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2024 1 Juli

Pizza in Auschwitz – Das Nachrauschen des Holocaust

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 4 Comments

 
 

Pizza in Auschwitz (Israel, 2008) von Moshe Zimmerman

 

Nein, das ist nicht einer meiner launigen Überschriften, der Film – eine Doku – heisst wirklich so und ist vor allem ein grossartiges und schmerzvolles Lehrstück über die transgenerationale Weitergabe von Traumata an die nächste Generation.

Der litauische Jude Danny Chanoch, geb.1932, hat hat die Aufenthalte in Dachau, Mauthausen, zwei weiteren kleineren KZs und schliessllich Auschwitz überlebt, ebenso sein Bruder. Die Eltern und die Schwester wurden ermordet. Im hohen Alter plant er noch einmal eine Reise zu diesen Gedenkstätten, vorher noch an seinen Geburtsort Kaunas. In der Gedenkstätte Auschwitz mit mittlerweile florierendem Tourismusbetrieb besteht die Möglichkeit, in den Baracken auf den Original-Holzpritschen zu übernachten und sich auch dort verköstigen zu lassen, daher der etwas befremdende Titel. Die Frage wer dergleichen machen möchte und warum er das möchte, stellen wir hier einmal nicht – aber offenbar wird das Angebot wahrgenommen. Ein zu weites Feld für einen Blogpost.

Auf Dannys Wunsch hin begleiten ihn seine beiden erwachsenen Kinder, die Tochter Miri und sein Sohn Sagi, ein orthodoxer Jude mit Kippa. Der stets gut aufgelegte Danny behauptet, er habe einen „Bachelor in Auschwitz“ und fühlt sich als Fachmann für dieses Thema – im Gegensatz zu vielen dauerschweigenden Eltern der Nachkriegszeit war Danny jemand der „überhaupt nicht mehr aufhörte über den Holocaust zu reden“, so die Worte der gestresst wirkenden Tochter.

Zunächst besucht man seinen Geburtsort in Litauen, den er mit schönen Erinnerungen verbindet und trifft seinen Bruder Uri, einen Mann der der Tränen noch mächtig ist – Danny kann nicht mehr weinen (Wie willst Du noch weinen, wenn Du als kleiner Junge an der Selektionsrampe stehst und sie dich von der Familie trennen? Da weinst Du nicht mehr! Da weinst Du nie mehr!). Das ist glaubhaft – in Extremsituationen kann man nicht mehr fliessen, da verschliesst man sich und verhärtet oder wird verrückt.

Danny ist erfüllt vom Holocaust und vom Stolz, diese Zeit auch aufgrund eigener Geschicklichkeit überlebt zu haben und entkommen zu sein, auch seinen Kindern habe er vermittelt, dass das Böse überall lauere und sie ständig wachsam sein sollten – die Welt als freundlichen Ort konnte er ihnen nicht vermitteln. Die Tochter leidet noch heute darunter („Geschichten über Auschwitz waren unsere Gute-Nacht-Geschichten“), versucht dem Alptraum dieser Reise zu entkommen, will auf keinen Fall mit Vater und Bruder auf den Holzpritschen übernachten und Pizza aus dem Karton essen, nicht an dieser „Auschwitz- Reality-Show und Holocaust-Nostalgie“ des Vaters teilnehmen. Der Bruder kann dergleichen besser containen, bewahrt Ruhe.

 
 

 
 

Für die Befindlichkeiten seiner Kinder ist Danny nicht empfänglich; als man in Kaunas in einem Stadtviertel mit Hakenkreuzen an den Hauswänden spazieren geht und Miri sich Sorgen um den Bruder macht, der optisch als Jude erkennbar ist, reagiert Danny sorglos – „Blödsinn! Dem passiert nix. Mir ist hier nie etwas passiert!“; er vermittelt den Kindern häufig, sie sollten „sich nicht so anstellen“. Sein Leid hat Vorrang und formt auch seine Identität und Struktur. Jedes Problem von anderen erscheint dagegen marginal, das traf wohl auch die eigenen Kinder.

Mit dem Filmteam in Auschwitz angekommen erfährt Danny, dass er eine vorherige Genehmigung für Filmaufnahmen braucht, er insistiert auf seinem Vorhaben bis die Sekretärin der Geschäftsleitung ob des immensen Drucks, den er herzustellen versteht in Tränen ausbricht (Ich bin Auschwitzüberlebender, Sie müssen mir jeden Wunsch erfüllen!).

