Vermutlich hat diesen „Film des Jahres“ und Oscar-Abräumer schon jeder gesehen und für sich bewertet – also Folgendes nur noch der Ordnung halber: wert ist es der Film allemal und man soll mir nicht nachsagen, ich hätte einen Blockbuster schmählich ignoriert.
Vorab: Lanthimos hatte bisher eine Schwäche für eine Art von Parabeln. Ich mochte weder Lanthimos noch Parabeln und ich habe mich trotzdem tapfer durch den furztrockenen Dogtooth, den etwas nichtssagenden The Lobster und den leidlich spannenden Killing of a Sacred Deer hindurchgeglotzt und dann skeptisch zu Poor Things gegriffen – ignorieren kann man das ganze Getöse um die Oscars ja ohnehin schlecht. Der neueste Film vom Regisseur Kinds of Kindness wird in den nächsten Wochen in Deutschland starten, da sehen wir dann schon wie die Entwicklung des Lord of Weird Stories weiterläuft.
Und siehe da – der gern intellektualisierende Herr, der aussieht wie unser netter Getränkelieferant, der problemfrei drei Kisten auf einmal schleppt, entwickelt eine intelligente Story mit Charme, Tiefgang und sogar einem Schuss augenzwinkernder Satire und nimmt sich an keiner Stelle tierisch ernst – wenn das mal nix ist.
Den Plot darf ich als bekannt voraussetzen:
Zunächst agiert eine Art Dr. Frankenstein – hier der zu vielem brauchbare Willem Dafoe – der aussieht wie sein eigenes Monster, (eine nette Verschmelzung cineastisch-personalisierter, aber noch nicht pensionierter und mittlerweile archetypischer Mythen, hier der des Mad Scientist mit seinem künstlichen Geschöpf). Weiter gibt es Reminiszenzen an Pygmalion und seine Galathea und Prof. Henry Higgins und die wehrhafte Eliza. My Poor Lady sozusagen).
Der Mad Scientist (ein Begriff von Siegfried Kracauer) erschafft sich eine Frau mit einem Babygehirn, die sich allerdings sehr rasch zur Erwachsenen entwickelt, ausufernde Sexualität pflegt und auch ein emanzipatives Geistesleben entwickelt. Der steinerne Galatheakopf wird demgemäss auch einige Male eingeblendet, damit wir wissen, wo wir uns mythologisch verankern dürfen.
Das Ganze neckisch aus der Froschaugenperspektive gefilmt – die Frau und ihr Verhalten unter einem distanzschaffenden Mikroskop beäugt: Ein Puffärmel-Teepüppchen (früher sassen die in weiten Rüschenröckchen hinter der Heckscheibe im Auto und tarnten geflissentlich eine Klorolle) in einem gemischten Barbie -, Lego – , Disneyland- Dekor – hier schafft Lanthimos eine ganz individuelle Ästhetik die sich sicher zur Ikonographie (eine Rezension ohne dieses Wort ist mittlerweile keine mehr, das wär also hiermit schon mal erledigt) auswachsen wird – und begleitet von einem mal wummernden, mal schreienden aber immer gut akzentuierenden und die Story untermalenden Soundtrack.
Bei diesen ganzen Accessoires vergisst man förmlich, dass das Thema im Grunde ein uralter Hut ist – sexuell und intellektuell erwachende Frauen umgeben von begehrlichen, aber überforderten Männern, (schnarch!) wachsen in der westlichen Welt natürlich überall am Wegesrand, aber meistens nur in Form von vorhersehbaren Beziehungsdramoletten oder gar -komödien, bei denen sich nur noch die ganz schlichten Gemüter schlapplachen können (die Frau macht flott und mühelos Karriere, der Mann stellt sich daheim im Haushalt blöd an, ja mei, is des lustig, jetzt haben wirs den Mackern wieder so richtig gesagt! Oder so oder ähnlich! Allerdings haben letztere schon längst abgeschaltet oder sind mit der Fernbedienung im Klammergriff weggepennt).
Viele Kritiker überschlugen sich, viele User reagierten verhalten, wohl angesichts der überbordenden Phantastik, ist ja auch nicht jedermanns Sache. Ein Rezensent nannte den Film eine weinerliche Abhandlung über Männlichkeit, ich würde eher von einer Abhandlung über weinerliche Männlichkeit sprechen. Ein skurriles Märchen und eines der schrägsten Emanzipationssatiren seit 1964, als Eliza Doolittle ihrem narzisstischen Professor die Hausschlappen nachfeuerte und die antike Galathea, solchermassen erweckt, hoffentlich Pygmalions Bett verliess und sich ihre Liebhaber von da ab selbst aussuchte – vor diesem feministisch befriedigenden Schluss der Geschichte hat sich Ovid, seinerseits antiker Macho, schlicht rumgedrückt, dabei hatte der auch drei Ehefrauen die ihm etwas hätten beibringen können. Womit dieser alte Mythos nun auch noch etwas aufgepushed wäre. Ein freches Märchen und eine amüsante Mythenverquirlungsorgie – damit wollen wir uns bescheiden sprach Heinz Rühmann und warf die Flinte in die Feuerzangenbowle.
Es wäre dem Regisseur zu wünschen, dass er in der Fahrt verbleibt, in die er langsam zu kommen scheint – ähnlich wie das furiose Teepüppchen das er geschaffen hat und das mit ihren überbordenden Puffärmelchen (ein Seitenhieb auf den male gaze in der Filmwelt der die Frauen vor allem für das männliche Wohlgefallen optisch drapierte) sicher noch eines Tages abhebt – to some other town, wo sie in Ruhe Medizin studieren, ihren Lüsten frönen und sicher verortet ihre Metamorphose vollenden kann.
Stay hungry, Black Barbie, and see you later im Sequel – die Schlusseinstellung war doch sicher nur ein Cliffhanger? Bin gespannt wer Dich rebootet, Tarantino hat zur Zeit eh nix zu tun …