Eine retrospektive Studie über Rattenfänger und verführbare Generationen im Zustand unangebrachter Selbstgerechtigkeit
Ja, wir hielten uns für unangreifbar und resistent gegen jede Art von Gurus und Führerpersönlichkeiten, so schön hätte gar keiner die Flöte spielen können, dass wir ihm gefolgt wären – und Che Guevara hing nur über dem Bett, weil er so gnadenlos gut aussah, nicht wahr? Das hatte gar nichts mit Führersehnsucht oder Leitwolf oder Sozialromantik oder gar Vaterlosigkeit zu tun … nönö … schliesslich hatte man seinen Freud gelesen und war immun gegen dergleichen Verführungen, das war lediglich ein Logo um zu demonstrieren, dass darunter ein revolutionärer Geist sein Haupt bettete – aber keinesfalls ruhte – der wahre Revolutionär schläft nicht und hat pflichtschuldigst ein gebrochenes und durch Kritik veredeltes Verhältnis zu etwaigen Rudelführern zu pflegen, so wollte es das linke comme il faut und das war strenger als die Regeln eines wilhelminischen Mädchenpensionats. Enver Hodscha hing da nur einmal bei einem strammen Marxist/Leninisten, aber der sah auch nicht so gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.
Und die Fehler der Elterngeneration wiederholen wir ja schon gleich gar nicht, das war klar, aber sowas von … Trotzdem hätten wir ihn am liebsten geknuddelt, den Alten, so ausgehungert waren wir damals offenbar nach etwas Sonne, Tanz und Lebensfreude und so satt hatten wir unsere depressiven, kriegstraumatisierten und herumschnauzenden Väter, die sich nach der notwendigen Existenzsicherung total dem Leistungsprinzip ergaben, weil sie nicht mehr wussten, was sie sonst tun sollten und familiäre Kollateralschäden billigend in Kauf nahmen bzw überhaupt nicht bemerkten, dass sie solche anrichteten und die Kinder ihnen verlorengingen. Da konnte so ein Typ gut landen – der Strahlemann mit dem halb aufgedröselten Strickpullover und der verschwitzten Mütze, den überhaupt nichts zu kratzen schien, immer in der Dialektik zwischen Strassenköter und weisem Sokrates herumoszillierend. So wird man zum Mythos wenn man nur den Nerv der Zeit trifft. Und der so wunderbar in der Sonne tanzen konnte, dass man alles drüber vergass, sogar unsere Asshole-Familienpatriarchen, von denen wir nie wussten, ob ihre Abwesenheit nicht segensreicher war als ihr Dasein. Konterfeis von gefallenen Kriegshelden auf der Kommode können einen immensen Einfluss auf kindliche Identifikationsprozesse ausüben, vor allem bei Jungs. Da bekommt man hinter der Couch so manch Liedchen gesungen in all den Jahren …
Und da verzieh man dem übersprudelnden puer aeternus kleine Schnitzer im Plot, die bei näherem Besehen so klein doch nicht waren. Nach dem Tod seines Sohnes habe er getanzt bis zum Umfallen, um nicht verrückt zu werden, sagt er – das versteht man, die Formen des Trauerns sind sehr individuell – danach hatte er sich offenbar zum Herumstreunen entschlossen und seine Gattin musste sich wohl alleine im Olivenhain abrackern, um werweisswieviele Kinder durchzubringen. Da hat man leicht tanzen, wenn jemand anders die Windeln wäscht und die Oliven vom Baum klaubt; da könnte den Zuschauer und vor allem der Zuschauerin doch der Geist altbekannten Machotums anwehen wenn, ja wenn wir ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre für die eigenen Anachronismen und unsere eigene Verführbarkeit.
Eine alternde Prostituierte, Madame Hortense, eine griechische Kameliendame, hält er im Arm und begleitet sie mit herzschmelzenden Worten beim Sterben, um sich danach aus deren Bett zu erheben und etwas wie „alte Schlampe“ zu murmeln. Anvertrautes Geld verjubelt er im Bordell und hat darob auch keinerlei schlechtes Gewissen, vermutlich wusste er gar nicht, wie man das schreibt und sein Buddy Basil ist schon so in seiner westlichen Loyalitätsblindheit verheddert und von dieser südlichsonnigen-hellenischen Andersartigkeit so angefixt, dass er noch nicht mal sauer ist. Heute würde man dergleichen einen Co-Narzissten nennen.
Danach gibt unser Freund den Herrn Jesus und schützt eine junge Witwe mit grosser Geste und markiger Rede vor der Steinigung und verlässt nach seinem Auftritt ebenso stolz wie rasch den Schauplatz. Hinter ihm prasseln dann natürlich die Steine, klar – mit Herumtönen ist der Volkszorn noch lange nicht befriedigt – aber das ging ihm auch wieder am Hintern vorbei.
Sorbas geht unberührt durch alles Störende und Tragische hindurch, als existierte es nicht, auch wenn er die Suppe selbst angerührt hat. Das hat was! Und später manchmal auch nicht mehr, wenn man alte Filme guckt und so manches doch seine Glorie verliert und das Gucken in eine unangenehme Form der Selbsterfahrung einmünden könnte. Was hat einem bloss alles gefallen im magischen Damals und warum? Und warum ist James Dean in seiner bockigen Pubertiererei heute bloss noch peinlich, wenn wir ihm doch damals am liebsten die Füsse geküsst hätten? Und warum will der Woody-Allen-Humor so gar nicht mehr funktionieren bei dem man sich früher gekringelt hat? Und Monty Python staubt auch schon etwas ein. Der Zuschauer ist dann am Ende auch nicht mehr überrascht, als die zusammen aufgebaute Seilbahn, die die Existenz des Ich-Erzählers sichern soll (eines der mühsamen Konstrukte, das die Beziehung zusammenhält und immer wieder neu erschaffen werden muss) bei der Generalprobe grandios zusammenkracht. And then dancing on the beach as usual – was denn auch sonst? Damals ging man befriedigt aus dem Kino und natürlich sofort zum Griechen seines Vertrauens (in Würzburg war das der Theo), um die Seligkeit noch ein bisschen zu verlängern. Und spätestens dann war auch klar, wo man im nächsten Urlaub hinwollte.
