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2024 23 Aug

Schwelle und Rückstau

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 3 Comments

 

„I can give it, but can you take it?“ war die Replik eines Gurus auf die Frage eines Schülers, ob man Erleuchtung übertragen könne. Wäre dies nicht eine Situation, wie sie auf vielerlei Wechselbeziehungen zuträfe? Die Regeln von Produktion und Rezeption. Es brauchte seine Zeit, bis ich wieder drin war im Ritual des Albumhörens nach ein paar Tagen Pause. Zunächst dachte ich, das Equipment sei kaputt – nein, etwas Geduld ist erforderlich. Auch wenn man ins kalte Wasser geht, benetzt man ja zunächst die Haut. Anlässlich einer Hifi-Recherche im vergangenen Winter meinte ein Fachhändler auf YouTube, beim Kauf von Boxen solle man sich vor Spontankäufen hüten, denn das Hörvermögen sei von der Tagesform abhängig. Aha – noch andere Faktoren sind also maßgeblich als nur die Dicke des Geldbeutels! Na klar, die Sinne spielen stets ihr eigenes Spiel. Daher vielleicht die Schwellenangst: kann ich das überhaupt verdauen, was mir dargeboten wird? Von der Schwelle nun zum Rückstau: Mir fiel oft auf, wenn ich die Gitarre zur Hand nehme, dass ich stets verdutzt bin von der Schönheit des Klanges und der Faszination, eigene Töne hervorzubringen zu können. Ich bin sofort im fragenden Dialog mit der Klangwelt, je einfacher, je besser. Ein E-Moll Akkord, bewusst gespielt, eröffnet einen Kosmos. Dann jedoch wird’s heikel: man will zuviel, schliesst den Rekorder an, dazu Effektgeräte, Spur wird auf Spur gelegt, man ist berauscht. Der Backlash aber: alles schon gehabt, mediokres Zeugs, baden in Klischees. Nee, dann lieber einen Mollakkord anschlagen, Schuster bleib bei deinen Leisten, das kurze Hier und Jetzt. Ein John McLaughlin wirst du eh nicht mehr. Und doch, die Klangwelt folgt mir wie ein Schatten. „Ich bin, weil ich Gitarre spiele“ – das sagte schon Descartes, wenn ich mich nicht irre. Oder war’s Karl May?

 

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3 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Die Situation ist auch mathematisch fassbar: In jedem Produktions-Rezeptionsspiel ist immer auch ein zusätzlicher Interaktionist am Mitwirken – sozusagen n+1. Bei der Erleuchtung der Meister, der Schüler, die Erleuchtung und das Agens, das verhindert, dass die Erleuchtung beim Schüler im Kortex landet … oder in anderen entsprechenden Zentren.

    Oder der Gitarrist, die produzierte Musik und das Etwas, das sich sperrt, das Ganze schön zu finden. Oder das Album, der Hörer und das Etwas, das die Wiedererkennungsverschmelzung verhindert und gute Gründe dafür hat.

    Selbiges wäre zu eliminieren.

  2. Jochen:

    Vielleicht gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Erleuchtung und ad-hoc Impro, also der freien Improvisation im Jazz: das Fehlen von Referenz (also Vorbilder und historische Bezüge) und Präsentation. Wer erleuchtet ist, muss dies nicht zeigen, gehört auch keiner Sekte an. Der wahre Free-Jazzer spielt ohne Publikum, nur für sich, für das Wahrheitsereignis. Just a little brain fuck

  3. Uli Koch:

    Das geht mir oft so, wenn ich nach längerer Zeit mal wieder ein Album höre, das lange darauf gewartet hat einmal wieder gehört zu werden. Oft kommt es mir dann ganz fremd vor und es dauert ein Weilchen bis ich mich wieder eigefunden habe. Das ging mir verletzt so mit Thomas Dolby’s The Flat Earth: ich hatte das viel intensiver und druckvoller in Erinnerung und trotzdem war es schön.

    Was die Sache mit dem Improvisieren angeht, passiert ja genau das, was dem Erleuchteten ganz unvermeidlich auch geschieht: es bleibt einzig der Augenblick, in dem ein Ton, ein Akkord oder eine Dissonanz erklingt und ein Flow zum nächsten. Nur für das Wahrheitsereignis. So war das größte Lob, dass ich einmal nach einem Konzert erhalten habe, die Frage einer Zuhörerin, was man denn machen solle, wenn wir die Musik spielten? Die Irritation der Hilflosigkeit als Vorbote einer absoluten Freiheit, wie wunderbar …

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