Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2024 11 Mai

All Life Long

von: Uli Koch Filed under: Blog | TB | Tags:  | 4 Comments

Fahles Licht fällt durch die staubigen Fensterscheiben der Chapelle Notre-Dame-de-L’Immaculée-Conception. Die Zeit ist längst stehen geblieben als sich die Stimmen des kleinen Chors erheben und sie sollte für lange verloren bleiben. Passage Through The Spheres erinnert gleich am Anfang an die Polyphonien der Spätrenaissance, aber aus der Zeit gefallen, langsam bis an die Grenzen des Atems gezogen und des Sakralen in seiner Schlichtheit beraubt, in unfassbarer Schwere schwebend. Die schwedische Komponistin Kali Malone wechselt auf Ihrem Album All Life Long die Atmosphären zwischen Chor, verschiedenen historischen Orgeln, die durch ihre umhüllende Wärme betören und einem Bläserquintett ohne je diese getragene Stille, die schon ihr Album Living Torch in ergreifender Tiefe getragen hat, auch nur einen Augenblick zu brechen. Die Orgelversion von All Life Long endet so viel langsamer als das ebenfalls als Chorversion dargebotene Stück mit einem minutenlang gehaltenen warmen Orgelakkord, der jede zeitliche Wahrnehmung seiner Grundlage beraubt. So sind die Orgelstücke, oft gemeinsam mit Stephen O’Malley eingespielt sehr viel langsamer als die schon entgrenzenden Vokal- oder Bläserversionen, die noch die Banden des unendlich getragenen Atems in sich tragen. Doch selbst diese werden in der Umkehrung wie in Retrograde Canon durch undefinierbare Hebungen und Schwebungen einer virtuellen inversen Zeitdilatation – je scheinbar langsamer, umso weiter wird der Raum – unprätentiös und konsequent unterzogen. Bei den Orgelstücken wird dieser Effekt durch die Verwendung historischer Orgeln in Meantone-Stimmungen noch besonders verstärkt, die im Gegensatz zu der bei uns inzwischen üblichen temperierten Stimmung, Zwischenräume und diskret entfremdete Harmonien entstehen lassen, die scheinbar unendlich lange stehen bleiben und  in nicht mehr definierte Zeiträume führen. So endet das Album dann konsequenterweise auch mit einer Unification Of Inner & Outer Life, einem Punkt ohne Wiederkehr in der absoluten Zeitlosigkeit. Seit dem Frühwerk Arvo Pärt’s habe ich keine Musik mehr gehört, die so eigenständig und verhalten intensiv in eine absolute und tief berührende Stille hineinführt. Eine wunderschöne dunkle Rose im Schnee …

 
 

 

This entry was posted on Samstag, 11. Mai 2024 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Schöner Text, Uli. Und was für ein Kontrast zum ESC …

  2. Jochen:

    Schöne Rezi – schöne Musik.

    Eine Musik bar jeder Aufreizung.

  3. Ursula Mayr:

    Mir wärs zu sakral.

  4. Jochen:

    Allerdings säkular-sakral ;)


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz