Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: November 2024

 

Folgende Verdachtsmomente wurden in den letzten Wochen abgehört:

 
 

Chris Potter / John Patitucci / Brian Blade / Brad Mehldau – Eagle’s Point
Kris Davis Trio – Run the Gauntlet
Kit Downes / Andrew Cyrille / Bill Frisell – Breaking the Shell
Tyshawn Sorey Trio – The Susceptible Now
Ralph Alessi Quartet – It’s Always Now
Mary Halvorson – Cloudward
Aaron Parks – Little Big III
Joe Lovano / Marilyn Crispell / Carmen Castaldi – Our Daily Bread
Anna Webber – Shimmer Wince
Steve Lacy – New Jazz Meeting Baden-Baden 2002
Brad Shepik Human Activity – Dream of the Possible
Scott Colley / Edward Simon / Brian Blade – Three Visitors
Anna-Lena Schnabel Quartet – Books, Bottles & Bamboo
Colin Vallon / Patrice Moret / Julian Sartorius – Danse
Melissa Aldana – Free Fall
Wolfgang Muthspiel – Etudes, Quietudes

 
 
 

 … das wird man ja wohl noch hören dürfen … ;)

 

 

Die Haut in der ich wohne (Spanien, 2011) von Pedro Almodóvar

 

… die passt einem manchmal verdammt schlecht, diese Pelle, als Topos des Spürens, der Lust, der Abgrenzung, der Verletzung, des Schutzes und der Scham, viel mehr als nur eine Folie von aneinanderhängenden Eiweissverbindungen – und ein Thema mit dem der grosse Alte sicher etwas anzufangen wusste beim Aufwachsen als Schwuler im ländlich – katholischen und faschistischen Spanien, da möchte man sicher öfter aus derselbigen fahren und erhofft sich mit einem Wechsel des Körpers auch einen Wechsel unwillkommener oder gesellschaftlich nicht akzeptierter Bedürfnisse. Aber wer kann schon aus seiner Haut?

Den Körper sukzessive in einer quälenden Prozedur durch Hautverpflanzung stückchenweise zu verändern ist auch das Thema dieses Films; die Protagonisten scheinen in ein seltsames sadomasochistisches Beziehungsgeflecht verwoben in dem libidinöse und aggressive Bestrebungen untrennbar verschmolzen scheinen. Ein Chirurg, der sich mit Hauttransplantationen beschäftigt und eine unzerstörbare Variante unser äusseren Begrenzung erschaffen möchte lebt eine Pygmalion – Phantasie aus und transplantiert einer jungen Frau, die er gefangen hält neue Hautschichten offenbar in dem Bestreben eine Gestalt nach seinen Wünschen zu erschaffen, was seine medizinischen Forschungsvorhaben zusehends transzendiert und noch etwas dunklere Hintergründe erahnen lässt die über das Pygmalion-Narrativ weit hinausgehen.

 

 

 

 

Dass dieses Geschöpf zusehends Penelope Cruz ähnelt, die in diesem Film rätselhafterweise nicht mitwirkt, nimmt man schmunzelnd als netten Sidekick zur Kenntnis und hofft dass die beiden inséparables zu dieser Zeit nicht gerade verzofft waren. Aber die platonischen Lieben sind ja bekanntlich die stabilsten …

Der Chirurg – Robert – schnippelt sich also zunehmend die gewünschte Gefährtin zusammen und gerät in einen sich steigernden Zustand von Obsession, während sein Opfer – Vera – offenbar dem Stockholm-Syndrom erliegt, jedenfalls kommt es zu leidenschaftlichen und einvernehmlich anmutenden Liebesszenen. So weit so gut!

