Notturno (Ö, 1986), Fritz Lehner
Wenn ich die bevorzugten und individuellen Klangqualitäten grosser Komponisten Revue passieren lasse, würde ich Beethoven das Donnergrollen zuordnen – irgendwie konnte er das am besten, Mozart das Leuchten und Strahlen, Schumann das Abgründige und Schubert die Sehnsucht und die Wehmut – dieser Mann sehnte sich das Herz aus dem Leibe.
Eine Biographie über ihn, die mir vor Jahrzehnten in die Hände fiel, war betitelt als „Musikgewordenes Heimweh“, vom Sprachlichen her etwas verstolpert – aber passt!
Fremd zieh ich wieder aus – zwischen diesen beiden Polen spannt sich das Leben von Franz Schubert auf, hier in einem Biopic von Fritz Lehner mit dem kongenialen Gernot Roll als Kameramann in einem Dreiteiler, fürs Fernsehen produziert; der Regisseur bekam dafür 1986 den Bundesfilmpreis.
Der kommerzielle Erfolg im deutschsprachigen Raum blieb dem Film versagt, er wurde fürs Kino auf einen dreistündigen Zweiteiler eingedampft (das heisst einige der besten Momente fehlen bzw der ganze Mittelteil), englisch synchronisiert und im Ausland vertrieben womit sich wieder das Muster konstellierte, dass der Prophet im eigenen Lande nicht viel gilt. Falls Schubert hätte hellsehen können, hätte er sich darüber nicht weiter gewundert und ein eigenes Lebensmuster darin wiedererkannt.
Sowohl der Zwei – als auch der fünfstündige Dreiteiler Mit meinen heissen Tränen sind mittlerweile als DVD erhältlich und ein gutes Zeichen dafür dass Produzenten vernunftbegabt sind und Potentiale erkennen und fördern können.
Der Film beschreibt das Leben des Hofkompositeurs Franz Schubert im Jahr 1828; es ist sein letztes Lebensjahr und bereits verdunkelt durch eine schwere Erkrankung, die ihn bald töten wird, die er zeitweise noch zu verleugnen sucht, bis sie am Ende zum finalen und nicht mehr zu verleugnenden Prankenhieb ansetzt, wahrlich eine Reise in den Winter auf die man uns mitnimmt.
Zunächst sehen wir ihn im Kreise seiner Freunde – junge Künstler aus den besseren Kreisen Wiens – Moritz von Schwind, Franz von Schober, Johann Strauss – und deren Entourage von hübschen Mädchen zum Feiern und Hörner-Abstossen, bevor eine gutbürgerliche Jungfrau geehelicht wird.
Alles smarte Jungs – wie man heute sagen würde – unter denen Schubert, den sie liebevoll aber auch abschätzig „Schwammerl“ nannten, sicher das grösste Talent sein eigen nennt, aber auf gesellschaftlichem Parkett eher unsicher und tapsig wirkt und auf Prostituierte zur Befriedigung angewiesen ist. Hart genug für einen Romantiker, der die Mutter verlor und als dreizehntes Kind der Eltern entsprechend emotional ausgehungert war. Als seine Ansteckung mit Syphilis langsam ruchbar wird, geht die Umgebung zusehends auf Abstand.
Der Film legt wenig Schwerpunkt auf äussere Handlung, ist fokussiert auf die Darstellung innerer Prozesse und Entwicklungen, die vom Regisseur in die szenische Gestaltung symbolisierend eingewoben werden und eine ganz eigene Textur bilden – ein gelähmter Bettler, der ihn verfolgt und seine Freundschaft sucht als Verkörperung des Elends das ihn nicht loslässt, grüne Äpfel, die unvollendet im Sturm vom Baum gefegt werden, gefangene Tiere, denen kurz die Freiheit geschenkt wird als Symbole eines eingesperrten Trieblebens, eine verfallende überwucherte Kirche, von der die Natur wieder kraftvoll und zunehmend Besitz ergreift in einer Phase eines kurzen Aufblühens von zupackender Männlichkeit des Protagonisten, freilich von kurzer Dauer.
