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2024 24 Mrz.

The Male Gaze II – Wenn sich in Spiegeln Spiegel spiegeln

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 11 Comments

 
 

Fellinis Stadt der Frauen von Frederico Fellini (Frankreich / Italien 1980)

 

Niemand anderer als Sartre führte in Das Sein und das Nichts auch die Definition der Aufgabe und Rolle des Blicks ein: Der Blick kann den anderen zum Objekt machen, das betrachtet wird, er kann den Betrachter zum Objekt machen, der betrachtet wird oder sich selbst betrachtet. Somit ist der Blick ein mächtiges, weil formendes, definierendes und in hohem Masse bestimmendes Agens in der gesamten Phänomenologie.

Im narrativen Kino des 20. Jahrhunderts – so die Filmtheoretikerin Laura Mulvey – ist der Blick überwiegend ein Male Gaze, ein omnipräsenter männlicher Blick, der Frauen als sexuell begehrenswerte Objekte einem männlichen heterosexuellen Publikum zu eben diesem Genuss präpariert und vorführt. Die gleichzeitig mitguckenden Frauen waren seinerzeit in einer Form sozialisiert, dass sie diese Sichtweise mit übernahmen, in sexueller, kultureller und ästhetischer Hinsicht und identifikatorisch schön fanden, was die Männer schön fanden und sich auch bezüglich der eigenen Erscheinung daran orientierten. Davon leben ganze Industrien.

 
 

 
 

Fellini – generell eine verspielte Natur – spielt in  Stadt der Frauen  furios mit diesem Genre und seinen Klischees, dem Bild des Mannes als solchem und seinen Ängsten, seinem Narzissmus und den sich daraus ergebenden Skurrilitäten.

Snaporaz, ein nicht mehr ganz junger Herr (Marcello Mastroianni, wer sonst, ohne den gehts ja nicht) wird auf einer Bahnfahrt von einer üppigen Dame (Fellinis Kragenweite) – die Kamera tastet sie ab wie ein männlicher Blick – aus dem Zug und über eine Wiese gelockt wie von Charon über den Styx oder von der Hexe ins Lebkuchenhaus.

Der Spiess wird umgedreht – die Dame fotografiert ihn und fordert ihn auf die Augen zu schliessen – eine symbolische Inbesitznahme des Mannes und Umkehrung des Betrachtens ins Betrachtetwerden. Von da an ist er nicht mehr aktiv Handelnder, er muss die Dinge geschehen lassen und es geschehen eine Menge davon.

Statt ein Abenteuer zu erleben wird S. zu einer Villa gelockt, in dem offenbar ein Feministinnenkongress vom Feinsten stattfindet. Die Frauen machen Yoga, halten flammende Vorträge gegen Machismus, spielen satirisches Theater und fahren mit MGs bewaffnet durch die Gegend, vermutlich um ihr Unternehmen zu schützen, vielleicht auch noch Schlimmeres. Die Stimmung kippt ins Paranoide.

 
 

 
 

Die Aktivität der Feministinnen in diesem Haus ähnelt der Aktivität jeder lebendigen Bewegung in der Realität: Spaltungen, Bildung von sich befehdenden Untergruppen, unterschiedliche Strömungen und Schwerpunkte, Anführerinnen, die die Bewegung diversifizieren oder schwächen – all in one hier unter einem Dach in buntem Reigen.

Snaporaz versucht zunächst mit Charme in diesem Pandämonium klarzukommen, scheitert natürlich und wird zusehends verängstigter, irgendwann fürchtet er geradezu um sein Leben. Er findet seine Rettungsinsel schliesslich in der belagerten Villa von Dr. Cazzone, einem Edelmacho mit einem Haus voll von Fetischen, die das Männerherz erfreuen, aber auch ständig umschlichen von den patrouillierenden Frauen. Die letzte Bastion eines Kotzbrockens.

Aber die Frauen sind nicht nur wegen ihrer Überzahl, geballten wütenden Power und ihrer Waffen gefährlich, der Film zitiert auch andere Bildgebungen wie etwa in Form der püppchenhaften Verlobten Cazzones den Mythos der verschlingenden Vagina (sie kann mit derselben einen Sog ausüben und kleinere Gegenstände hineinziehen), ein machtvolles Organ, bei dem sich Mann jahrtausendelang nie ganz sicher war, ob im Inneren nicht doch ein Fallbeil wartet –  und was mit der Büchse der Pandora wirklich gemeint war, haben wir mittlerweile auch verstanden.

Wenn hier im Dorf irgendwo ein Mädchen zur Welt kommt, steht vor der Gartentür ein Storch und darunter steht Bixnmacherei (Büchsenmacherei), wenn nicht überhaupt ein paar leere Konservendosen gut sichtbar aufgehängt werden. By the way – wenn ein Sohn geboren wurde wird ein Weisertwecken gebacken – ein möglichst langes Stangenweissbrot (1 m Brot pro Pfund Geburtsgewicht) und an die Hauswand gelehnt mit Umzug, Blasmusik und allerlei Festivitäten. Phallisch-Nahrhaftes contra Blechmüll ohne Festivitäten. Ich sage nichts weiter.