Er akzeptiert aufgrund dieser Rolle keine Grenzen, es kommt zu einer aggressiven Auseinandersetzung mit dem Leiter der Einrichtung über seinen Opferstatus und die von ihm daraus abgeleiteten Sonderrechte, die er lautstark verteidigt. Die Tochter dekompensiert zusehends, aber muss mit durch, weint immer häufiger, schafft es nicht die Reise für sich zu beenden – aber wer schafft es auch, den alten Vater alleine zu lassen, wenn er den Ort seines Leidens noch einmal aufsuchen will? Sie scheint in einer Loyalitätsfalle gefangen. Ihre Tränen rühren den Vater nicht, er versteht nicht, warum sie weint. Man merkt, dass sie am liebsten auf und davon ginge, dem endlos Schwadronierenden auf seiner Holzpritsche entkommen will. Eine schwer erträgliche Situation, auch für den Zuschauer quälend. Wer nicht mehr weinen kann, bringt andere zum Weinen. Bei einer Vorführung des Filmes weinten einige im Publikum.

Der Film nimmt keine Stellung und vor allem – er wertet nicht. Menschen, die Extremsituationen durchgestanden haben, entziehen sich jeder Wertung, was bleibt ist die Zerstörung zu zeigen, die diese Verbrechen im einzelnen angerichtet haben und in den Kindern und Enkeln noch anrichten, das ist hier in vivo zu beobachten. Die Seele dieses Vaters ist voll mit Auschwitz, sie bietet keinen Raum mehr für Kinder als eigenständige Wesen und ihr Anderssein, ihre Kinderprobleme und -schmerzen, er erzieht sie, als lebten sie immer noch in Auschwitz, für ihn ist die Zeit am Tag seiner Rettung stillgestanden.

Er vermag nicht wahrzunehmen, wie es ihnen geht, was sie wünschen, was sie nicht ertragen können, nimmt stets sich selbst zum Massstab, kann sie nicht auffangen wenn es ihnen schlecht ergeht – schliesslich erging es ihm noch viel schlechter und er habe auch nicht geheult. Das mutet an wie Härte aber wer kann in Auschwitz schon Empathie entwickeln?

Traumaopfer traumatisieren andere, nur oft auf subtilere Weise, die Täter und ihr Verhalten sind ebenso in der Psyche verankert und manchmal mutiert das Opfer auch zum Täter, leider – „Mein Vater hat mich verprügelt und nur deshalb ist etwas aus mir geworden!“ – oft gehörte und kaum auflösbare Manifestation einer Täteridentidentifikation und Freibrief für Schläge an den eigenen Kindern. Da bleibt oft eine lebenslange Täterbindung im Traumatisierten und die Beziehungen laufen im Täter-Opfer-Schema ab, etwas anderes kennt er nicht und merkt auch nicht – wie Danny – wenn er den Spiess umdreht und andere quält.

Die relativ neue Wissenschaft der Epigenetik hat erforscht, dass sich Traumata auch somatisch durch Veränderung der DNA-Sequenzen in den Genen fortpflanzen können, damit wäre der Sprung vom Psychischen in die knallharte Materie nachgewiesen. Also kein Entkommen für nachfolgende Generationen.

Am Ende gibt es versöhnliche Momente – Danny ist wieder zu Hause und tanzt fröhlich mit seiner Frau, die sich freut, ihn wieder hierzuhaben, die Lebenslust ist ihm nicht abhanden gekommen, auch nicht der Stolz über das Bewältigen und Entkommen, er fühlt sich als Sieger. Man erlebt ihn trotz allem nicht als asshole, er strahlt eine unbändige Kraft und Lebensfreude aus und nimmt auch seine Verantwortung als Überlebender wahr, von seinem Leben zu berichten, besucht immer wieder Schulen und hält Vorträge. Als Vater würde man ihn freilich nicht haben wollen.Aber auch für die Kinder gibt es Hoffnung – Miri telefoniert mit ihrer Tochter und wünscht ihr eine gute Nacht, offenbar gibt es da eine intakte kleine Familie. Sagi wirkt ohnehin sehr in-sich-ruhend und kann vieles an sich ablaufen lassen, scheint sicher verortet in seiner Identität und Religion.