Ein von einem Feuerwerkskörper getroffener niederbrennender Baum als Bild für die ultimative narzisstische Katastrophe, als er bemerkt dass das Mädchen, das sich für ihn interessiert, von seinen Freunden eben dafür bezahlt wurde. Im Hintergrund dieses Bildes einer Zerstörung die grandiosen Ejakulationen eines Feuerwerks, die darauf schliessen lassen, dass seine Freunde nach den oralen Befriedigungen eines Gartenfestes nun zu Freuden anderer Art übergegangen sind, von Moritz von Schwind in Skizzen festgehalten, die Schubert am nächsten Morgen auf der hagelverwüsteten Festtafel vorfindet.
Wir sehen Gesichter und Blicke in teils quälend langen Einstellungen – die Kamera bleibt stets nahe bei den Protagonisten und lässt sie nicht aus den Augen – sie erzählen die Geschichte einer Liebessuche, von Neid und Eifersucht und schliesslich einer Agonie, die ganze Umgebung in ihren fahlen Farben scheint davon infiziert zu sein, projektiv gesehen durch das Auge des Protagonisten in seinem körperlichen und seelischen Zugrundegehen.
Das Ganze geschickt plaziert ins Dulijöh – Wien der Biedermeierzeit, hinter aller Postkutschengemütlichkeit ein brutaler Polizeistaat (häufig eingeblendete berittene Polizei mit allen Insignien von Macht und Gewalt ausgestattet erzählen davon und schlagen assoziativ den Bogen zum Stock des brutalen Vaters, mit denen er seine Kinder und seine Schulklasse in Schach hält) mit ausgedehnten Ghettos für den verarmten Teil der Bevölkerung in denen Prostitution, Kriminalität und Krankheiten gedeihen.
Die im düsteren Hintergrund häufig eingeblendeten Postkutschen erinnern eher an Charon, der Menschen dorthin befördert, wo sie nicht hinwollen oder Nietzsches dramatisches Gedicht vom Tod Beethovens. Eine melancholische Fin-de-siecle-Stimmung, nur hundert Jahre früher, aber man sagt ja, dass die Jahrhundertwenden immer mit Melancholie und Depression vergesellschaftet seien. Warum auch immer … die Kunst hat diesen Phasen jedenfalls viel zu verdanken.Somit bildet die Umgebung eine Folie für den Protagonisten und spiegelt ihm zurück, was er erlebt, Innen und Aussen verschmelzen zu einer Einheit und wir haben in der Zusammenschau Teil an Verfall, Untergang und kurzzeitigem Aufleuchten und Wiederverlöschen.
Der Regisseur versteht es auch, Ambivalenzen herauszuarbeiten – die des narzisstischen Poseurs Franz von Schober und dessen Neid auf den Begabteren und seine Schuldgefühle, weil er ihn zu erotischen Eskapaden mitnahm und dem Schubert letztlich seine Krankheit verdankt. Auch so kann man ein Neidobjekt beseitigen, aber die Reue versteht noch ihn einzuholen, die hat flinke Beine und erwischt so manchen Hallodri doch noch am Ende und sorgt für eine Weiterentwicklung zum Besseren. Seine Tränen am Krankenbett sind ehrlich. Und die Frauen die von seiner gefühlvollen Musik tief bewegt werden, sich aber körperlich nicht von ihm angezogen fühlen und deshalb Schuld und Mitleid verspüren – das rührt auch das Herz der Käuflichen – ebenfalls eine anstrengende Mischung und schwer zu ertragen, da hält man Abstand und der Liebesansturm des Ausgehungerten endet in Peinlichkeit und Scham.
Und Johann Strauss spielt furios auf, schlägt alle in seinen Bann und seine depressiv – versteinerte Miene konterkariert alle fröhlichen Walzer und hellt sich erst auf als er einer Violinsonate von Schubert lauscht – man versteht sich, erkennt sich als im Leid verbunden und merkt, dass Depression auch vor den “ Feschen“ nicht haltmacht – und dass man nicht allein ist. Das Andeuten ansonsten unsichtbarer Beziehungen durch Blicke und Mimik ist eine der Stärken des Filmes.
Aber es gibt noch eine Abendröte vor dem grossen Dämmern: Schubert, in einer kleinen Kammer in der Wohnung seines Bruder untergebracht (und zeitweise sogar eingesperrt) komponiert seinen letzten Liederzyklus, die „Winterreise“, die er voll Freude als Fortschritt in seiner musikalischen Entwicklung erlebt und es spinnen sich feine Liebesfäden zwischen ihm und seiner jüngeren Schwester (oder Halbschwester) Josefa; sie betreut ihn, wäscht ihn und als sich erste kognitive Ausfälle zeigen hilft sie ihm sich zu strukturieren und an seiner Komposition weiterzuarbeiten.