 
 

        

 
 

Fellini war auch begeisterter Jungianer – im Keller des Hexenhauses – also unten, wo’s in der Regel heiss wird – wartet die Heizerin, eine monströse unbefriedigte Frau, die Snaporaz bei ihren Annäherungsversuchen fast erdrückt – die begierige phallische Frau. Damit wäre die Archetypologie weiblicher Schrecknisse komplett.

Aber Fellini zeigt nicht nur den Male Gaze, sondern auch den Female Gaze – die durch Frauen vorgenommenen Verzerrungen des Männerbildes – wiederum im Spiegel des männlichen Blicks – beispielsweise, wenn von einer Theatergruppe im Hexenhaus eine Szene geprobt wird, in der eine Frau mit Frankensteinmaske eine andere Frau a tergo bespringt, während diese am Herd im Topf rührt. Das penetrierende und unterdrückende männliche Monster aus der weiblichen Perspektive, hier vom Mann gesehen – damit auch ein Blick des Mannes auf die Feministinnen und ihre eigenen Zerrbilder und deren Blick auf den Mann.

Ein raffiniertes Vexierspiel mit vielfältigen Brechungen, man wähnt sich zuzeiten im Spiegelsaal von Versailles (oder in Schloss Herrenchiemsee im Land der Bixn und überlangen Baguettes), in welchem Spiegel Spiegel spiegeln, bis nichts mehr zuzuordnen ist und die Realität sich in Bildern auflöst.

 
 

 
 

Snaporaz gerät als nächstes vor ein Frauengericht und wird zu seiner Verwunderung freigesprochen, vermutlich kommen die Frauen zu dem Schluss, dass dieses Würstchen ohnehin nicht mehr viel Unheil anrichten kann, insbesondere nicht nach dieser Reise.

Zum Ende hin wird es vollends surreal – symbolistisch: Snaporaz durchbricht eine rotsamtenes, einer Vulva ähnelndes Tor, landet auf einer Rutschbahn die ins Dunkel führt und rettet sich in einen Ballonkorb, der Fesselballon hat die Form einer riesenhaften, knappst bekleideten Frau mit Brautschleier, die die Seile hält als würde sie Strippen ziehen: Der Mythos der heiligen Hure und ihrer Anziehungskraft auf entsprechend gepolte südosteuropäische und  aussereuropäische Männlichkeit. Diese Ballonfigur ähnelt Donatella, seiner hilfreichen Begleiterin durch Dantes Inferno. Die reale Donatella greift aber alsbald zum Gewehr und schiesst auf ihren eigenen Mythos, von dem sie offensichtlich genug hat, bis er platzt – e basta così – damit der Schmarrn endlich ein Ende hat.

Nach diesem pompe funèbre eines gebeutelten Machos erwacht Snaporaz wieder im Zugabteil, die üppige Dame lächelt ihn wieder vielsagend an, zwei zusteigende kichernde Studentinnen, eine davon Donatella, werfen ihm Blicke zu. Seine Brille, die ihm im Hexenhaus zerbrach, erweist sich immer noch als zerbrochen – Traum- und Realitätsebene sind damit als gleichberechtigt konfiguriert – das Unbewusste kennt weder Zeit noch Unterscheidung zwischen Dreidimensionalem und Fantasmagorischem, beides ist lebensbestimmend.

 
 

 
 

Was ist das Besondere an diesem Film? Er ist weder feministisch noch feiert oder geisselt er den Machismus, er ist keine blutleere Satire und der Regisseur geht milde mit seinen Darstellern um, ebenso wie das Frauengericht mit dem Eindringling. Die tragende Gefühlsspur des Filmes ist die überschäumende Lebensfreude und letztlich Gutartigkeit der Frauen in allen Formen der Schönheit und Hässlichkeit, mit Körpern die nicht perfekt, aber anziehend sind. Die vom Regisseur (seine leicht masochistische Komponente ist allenthalben zu spüren, dominante Frauen erschrecken Fellini durchaus nicht, ich darf an Amarcord und die Zigarettenverkäuferin erinnern) niemals blossgestellt, entlarvt oder intellektuell definiert und damit entfremdet werden, sondern in ihrer einfachen Menschlichkeit gezeigt. Man kann sich im Rachemodus in die jeweiligen Zerrbilder des anderen Geschlechts verbeissen – und die eigenen dabei natürlich unangetastet lassen – man kann sich aber auch in einer Position der Augenhöhe und Wertschätzung darüber austauschen, und seinen Spass dabei haben, insbesondere bei Fellini’schen Darstellungsweisen. Humor versteht so manches zu transzendieren. Italienische Frauenverbände haben sich wütend von diesem Film distanziert, aber es kommt auch bei Frauen manchmal vor, dass sie den Schuss nicht gehört haben.

