskop immer wieder zu neuen Horizonten. Ein wunderbarer Flow, die Zeit hat sich längst selbst vergessen, spielt keine Rolle mehr. Vielleicht musste ich 90 werden, damit mir dies gelingt. Die Bilder gleiten dahin, die Improvisationen tanzen durch viele Stationen und Zitate eines sehr kreativen Lebens, sich immer wieder neu erfindend und doch ganz subtil und intim bleibend. Fast als ob ein alter Freund im eigenen Wohnzimmer säße und so beiläufig wie innerlich bestimmt die Tasten berühre. Langsam beginnt der Raum sich aufzulösen und weil diese Musik absichtslos ist, kann sie so leicht sein, so leicht jederzeit die Richtung wechseln, den Hörer hinführen wo kein Träumen mehr erforderlich ist, wo einfach nur das Glück diese Augenblicke zu erleben bleibt. Danke! Bittet um Frieden, das brauchen wir gerade am nötigsten. Aus der feinen Stille dieses Konzerts ein sehr ernstes Anliegen. Danke für’s Zuhören – was machen wir jetzt? Raum für eine so herzliche und selbst in der Kürze dann tiefgründige Begegnung. So habe ich noch nie ein Konzert erleben dürfen, berührend, heiter und ganz nah. Und wer in diesen überbordenden Ideenreichtum des unbekannten Giganten der Popmusik, eintauchen will, dem sei sein aktuelles Album Roedelius 90 mit so vielen, das ganze Spektrum seines Schaffens umfassend, kleinen Fragmenten der feinsten Art, dringend empfohlen.