Zunächst macht also Almodóvar business as usual – mit leichter Hand und grosser Spielfreude konstruiert und verflicht der Maestro seine Handlungsstränge, mischt die Karten immer wieder neu, zwingt uns Zeitkapseln zu besteigen, ohne uns zu informieren, in welchem Parallelkosmos wir gleich landen werden (zuletzt genossen in Mala educación und Todos sobre mi madre) und wenn wir am Ende glauben, die Zusammenhänge erfasst zu haben … ätsch! Noch ein Joker im Ärmel, der das Spiel noch einmal wendet und neues Sortieren – das beherrscht keiner besser, da kann sogar ein David Lynch einpacken und Christopher Nolan schafft es zwar, das Publikum zu verwirren, aber nicht, es bei der Stange zu halten und pflegt die fehlende Stringenz kontraproduktiv durch zunehmende Action zu ersetzen. Dafür verzeiht man Almodóvar auch seine Camp-Ästhetik, sein Dauerzugpferd Penelope, die Kopfschmerzen, mit denen wir danach wegen neocortikaler Überanstrengung aus dem Kino taumeln und die Fragezeichen in den Augen derer, denen wir den Film hinterher erklären sollen, obwohl wir ihn selbst nicht verstanden haben, aber gerne so täten, als hätten wir; schliesslich hat der Cineast auch einen Ruf zu verlieren. Aber wenigstens wird’s nie langweilig und mit seinen Filmen ist’s ohnehin wie beim Walzertanzen – sobald man anfängt, auf die Schrittfolgen zu achten, klappt’s nicht mehr, Loslassen und Hingabe ist da eher angesagt.

Was fasziniert an diesem Film ausser dem Herumstolpern in einem bunten Irrgarten in der Hoffnung auf Orientierung und dem Begehren nach einer ebenso kathartischen wie verdaubaren Auflösung? Sicher für’s Erste die Konstruktion einer grandiosen (männlichen?) Omnipotenzphantasie: des Erschaffens eines Objektes, das schlechthin alle Bedürfnisse eines traumatisierten Mannes befriedigt. Robert – so erfahren wir – hat seine Frau verloren, sie trug nach einem Unfall schwere Verbrennungen davon und nahm sich nach einem Blick in den Spiegel das Leben – hier hat seine Kunst versagt, ein Schuldthema. Seine Tochter suizidierte sich nach einer Vergewaltigung.

Das Thema des verlorenen Liebesobjektes beschäftigte A. insbesondere nach dem Tod seiner Mutter 1999, demgemäss ist Sprich mit ihr (2002) ein Film über Trauern und Trauerbewältigung beziehungsweise deren wahnhafte Verleugnung, wenn der Pfleger Benigno mit der im Koma liegenden Alicia eine Beziehung unterhält, als wäre diese im Wachzustand und sie schliesslich schwängert und heiraten will. Auch hier das Bild der aggressiven Bemächtigung eines Körpers zur Abwehr von Trauer und Verlust, ein Ersatz für die verlorene Familie, die Wiedergutmachung zur Tilgung einer Schuld, die omnipotente Phantasie, alles wieder selbst erschaffen zu können, was genommen wurde, ein megalomaner perverser Akt und ein gewaltiges Unternehmen bei dem (Spoiler!) noch hinzukommt, dass es sich bei Vera ursprünglich nicht um eine Frau handelt, sondern um den Vergewaltiger seiner Tochter. Die in dessen Körper eingeschriebene Geschichte, wovon die Vergewaltigung ein Teil ist, wird damit ausgelöscht – ein Akt der Vernichtung und der Rache und durch die real erfolgte Kastration auch der zusätzlichen Demütigung des Täters, eine schlussendliche Täter-Opfer-Umkehr mit der tragischen Variante, dass Robert den Körper, durch den seine Tochter Gewalt erfuhr, zusehends leidenschaftlich begehrt – schräger geht’s eigentlich kaum noch.

In der modernen Privatklinik – einer Weiterentwicklung des Frankenstein-Labors – wird also nicht nur Neues geschaffen und libidinös besetzt, sondern auch alte Traumata gelöscht, bis nichts mehr von ihnen übrig ist, glaubt zumindest der Operateur in seinem Zustand des Konkretismus. Eine derart gebündelte Triebbefriedigung in einem einzigen, wenn auch langwierigen Akt zu erreichen, kann als pervertiertes Kunstwerk gesehen werden. Ein anything-goes, das eine gewisse Art Bewunderung erzeugt – allerdings ist die Rolle mit Antonio Banderas, seines Zeichens Latin Lover und Sympathieträger, etwas ungeschickt besetzt, die aalglatte Kälte und Gefühlsentfremdung will bei ihm nicht so recht in den Zuschauerraum sickern – nicht auszudenken, was ein Christoph Waltz oder Willem Dafoe in dieser Rolle ausgelöst hätte, aber dann würde der Film wohl gänzlich ins Horrorgenre kippen und nicht mehr so gut die Spannung halten zwischen Grusel und einer Studie über die Seelennot eines mad scientist und seinem Modus der Problemlösung.

Am Ende kehrt Vera, die sich befreien konnte, zurück an ihren Arbeitsplatz, einen Kleiderladen (Kleid hier definiert als zweite Haut und Indikator der Geschlechtszugehörigkeit), trifft dort ihre Mutter und ihre Kollegin, sie erkennen sie/ ihn nicht mehr – mit dem männlichen Körper hat man sie auch ihrer Vergangenheit, Zukunft und aller ihrer Beziehungen beraubt.

Müssen wir A. nun des male gaze bezichtigen? Der Pygmalion-Mythos ist zunächst einmal ein zutiefst männliches Thema, das ständige voyeuristische Spähen durch reale und virtuelle Fenster und auf Bildschirme ist es auch, trotzdem scheint A. sich immer auf die Seite der Frauen geschlagen zu haben in seiner Kritik an und Persiflierung von Heteronormativität und dem In-Szene-Setzen von aggressiver und toxischer Inbesitznahme von Frauenkörpern durch den Heteromann, ein tragendes Thema in den meisten seiner Filme – aber er zeigt auch Frauen, die Gefallen daran finden (Fessle mich!); eine zweischneidige Botschaft: Einerseits könnte hier der bekannte Beifall von der falschen Seite kommen, andererseits wird der Frau damit auch ein Recht auf individuelle Perversion und ihr lustvolles Ausleben zugestanden.

Ein female gaze? Ich bin nicht sicher beziehungsweise denke eher, man sollte ebensowenig wie bei der Sexualität eingeschränkt polar-langweilig denken und in male and female gazes unterteilen – vielleicht hat der Pedro einfach einen queer gaze. Oder, noch besser: Ein auf den male gaze gerichteter queer gaze, der deswegen aber nicht gleich zum female gaze wird.

So passts … und bei dieser fortgesetzten drögen Frau-Mann-Einteilung hält man sich künftig am besten überhaupt raus.

 

 
 

Wenn ich früher meine Grossmutter fragte, was es zu essen gäbe, kam regelmässig die Antwort: „Für a Fünferl a Durcheinander!“. Der Satz drängt sich mir heute auf nach Betrachtung von Kevin Costners Mammutprojekt Horizon, in das er als finales Alterswerk angeblich sein gesamtes Vermögen gesteckt hat – der erste Teil ist nach kurzer Kinolaufzeit streambar für 17,- € Blutgeld, drei weitere ebenfalls dreistündige Teile warten noch.

Zunächst und vor allem: Wer heute noch einen Western drehen will, muss verdammt früh aufstehen oder zumindest Coen heissen … dieses Genre ist sowas von auserzählt, mehr geht nicht mehr, da braucht es mehr als nur einen originellen neuen Ansatz, damit man zwischen all den optischen und akustischen Klischees, mit denen wir massenhaft die unschuldige Prärie besudelt haben, noch einen Reitstiefel auf den Boden bekommt. Trotzdem setzte Kevin Costner zum legendären Sprung über den Abgrund an mit seinem Alterswerk, in dem er die ultimative Geschichte der Besiedelung des Westens in epischer Breite erzählen will. Dass ich in meinem Thread über den Western das Fehlen eines solchen Werks (auch bitte unter Einbeziehung der Sicht der indigenen Bevölkerung) bedauert habe, reut mich jetzt schon wieder, so manches bliebe vielleicht doch besser unabgedreht.

Gelobt wird bei diesem Werk vor allem das In-Szene-setzen der Landschaft – wirklich hübsch, aber dafür genügt auch eine einstündige Doku – und eines stimmungsvollen Soundtracks, aber da könnte man auch Karl May gucken. Die Tableaus und Shots sind bewährt – man steht hinter dem indianischen Späher auf einem Felsplateau und späht mit ihm auf ein Tal mit Siedlern, die ihrerseits zu wenig gespäht haben und denen es deshalb gleich an den Kragen gehen wird, während die Adlerfeder im Wind weht – mit Trommelbegleitung oder wahlweise Indioflötengefiepe etc etc und die sich im Fluss waschende Schöne und ihr heimlicher Betrachter fehlen ebenso wenig, wie die resolute Seniorin, die ständig alle mit dem Regenschirm verdrischt und die anrüchige, aber herzensgute Prostituierte im Saloon, die ständig grundlos zetert und ein Baby herumschleppt, von dem man auch nicht weiss, wohin es gehört und das bei allen Strapazen nie weint oder quengelt – und zuletzt der Lone Rider, der Regisseur selbst, der von irgendwoher kommt, irgendwohin will und irgendeine Mission verfolgt, die man dann erst im vierten Teil am Ende hoffentlich erfährt, was in approximativ 10 Jahren sein dürfte, wobei Costner anscheinend ganz zwanglos davon ausgeht, dass man den Inhalt der vorherigen Teile dann noch weiss bzw nochmal guckt, was ich für eine gewaltige Selbstüberschätzung halte. Dazwischen hübsche Frauen – trotz langem Planwagenaufenthalt in gepflegtem, fleckenlosem Outfit und wohlfrisiert und eine hinreissend schöne indigene Hauptdarstellerin – also alles an Realitätsfremdheit, was einem beim klassischen Western schon immer geärgert hat. Wenigstens spielt keiner Mundharmonika.

 
 

                  

 

 
 

Zum Plot ist zu sagen, dass den offenbar bisher keiner verstanden hat, vermutlich auch die nicht, die die grossartige Fotografie loben, aber über die Handlung diskretes Schweigen breiten. Bisher konnte nach langem Netzgestöber keiner mir erklären, wer hier wo, warum und mit wem so verfährt, wie er es tut. Die Personen sind unverortbar, ständig erscheinen neue Figuren und sind auch schnell wieder tot, es werden unverbundene Handlungsstränge angelegt und nicht zu Ende geführt, oder – wie gesagt – erst in zehn Jahren, immerhin sind die Drehbücher schon geschrieben. Sogar Wikipedia beschränkt sich im Gegensatz zu sonst in der Handlungbeschreibung auf drei Zeilen, die darauf hinweisen dass es sich halt um die Besiedelung des Westens handelt. Haben wir allerdings auch schon gemerkt. So bleibt ein verwirrendes Epos, das am Ende auch – noch verwirrender – übergangslos in eine Trailershow als Cliffhanger übergeht, die auf den zweiten Teil hinweisen soll und noch mehr Hirnkonfusion anrichtet; plötzlich findet man sich in einer Skalpjagd wieder und weiss erneut nicht, wer mit wem und gegen wen und warum überhaupt, aber vielleicht ist Skalpjagd ja ein l’art pour l’art-Zeitvertreib. Appetitlich ist das nicht, also Minuspunkt für die Indianer.

So bleibt eine Aneinanderreihung von Archetypen und Versatzstücken des Genres, ohne originelles eigenes Konzept, ohne neuen Ansatz, ohne die ironischen Brechungen und absurden Volten der Coens, ohne die geniale Art des Feierns von Klischees eines Tarantino, oder wenigstens den hinterkünftigen Witz eines George Roy Hill, der immerhin mit mit Butch Cassidy und Der Clou eine neue Ära eingeleitet hat, neben Sam Peckinpah und seinem guten Händchen für interpersonelle Konflikte und Dramen (Pat Garrett …).

Ja, es ging gut weiter mit dem Western mit No country for old men, das mit allen Klischees bricht, das passt in die Gegenwart bis … ja bis Costner zum Sprung über den Abgrund ansetzte und jetzt sehen wir, wie das Pferd mit den Vorderbeinen am gegenseitigen Rand ankommt und verzweifelt versucht mit den Hufen irgendeinen Halt zu finden. Was für ein Cliffhanger … Ob’s klappt erfahren wir dann im zweiten Teil in ein paar Jahren, bis dahin sind Pferd und Reiter ohnehin in den Gewässern der Lethe versunken.

Aber nachdem der Film ja gute Absichten hat und auch eine Stimme für die Indigenen sein möchte, gibt’s vermutlich eher eine schweineteure Oscar-Nacht (genannt die Nacht der Rührmaschinen) in einer schweineteuren Location, in der ein schweineteurer Preis überreicht wird und das Publikum in schweineteuren Fummeln mit feuchten Augen Standing Ovations entbietet – (die kurzlebige westliche Event-Rührung, ohne weitere Folgen abheilend und die postmoderne Art Trauer und Teilnahme zu zeigen), und sich danach am schweineteuren Büffet wiedertrifft – und der Hochbepreiste zieht sich in seine X-Millionenvilla in den Hills zurück, um den Gewinn in das nächste Millionenprojekt zu stecken – die Hauptdarsteller desgleichen; alles schon geübt. Und die Indigenen in ihren verelendeten Reservaten sehen natürlich keinen Cent davon, die müssen nur für die Rührung herhalten. Schon bei Killers of the Flower Moon – eine flammende Anklage gegen kolonialistische Ausbeutung – gab’s so eine verheulte Oscarnacht und man hat auch nicht vernommen, dass Scorsese auch nur einen Cent herausgerückt hätte für die, deren tragisches Schicksal gerade beheult wurde und ihm so wahnsinnig am Herzen liegt.