Es kommt zu einer zwar nicht genitalen aber inzestuösen Begegnung, die Schubert noch einmal neue Kräfte verleiht – er kleidet sich an und möchte ausgehen, nimmt Kontakt zu einer Nachbarin auf, die er schon länger beobachtet – ein letztes – und wohl auch einziges Mal tanzt er mit einer Frau – vielleicht auch nur in der Phantasie, mehr geht nicht. Vorher erblickt er seinen Doppelgänger vor dem Haus – ein mythisch-kryptischer Hinweis auf den nahen Tod; Freud interpretierte ihn als das Gegenteil bzw als Abwehrkonstrukt: Ein Doppelgänger sichert das Überleben dessen, der ihn phantasmisch erschafft – einer bleibt also übrig – ein infantil anmutendes Rechenexempel, aber wenn sich Freud vom Klinischen entfernte und in kulturell – mythologischen Bereichen herumzudenken begann, wurde es oft recht seltsam, da wäre man versucht ihn ans Krankenbett zurückzupfeifen.
Bruder und Schwester Schubert also wirken zusammengeschmiedet im nonverbalen Kontakt und einer Art primordialem Raum in dem wortloses Verstehen herrscht. Das Mädchen spricht nicht, scheint verstummt – vielleicht angesichts der Gewalttätigkeit des Vaters, der mit seiner Zeugungswut zwei Ehefrauen verschliss – er hatte insgesamt 19 Kinder – und sich wohl auch wenig darum scherte, wenn die Kinder die sogenannte „Urszene“ auch mitbekamen. Der alte Pfiffikus aus der Berggasse hätte sich darauf natürlich wieder freudig gestürzt.
Zusammen mit ihrem Bruder, der in seiner Musik ausdrückte, was er realen Frauen nicht sagen konnte, webt Josefa ein Netz von hoher Dichte aus Blicken, Gesten und wortlosem Verständnis, das erst der Tod zu zerreissen versteht. Das letzte was wir von Schubert sehen, ist der panische Blick, als man sie aus dem Sterbezimmer führt und die Tür sich hinter ihr schliesst und Schubert, nun aller freundlichen Objekte beraubt, weiss in seiner Umnachtung doch noch genau wer als nächstes durch diese Tür eintreten und ihn endgültig fortführen wird.
Vorher hat sich der Kranke noch verzweifelt gewehrt gegen den Priester, der ihm die „Letzte Ölung“ – wie man das damals noch nannte – verpassen wollte – ein Terminus, der mich immer eher an Nahrungszubereitung oder den Bereich der Mechanik erinnerte als an das was es vorgab zu sein, aber vielleicht braucht man ja wirklich Schmiermittel für die Reise in die Ewigkeit, dann würde dergleichen ja Sinn machen – Schmiergelder gabs in diesem Kontext ja auch schon reichlich zu Zeiten des Ablasshandels.
In seinem Violinkonzert „Der Tod und das Mädchen“, das häufig eingeblendet wird, hat Schubert diesem gefürchteten Gesellen ein musikalisches Motiv zugeordnet das eine dunkel-tröstliche, mütterliche Klangfärbung sein eigen nennt, bei ihm wissen wir das Mädchen geborgen. „Bin Freund und komme nicht zu strafen“ – wie es im Text von Matthias Claudius heisst. Dem Sterbenden wünschen wir dasselbe auch – so wie er es sich beim Komponieren ersehnt haben mag – ein letztes Liebesobjekt das der quälenden Reise ein Ende setzt und bei dem man endlich zur Ruhe kommen kann und ein Entkommen vor einer Welt die ihm nie Zuhause war.
Diesen Schluss versagt uns der Film – wir verlassen Schubert in einem Moment der Panik und des Verlustes und der Regisseur verzichtet dankenswerterweise auf wohlfeilen Trost des Publikums und jegliches andere Sentiment und lässt die Grausamkeit dieses Schicksals und dieses Todes als das stehen was sie ist und mutet sie dem Zuschauer ungefiltert zu, der ebenso abrupt aus dem Film geworfen wird wie Schubert aus seinem Leben. Eine letzte Zeugenschaft, ein Bleiben an seiner Seite und eine Verbeugung vor einem der ganz Grossen.