Danny sprach auf dem „Fest der Freude“ 2021 in Wien (Befreiungstag des KZs Mauthausen) noch einmal als einer der letzten Auschwitzüberlebenden zum Publikum, gestützt auf seine Enkelin die sich liebevoll an seine Schulter lehnt – mit den Enkeln läufts oft besser wie mit den eigenen Kindern, die kriegen die toxischen Anteile nur noch gefiltert ab. Er ist jetzt 92 Jahre alt und lebt in Palästina.

 
 

 
 

Einmal jährlich trifft er sich mit den Überlebenden der Gruppe 131, den 130 etwa gleichaltrigen Jungen die gemeinsam mit ihm in Landsberg selektiert und nach Mauthausen und danach in 5 weitere KZs gebracht wurden. Die meisten von ihnen haben die KZs überlebt was auch dem Zusammenhalt der Gruppe und der gegenseitigen Unterstützung der Kinder untereinander geschuldet ist, die nachts immer im Pulk auf den Pritschen schliefen um sich zu wärmen. Und wohl auch seelisch im Rahmen ihrer Möglichkeiten gewärmt haben. Stand by me

Die meisten von uns Älteren haben Erfahrungen mit schweigenden sprachlosen Kriegseltern, hier erleben wir ein expressiveres Verhalten – eine permanente verbale Auseinandersetzung, nicht minder traumatisierend für Kinder, die in Dauerschleife mit diesem Thema konfrontiert und hineinverwoben sind. Kinder schweigender Kriegseltern standen vor einer Mauer, wenn sie Austausch suchten, Kinder von redenden Eltern mussten sich endlose Klagen anhören von Eltern, die ihr Leid durch das Kind gespiegelt und anerkannt haben wollten und ihre Kinder selbst nicht spiegeln und anerkennen und so ihr Selbstbild formen konnten. Die grosse Einsamkeit der Nachkriegskinder.

Zwanzig Jahre später entlud sich eine gewaltige Wut und Revolte gegen Autoritäten mit einer Gnadenlosigkeit, die wieder an faschistische Denkmodelle erinnerte. Insbesondere die aggressive Sprache der akademischen K-Gruppen und später der RAF machte es deutlich, wenn sie über die verhassten kapitalistischen Ausbeuter (fette Männer mit Zylinder und Zigarre auf den Flugblättern, ähnlich den Abbildern von geldscheffelnden Juden der Nazipropaganda) sprachen als „Dreck, der in den Abort der Weltgeschichte“ gespült werden sollte und dergleichen. Die breite Masse des Volkes, das sie eigentlich befreien wollten nannte die RAF „vegetables“, ein Bild für dumpf und unreflektiert dahinvegetierende Menschen, bzw eigentlich keine Menschen mehr. Pflanzliche Existenzen.

 
 

 
 

Und Franz Josef Strauss konterte mit der Bezeichnung „Ratten und Schmeissfliegen“ gegen revoltierende Studenten. Auch hier die Sprache des Faschismus mit ihrer Entmenschlichung, die die Vernichtung dann so leicht macht. Das sitzt alles so gottverdammt tief.Wen wunderts, dass es nicht besser wird?

„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ (W. Faulkner)

Lesenswert:

D. Chanoch et al ( 2021):
Erzählen um zu leben. Das Leben ist eine Frage von Sekunden und Millimetern.
Edition Mauthausen

Sehenswert zum Thema KZ-Tourismus:

Am Ende kommen Touristen (D, 2007) von
Robert Thalheim – als DVD verfügbar.

 

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4 Comments

  1. Roland:

    Sehr bedrückend! Dieses Fast-Verliebtsein in die eigenen Traumata, ist mir schwer vorstellbar.

  2. Ursula Mayr:

    Ich kenne auch so einen Danny – der Bruder meines Stiefvaters – 5 Jahre russische Gefangenschaft, danach war er ein Russland-Gourmet – lernte die Sprache, interessierte sich für die Kultur und Literatur. Auf Familienfesten hatte ich ihn dann an der Backe weil ich auch etwas Russisch konnte, zu vorgerückter Stunde prosteten wir uns dann mit „Rucki Werr“ zu. Das heisst “ Hände hoch!“.

  3. Ursula Mayr:

    Ich erinnere mich noch gut an das Seminar seinerzeit, das ihr für unsere Ausbildungskandidaten gehalten habt – lauter jüngere Leute, die waren starr vor Schreck.

  4. Jörg R.:

    Das Thema paralysiert.


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