Auch eine Form von kultureller postkolonialistischer Ausbeutung und eine besonders scheinheilige Art davon.

 

2024 10 Nov

Ein Herr namens Lindner

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Morgens um Zehn ist die Welt noch in Ordnung. Auch an einem diesig-trüben Sonntagmorgen im November bietet sich eine einladende Atmosphäre. Zu einer Walkingrunde als warm-up, begleitet von allerlei Kirchglockengebimmel ringsum, gesellen sich Fitnessaktivisten aller coleur, der Witterung zum Trotz herrscht eine Frohzeitstimmung. Sollte ich wählen, dies wäre meine Gemeinde. Ich steige aufs Rad mit diesem Kolumbus-Feeling von Freiheit: wohin werden mich Wind und Wille treiben? Es fädelt sich gen Süden aus, wo ich ewig nicht mehr war, bald lasse ich das Messegelände linkerhand liegen. In der Leinemasch südlich der Stadt dann eine wunderbare Stille. Kein Motorengeräusch, Kraniche und Krähen prägen die Szenerie. Dazu feuchten Wiesen, ab und an ein Gehöft, Hühner gackern zu Mistgeruch, Heimatgefühle kommen auf. Schön, wenn man als Städter weiss: die Milchkuh ist nicht lila. Übermütig nehme ich in der Pampa eine unbekannte Abzweigung, die mich reizt. Regel Nummer eins: Nimm nie an einem diesigen Novembertag eine Abzweigung, nur weil sie dich reizt. Regel Nummer zwei: Wenn du überhaupt nicht mehr weiterweisst, sprich die nächstbeste entgegenkommende Joggerin an, es könnte the last human being on earth sein in einer plötzlichen Fremde, in der auch ein Reinhold Messner sich geworfen und verloren fühlte.

 
 

Entschuldigung, ich habe die Orientierung verloren! Wo geht es nach Hannover?
Hmm, schwierig, sie könnten dort lang …
Wo ist denn überhaupt Süden?
Das dürfen Sie mich nicht fragen, ich bin eine Frau!
(genderkonformes Lachen beiderseits)
Aber wissen Sie was, Sie fahren noch besser dort zur Siedlung und dann …
Hmm, wirklich?
Ja, das ist der einfachste Weg. Die Strasse nach Wilkenburg und dann sind Sie bald am Maschsee – versprochen!

 
 

Ich bedanke mich und wir zischen beide in entgegengesetzte Richtung weiter, gutgelaunt und durchaus im Saft. Bald ist die Umgebung wieder vertraut und ich beginne laut zu singen (neue Entdeckung, aktiviert die Zirbeldrüse). In Linden bei der Glocksee gegenüber des Ihmezentrums mache ich meine gewohnte kontemplative Pause. Dehnungsübungen sind jetzt angebracht. „Haha, sieht gut aus – vergesse ich immer …“ lacht ein vorbeiradelnder Freak. Auch hier bedanke ich mich – man nimmt ja jeden Strohhalm gerne an in fortschreitendem Alter. Das Gute aber ist nach einer solchen Tour: der Kopf ist durchgepustet. Innerlich aufgeräumt kann man sich nun der Frage stellen: wen wählen bei der baldigen Bundestagswahl? Es wird wohl oder übel wieder jene Partei sein, die als einzige sich aktiv für den Ausbau von Fahrradwegen und den Abbau von Massentierhaltung (Tiere als Produkt, ja geht’s noch?) einsetzt – und an diese gerichtet wäre meine dringende Empfehlung: nie und niemals wieder eine Koalition mit einem Herrn namens Lindner!

