1950!
Die Trümmer waren verräumt, der Hungerwinter von 1946 durchgestanden, die Währung stabilisiert, das Grundgesetz festgeklopft und das gestrauchelte Kind Deutschland (ein Euphemismus, ich weiss, aber so sah man sich damals) begann mithilfe der amerikanischen Militärregierung wieder auf eigenen Beinen zu stehen und die Wirtschaft und Infrastruktur zu stabilisieren. Man konnte sich wieder sattessen. Erst kommt das Fressen und dann … Wünsche begannen wie Luftblasen an die Oberfläche zu steigen – ein bisschen Schönheit, Sonne, Abenteuer, Erotik, Romantik und vor allem Freiheit und Mobilität, ein bisschen schamhaft, aber neugierig mal über den Zaun peilen. Aber wie erfüllbar, wenn die umgebenden Länder jahrelang als Feindes – und Besatzungsland umdefiniert waren und deren Bevölkerung als minderwertige Rassen – und man dort ohnehin persona non grata war?
Das braucht eine grössere Portion an mindchanging, um wieder angstfrei ein Bein auf fremden Boden setzen zu können, ein bisschen Schönfärberei, ein bisschen Exotisieren, den einen oder anderen Euphemismus, ein bisschen Stereotypisieren und schon stellt sich der Sehnsuchtsmodus ein und die Fliehkräfte siegen über die Kohäsion – aber gleichzeitig und heimtückischerweise gebiert das eine wiederum distanzschaffende Abwehroperation: Wir wollen uns unsere Bilder vom Fremden selbst machen und nicht vom wirklich Fremden überrannt werden, wir wollen zumindest die Deutungshoheit behalten über das, was vor kurzem noch verpönt war. Zigeunerinnen galten als fragwürdig, aber schön und sexy, Indianer leben im Feindesland, aber sind, keine Sorge, gutaussehend und von edler Gesinnung – eine Art geistige Kolonisierung fremder Länder durch ein Volk, das immer noch genau bestimmen wollte, wie die Welt zu sein hat und sie sich nach seinem Bilde schuf und Bedingungen stellte, um sie wieder für sich begehbar zu machen. Und Hulamädchen sind prima – Erotik hilft immer bei dergleichen Umformungen, das ist ein prima Gleitmittel.
Jedenfalls kriegte man damals fast Augenkrebs bei soviel Alibibuntheit.
Und bei Karl May, der in diesen Jahren filmisch reüssierte, reiste der schwer deutschtümelnde Old Shatterhand zu den Indianern, um alles auszumerzen, was nicht seinen teutonischen Idealen entsprach – eine Old-Shatterhand-look- alike-Neukolonisation sozusagen, da gings dann schon wieder los mit der wohltönenden Weltverbesserung und dem ganzen Mief. Und nur der nahezu perfekte und ihm am ähnlichste Winnetou wurde von ihm adoptiert, der hatte ja auch einen deutschen Lehrer – ebenso wie Old Shatterhand aus Sachsen stammend – da fremdelts sich gleich viel weniger und sogar die Indigenen konnten jetzt mit einem weiteren Sachsen persönlich wachsen und am deutschen Wesen genesen – als ob sie vorher krank gewesen wären. Ob das ganze dann als pädagogisch wertvoll gesehen werden kann, möge jeder selbst für sich entscheiden – über die massiv-unterschwelligen homoerotischen Sexual-Messages hat sich ja Arno Schmidt bereits ausgelassen, eines der amüsantesten Bücher die ich je gelesen habe. Hitler war jedenfalls bekennender Karl-May-Fan. Friedrich Wilhelm auch. Wen wunderts?
Und wieder formte man sich die Welt nach seinem Bilde …
Warum erinnert mich die diesjährige gutgemeinte Biennale (Foreigners everywhere) hier jetzt bloss an diese Zeit? Übertreib ich mal wieder? Wäre ja eine meiner besten Eigenschaften …