Gegen den Film – klassisches buddy-movie – ist nichts zu sagen, gegen den Roman auch nicht, ausser vielleicht einer gewissen Vorhersehbarkeit – ersterer zeigt, auch durch seine Schwarzweisszeichnung, ein anderes Griechenland als sonst – karg, trocken, finster, archaisch, die Frauen in ihren schwarzen Kleidern bedrohlich als sie sich im Schlafzimmer von Madame Hortense versammeln wie Trauervögel und auf deren Tod warten, um dann in rituelles Wehklagen auszubrechen, für das sie vermutlich einige Drachmen einsacken – eine anachronistische mittelalterliche Welt im Jahre 1946, ohne Farben und mit einem grauen zurückweisenden Meer – ein Griechenland in einer reizvollen melancholischen Brechung eingefangen, die Story in kurzen und scheinbar zusammenhanglosen Episoden kollagenartig zusammengesetzt und durch ein leicht geschwärztes Glas betrachtet, da hat ein Regisseur durchaus seine atmosphärischen Hausaufgaben gemacht. Der Soundtrack war natürlich ein donnernder Erfolg und sicherte wiederum die Existenz von Theodorakis. In den Discos wurde Sirtaki getanzt bis zum Abwinken, wir schnipsten uns die Finger wund und ich wollte unbedingt eine Bouzouki, nicht um sie zu spielen sondern … ja …. ähm … zur Dekoration, ich gestehe – womit wir schon wieder im Dunstkreis des Narzissmus wären. Auf Fotos hätten wir beide sicher ein spektakuläres Paar abgegeben, wenn ich etwas irgendwie griechisch Anmutendes angezogen hätte. Der Exotenbonus war damals durchaus hilfreich auf der schlüpfrigen Piste der Erotik, by the way … am Ende war mir dat Dingens aber dann doch zu teuer.
Viele Restaurants nannten sich „Zorba“, die Kneipe im Ashram in Poona hiess „Zorba the Buddha“ – von Bhagwan/Osho gedacht als Erinnerung über dem Spirituellen die Freuden des Körpers nicht zu vergessen. Das machte den Letzteren auch so verdammt attraktiv für ausgedörrte Westler in ihren grauen Städten und ihren freudlosen Eltern und Lehrern, die ihnen gerne ein ständig dräuendes und drückendes Nichtgutgenugsein als Daueretikett in die Seele gestanzt hätten. Noch so eine Nachthemdlichtgestalt mit leicht geschwärzter Weste, der die Mitte zwischen tiefen Weisheiten und wohlfeilen Sprüchen nicht immer zu finden verstand und dem auch ziemlich wurscht war ob er sie fand. Angehimmelt wurde sowieso … Soweit alles prima mit den Übervätern – nur was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass wir offenbar nicht bemerkt haben, was für ein narzisstisches empathiefreies Windei diese Filmfigur war. Wo war dieses Loch in der eigenen Wahrnehmung und wie kam es dazu? Waren wir doch leitwolfbedürftig? Bereit alles andere – nicht nur zu verzeihen sondern sogar völlig auszublenden, nur weil einer fröhlich war und uns endlich mal zeigte wie man gut lebt? Und dem dauergrollenden Übervater über den Wolken flugs den Blitzstrahl aus der Hand fingerte? Waren wir auch in Gefahr, einem Rattenfänger hinterherzuziehen, nur weil der um 180 Grad anders gedreht war wie der vorherige? Unsere linken Gurus, für die wir Mädels … pssst … die Flugblätter tippten, was war mit denen? Hatten unsere Väter solche Skotome hinterlassen, dass wir auf jeden Papiertiger hereinfielen, der sich auf zeitgerechte Selbstinszenierung verstand? Fragen über Fragen … Eins der grossen Verdienste dieses Filmes – er zeigt uns den inneren Zustand seiner Fans und Rezipienten – wieder einmal der Spiegel der Schneekönigin, der uns beim Reingucken das zeigt, was wir so gar nicht leiden mögen. Unsere überstürzten Idealisierungen …
Darauf einen Ouzo! And another dance ... und schon macht einem die ganze Sache viel weniger aus … selbst wenn man statt Maria Farantouri nur noch Vicky Leandros aus dem Plattenfach zu fingern imstande war. Schliesslich auch ne Griechin und Hauptsache Fingerschnipsen … jede Generation hat etwas, das sie besoffen macht – so auch wir. Und wer ist schon ganz zurechnungsfähig in seinen hellen Zwanzigern? Und bei uns ging es immerhin ohne Todesopfer und grössere Kollateralschäden. However!
Und eine neue Definition von Weihnachten hatten wir auch:
Weihnachten geht man nicht in die Kirche! Gott ging auch nicht in die Kirche, der ging zu Maria und dann wurde Christus geboren!
Was für eine lebensstrotzende Interpretation einer ansonsten blutleeren Geschichte, da hebelt einer die dröge Story vom Heiligen Geist und der Jungfernzeugung mal eben mit ein paar Worten aus – da ists wirklich langsam egal, ob der Typ bloss dämlich oder genial ist. Zitierfähig ist er allemal.
Also … Jamas und … dings … Kali nichta!
And never touch an archetypus!!