 

 
 

Vom Suchen und Finden der Liebe (D, 2004) von Helmut Dietl …

 

… und von deren Verlieren – müsste es noch heissen, denn damit beschäftigt sich der Regisseur (in süddeutschen Landen wohlbekannt durch BR – Serien wie Monaco Franze und  Münchner Gschichten), wohl unter dem Eindruck der Trennung von seiner Entdeckung Veronica Ferres, mit der er dann als erstes  Schtonk und dann Rossini drehte und die ihm nach neun Jahren davonlief woran er lange knabberte bis er den Komplementärtypus dazu fand und ehelichte und bis zu seinem Ende verdiente Ruhe im Karton hatte. Also auch eine Beziehungsaufarbeitung, das gefällt den Tiefengründlern ja immer.

Neben einigen Knallern drehte er auch einige Rohrkrepierer wie sein grosses Alterswerk  Zettl, wohl eine Anspielung auf Arno Schmidts Alterswerk Zettels Traum, wiederum eine Anspielung auf eine Figur aus dem Sommernachtstraum; und im Gegensatz zu Schmidt und Shakespeare hat er sich bei der Flut von Anspielungen und Träumereien gewaltig verzettlt und letztlich konnte trotz Starbesetzung mit diesem Film niemand mehr viel anfangen.

Das  Suchen und Finden der Liebe ist sein am wenigsten bekannter Film und floppte in den Kinos, was in der Regel ein Zeichen ist dass man ihn sich – vor allem wenn es in München passiert – unbedingt ansehen sollte, wie der ortskundige Cineast weiss. Der einzige Film übrigens, den ich mir zweimal unmittelbar hintereinander angeguckt habe, das ist auch schon eine Art Diplom.

Der Plot ist eigentlich ein trauriger und im Grunde banal: Ein Liebespaar schafft es immer wieder aufs neue seine Beziehung zu vergeigen und Trennung und Kummer herbeizuführen. Dabei wird der Orpheus-verliert-Eurydike-Mythos mit leichter Hand eingewebt – eine Geschichte über eine Inbesitznahme durch den Blick, hier einen verfrühten Blick, als die Götter noch die Rechte auf die begehrte Frau beanspruchten. Hier in der pfiffigen Variante dass Orpheus beim Verlassen des Hades, wo er durch Suizid gelandet ist, hinter Eurydike herläuft, die ihn wiederhaben will und sie diejenige ist die sich nicht umdrehen darf, aber der Herr sie dann mit uncharmanten Bemerkungen über ihren Hintern letztlich doch dazu bringt und damit die endgültige Trennung herbeiführt.

 
 

 

 
 

Der schwule Götterbote Hermes im Goldlamé-Fummel ist hocherfreut, ihn wieder mit in den Hades nehmen zu dürfen und erste Verführungsversuche zu starten (ja, ist nicht woke, ich weiss, aber vor 20 Jahren ging das noch was heute Schreikrämpfe zeitigt, da assen wir ja auch noch Negerküsse ohne Gewissensqualen) – Heino Ferch hier mal nicht tiefernsten pokerfacigen Kommissarenmief verbreitend sondern flott gegen den Strich besetzt und offensichtlich froh über zu betretendes darstellerisches Neuland in dem er sogar mal grinsen darf. Daneben als Buffopaar Uwe Ochsenknecht und Anke Engelke als terminüberflutetes Staranwaltspaar, das sein spärliches Sexualleben nur noch mit Hilfe des Terminkalenders regeln kann, bis es schliesslich gar nichts mehr gibt was man noch regeln müsste. Die Stars kamen wenn Dietl rief, winkte ihnen doch ein kurzer Ausbruch aus manchmal angeranzten Rollenklischees, die man ihnen sonst zum Herunternudeln anvertraute. Ochsenknecht reist sodann als eine Art moderner Odysseus nach Griechenland – wo sich alle Protagonisten treffen, weil da logischerweise der Eingang zum Hades lokalisiert ist. Er strandet bei der Hirtin Kalypso, züchtet fortan Schafe und lernt etwas über die Rolle von Spontaneität im Sexualleben.

Das ist alles frischfröhlich witzig erzählt und eine Erholung für den deutschsprachigen Konsumenten von vorhersehbaren Komödien, ihren Knallchargen von gutaussehenden aber charmant-trotteligen Helden, toughen Emanzen oder Emanzenwerdenwollenden, gschnappigen Kindern und Kreationen von neuen Tiergattungen wie Hasen ohne Ohren und Küken, mit deren zwei sowie anderen Stereotypen und cineastischen Perseverationen – und vor allem den sich  dauernd wiederholenden Mustern:  Von Exgeliebten, die dem Charmebolzen das gemeinsame Kind vor die Tür stellen, von dem er im übrigen nichts weiss und die jetzt Karriere machen wollen und der Bolzen sich beim Wickeln extrem blöd anstellt und das Kind ihn dann doch zu einem brauchbaren Vater erzieht … was hamwa gelacht!

Und die Konsumentin macht sich nun ein paar warme Gedanken, was wohl eine gute Komödie ausmacht und landet zunächst bei Altmeister Shakespeare … wo denn auch sonst wenn’s um Komödien geht? Der liess nie einen Zweifel daran, dass ein Spiel ein Spiel ist und in der Schlussszene sorgte er dafür, dass der finale Schauspieler oder der Narr das Verweilen in Phantasieräumen beendete und wieder für die nötige Realitätsanbindung sorgte. Da schüttelte man sich dann immer ein bisschen – und der Regen, er regnet jeglichen Tag, wir wissen’s schon, haben’s nur kurz mal vergessen.

Das Liebespaar (wenn sie nicht als mythologische Figuren agieren heissen sie Mimi und Venus) hat sich verloren. Mimi bekommt einen mehrstündigen Ausgang aus dem Hades, wo ihn vermutlich Hermes noch immer mit Beschlag belegt, und trifft Venus – anmutig ergraut – bei einem ihrer Konzerte in dem sie von ihm komponierte Lieder singt: Wohin geht die Liebe wenn sie geht? – eine durchaus berechtigte Frage, denn nach den Gesetzen der Naturwissenschaft kann ja schlechthin nichts so einfach verschwinden, sondern eher seine Gestalt wandeln oder in irgendeiner gemütlichen Entropie enden. Sie erkennen sich, lassen es sich aber nicht anmerken und gehen nach kurzem Smalltalk wieder auseinander – sie haben erkannt, dass von der Liebe nichts mehr geblieben ist als eine milde Sympathie und es nichts mehr aufzukochen gibt.

 
 

 
 

So weit, so gut – nur: Wie bekommt man diese seltsam schwebende, beschwingte Atmosphäre hin und hält sie während des gesamten Plots durch selbst dann, wenn der Humor platt zu werden droht und es dann doch nicht wird? Wie vereinbart man die Leichtigkeit des Erzählens mit der Schwere einer schiefgelaufenen Liebe, bei Gott kein beschwingtes Thema? By the way bin ich auch ein Fan von Billy Wilder und seinem knallenden Wortwitz, konnte mit der nouvelle vague zuerst nicht so wahnsinnig viel anfangen (inzwischen kann ich’s besser) obwohl ich froh war dass sich etwas veränderte – die hatte auch diese eingewobene melancholische Brechung und sanfte Verzweiflung die mich so anzog – keine grossen Stories, keine Dramen sondern die Komik und Tragik des ganz Alltäglichen subtil herausgearbeitet und auf leisen Sohlen serviert – alles immer nur halb so schön wie man’s gern hätte – aber auch gottlob nur halb so wild, alles nur Maya, wie die Buddhisten sagen würden, ein graues Wölkchen, das auch wieder vorbeizieht. Das Halten dieser Spannung und Ausbalancieren zwischen den Polen ist hier die Kunst und das Sichwiederfinden in der Durchschnittlichkeit und Uneindeutigkeit des Lebens und der Alltäglichkeit des Scheiterns – nicht der grandiosen Beziehungsweltuntergänge, sondern all der kleinen Nadelstiche und subliminalen Gemeinheiten, die das Leben uns und wir uns untereinander zufügen und die eine ganz eigene Komik entwickeln unter einem distanziert, aber wohlwollend betrachtenden Auge. Man muss Menschen mögen wenn man dergleichen dreht, andernfalls gelangt man schnell ins Fassbindern. Ein „Ja-so-ist-der-Mensch-halt-in- einer Kleinheit“ – mir auch schon passiert. Mach was dran …

Eine Erholung vom ganzen Blockbusterkrach mit seinen rauschenden Showdowns, die oft so wenig mit einem selbst zu tun haben und eher erschlagen als auf eine andere Schwingungsfrequenz bringen.

Und so ist alles im Fluss, auf dem die nächste Tragödie dann … auch wieder vorbeischwimmt.

 


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