 

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11 Comments

  1. Anonymous:

    Wäre jetzt eine interessante Frage ob der Film nicht doch antifeministisch ist; wäre ich nicht sicher…

  2. Alex:

    Toller Post, Ursula. Ich muss gestehen, ich hatte mir das nie so bewusst gemacht mit dem „male gaze“. Ganz schön naiv. Wobei es mir bei Truffaut schon immer ziemlich aufgefallen ist, dass das Beobachten der Füße von Frauen, die vorübergehen, zum Beispiel, nicht gerade ein weiblicher Blick ist. Aber gerade den Truffaut-Blick auf die Frauen habe ich immer geliebt. Es gibt sicher auch Filme mit dem „female gaze“ von Filmemacherinnen, insbesondere auch auf Männer, oder?

  3. Ursula Mayr:

    Ich muss gestehen, dass ich auch erst vor einigen Jahren auf diesen Terminus stiess und mir das Ganze vorher auch nicht aufgefallen war und ich die Scarlett O‘ Hara- Klamotten auch immer toll fand. Wie der female gaze aussieht, ist noch nicht ganz rausdiskutiert, im Moment läuft der Diskurs eher in Negation zum Male Gaze – Frauen halt nicht als Objekte darzustellen – das ist die übliche Betrachtungsweise: Die Frau ist das, was Nicht – Mann ist, der female gaze ist das, was nicht male gaze ist – wir kriegen also wieder die Reste; aber selber schuld, wenn die Filmtheoretikerinnen zu keiner besseren Definition kommen. Man könnte natürlich jetzt sagen, die jüngeren Regisseurinnen drehen im female-gaze-Modus, aber dann fällt mir wieder Fatih Akin ein mit seinen grossartigen Filmen, vor allem Gegen die Wand.

  4. Ursula Mayr:

    Gutes Beispiel für Male Gaze in der Operette: „Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“ … aus dem „Bettelstudent“. Am besten mal die ganze Arie lesen.

    Ich hatte schon immer den Verdacht, dass die Zeiten der sogenannten „Galanterie“ auch die Zeiten der brutalsten Frauenunterdrückung waren.

  5. Jochen:

    Wenn wir (Männer) bei den Füssen sind, ist’s nicht weit zum Fetisch. Scheint auch eine vorwiegend männliche Domain zu sein, die Fetischbildung – wenngleich sie ja ein kulturelles Allgemeingut ist, das vom Aberglauben abstammt. Die Psychoanalyse hat vergeblich versucht, das Thema Fetischismus zu fassen zu kriegen. Es ist ihr stets entglitten und als Nebeneffekt sind ihre Theorien selbst zu Fetischen geworden. Nachzulesen in dem genialen Buch Fetischismus und Kultur von Hartmut Böhme.

  6. Ursula Mayr:

    Du meinst wahrscheinlich die klassische Psychoanalyse nach Freud, der war ja immer recht monoman in seinen Ansichten, weil er als Pionier auch kein Korrektiv in anderen Wissenschaftlern hatte. Mit Perversionen gibt man sich in dieser Wissenschaft ungern ab, die Seminare sind auch nicht gut besucht.

    Dazu kommt, dass dieses Klientel nur sehr selten in unseren Praxen aufschlägt – Fetischisten haben in der Regel keinen Leidensdruck und begreifen sich nicht als krank, sondern wollen nur in Ruhe ihre erotischen Obsessionen ausleben. Und das ist ja auch gut so. Da fehlt einfach auch die klinische Erfahrung damit.

  7. Jochen:

    Wer sich zu Zeiten von Kraft-Ebbing als kranker Sonderling sah, würde sich heute im Internet die Augen reiben: da sind Millionen von „Sonderlingen“. Nur eine Instanz bleibt sich mit mahnendem, Schuld und Scham zuweisenden Fingerzeig treu: die Kirche.

  8. Jörg R.:

    Ich denke, da ist viel Entlastung passiert – auch in der klinischen Psychologie. Vieles, was früher als „krank“ definiert war, gilt jetzt als Normvariante. Homosexuelle durften früher nicht in die Psychotherapeutenausbildung, wenn sie nicht schlau genug waren, das zu verschweigen und die entsprechenden Diagnoseziffern sind auch verschwunden.

  9. Ursula Mayr:

    Anonymous: Ich habe es nicht so erlebt, dass Fellini die Frauen überzeichnet und vorgeführt hätte – die Männer in diesem Film bzw deren Darstellung rechtfertigen den Feminismus automatisch. Aber ich denke, es war auch nicht seine Absicht – eher darzustellen, wie es zu einem derartig hasserfüllten Auseinanderdriften der Geschlechter gekommen ist.

  10. Anonymous:

    Man könnte wegen der Überzeichnung der Männer auch von einem Sich-Anbiedern an die Frauenbewegung sprechen.

  11. Ursula Mayr:

    Dachte ich auch – aber ich glaube, das hat er nicht nötig.


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