Fellinis Stadt der Frauen von Frederico Fellini (Frankreich / Italien 1980)
Niemand anderer als Sartre führte in Das Sein und das Nichts auch die Definition der Aufgabe und Rolle des Blicks ein: Der Blick kann den anderen zum Objekt machen, das betrachtet wird, er kann den Betrachter zum Objekt machen, der betrachtet wird oder sich selbst betrachtet. Somit ist der Blick ein mächtiges, weil formendes, definierendes und in hohem Masse bestimmendes Agens in der gesamten Phänomenologie.
Im narrativen Kino des 20. Jahrhunderts – so die Filmtheoretikerin Laura Mulvey – ist der Blick überwiegend ein Male Gaze, ein omnipräsenter männlicher Blick, der Frauen als sexuell begehrenswerte Objekte einem männlichen heterosexuellen Publikum zu eben diesem Genuss präpariert und vorführt. Die gleichzeitig mitguckenden Frauen waren seinerzeit in einer Form sozialisiert, dass sie diese Sichtweise mit übernahmen, in sexueller, kultureller und ästhetischer Hinsicht und identifikatorisch schön fanden, was die Männer schön fanden und sich auch bezüglich der eigenen Erscheinung daran orientierten. Davon leben ganze Industrien.
Fellini – generell eine verspielte Natur – spielt in Stadt der Frauen furios mit diesem Genre und seinen Klischees, dem Bild des Mannes als solchem und seinen Ängsten, seinem Narzissmus und den sich daraus ergebenden Skurrilitäten.
Snaporaz, ein nicht mehr ganz junger Herr (Marcello Mastroianni, wer sonst, ohne den gehts ja nicht) wird auf einer Bahnfahrt von einer üppigen Dame (Fellinis Kragenweite) – die Kamera tastet sie ab wie ein männlicher Blick – aus dem Zug und über eine Wiese gelockt wie von Charon über den Styx oder von der Hexe ins Lebkuchenhaus.
Der Spiess wird umgedreht – die Dame fotografiert ihn und fordert ihn auf die Augen zu schliessen – eine symbolische Inbesitznahme des Mannes und Umkehrung des Betrachtens ins Betrachtetwerden. Von da an ist er nicht mehr aktiv Handelnder, er muss die Dinge geschehen lassen und es geschehen eine Menge davon.
Statt ein Abenteuer zu erleben wird S. zu einer Villa gelockt, in dem offenbar ein Feministinnenkongress vom Feinsten stattfindet. Die Frauen machen Yoga, halten flammende Vorträge gegen Machismus, spielen satirisches Theater und fahren mit MGs bewaffnet durch die Gegend, vermutlich um ihr Unternehmen zu schützen, vielleicht auch noch Schlimmeres. Die Stimmung kippt ins Paranoide.
Die Aktivität der Feministinnen in diesem Haus ähnelt der Aktivität jeder lebendigen Bewegung in der Realität: Spaltungen, Bildung von sich befehdenden Untergruppen, unterschiedliche Strömungen und Schwerpunkte, Anführerinnen, die die Bewegung diversifizieren oder schwächen – all in one hier unter einem Dach in buntem Reigen.
Snaporaz versucht zunächst mit Charme in diesem Pandämonium klarzukommen, scheitert natürlich und wird zusehends verängstigter, irgendwann fürchtet er geradezu um sein Leben. Er findet seine Rettungsinsel schliesslich in der belagerten Villa von Dr. Cazzone, einem Edelmacho mit einem Haus voll von Fetischen, die das Männerherz erfreuen, aber auch ständig umschlichen von den patrouillierenden Frauen. Die letzte Bastion eines Kotzbrockens.
Aber die Frauen sind nicht nur wegen ihrer Überzahl, geballten wütenden Power und ihrer Waffen gefährlich, der Film zitiert auch andere Bildgebungen wie etwa in Form der püppchenhaften Verlobten Cazzones den Mythos der verschlingenden Vagina (sie kann mit derselben einen Sog ausüben und kleinere Gegenstände hineinziehen), ein machtvolles Organ, bei dem sich Mann jahrtausendelang nie ganz sicher war, ob im Inneren nicht doch ein Fallbeil wartet – und was mit der Büchse der Pandora wirklich gemeint war, haben wir mittlerweile auch verstanden.
Wenn hier im Dorf irgendwo ein Mädchen zur Welt kommt, steht vor der Gartentür ein Storch und darunter steht Bixnmacherei (Büchsenmacherei), wenn nicht überhaupt ein paar leere Konservendosen gut sichtbar aufgehängt werden. By the way – wenn ein Sohn geboren wurde wird ein Weisertwecken gebacken – ein möglichst langes Stangenweissbrot (1 m Brot pro Pfund Geburtsgewicht) und an die Hauswand gelehnt mit Umzug, Blasmusik und allerlei Festivitäten. Phallisch-Nahrhaftes contra Blechmüll ohne Festivitäten. Ich sage nichts weiter.
Fellini war auch begeisterter Jungianer – im Keller des Hexenhauses – also unten, wo’s in der Regel heiss wird – wartet die Heizerin, eine monströse unbefriedigte Frau, die Snaporaz bei ihren Annäherungsversuchen fast erdrückt – die begierige phallische Frau. Damit wäre die Archetypologie weiblicher Schrecknisse komplett.
Aber Fellini zeigt nicht nur den Male Gaze, sondern auch den Female Gaze – die durch Frauen vorgenommenen Verzerrungen des Männerbildes – wiederum im Spiegel des männlichen Blicks – beispielsweise, wenn von einer Theatergruppe im Hexenhaus eine Szene geprobt wird, in der eine Frau mit Frankensteinmaske eine andere Frau a tergo bespringt, während diese am Herd im Topf rührt. Das penetrierende und unterdrückende männliche Monster aus der weiblichen Perspektive, hier vom Mann gesehen – damit auch ein Blick des Mannes auf die Feministinnen und ihre eigenen Zerrbilder und deren Blick auf den Mann.
Ein raffiniertes Vexierspiel mit vielfältigen Brechungen, man wähnt sich zuzeiten im Spiegelsaal von Versailles (oder in Schloss Herrenchiemsee im Land der Bixn und überlangen Baguettes), in welchem Spiegel Spiegel spiegeln, bis nichts mehr zuzuordnen ist und die Realität sich in Bildern auflöst.
Snaporaz gerät als nächstes vor ein Frauengericht und wird zu seiner Verwunderung freigesprochen, vermutlich kommen die Frauen zu dem Schluss, dass dieses Würstchen ohnehin nicht mehr viel Unheil anrichten kann, insbesondere nicht nach dieser Reise.
Zum Ende hin wird es vollends surreal – symbolistisch: Snaporaz durchbricht eine rotsamtenes, einer Vulva ähnelndes Tor, landet auf einer Rutschbahn die ins Dunkel führt und rettet sich in einen Ballonkorb, der Fesselballon hat die Form einer riesenhaften, knappst bekleideten Frau mit Brautschleier, die die Seile hält als würde sie Strippen ziehen: Der Mythos der heiligen Hure und ihrer Anziehungskraft auf entsprechend gepolte südosteuropäische und aussereuropäische Männlichkeit. Diese Ballonfigur ähnelt Donatella, seiner hilfreichen Begleiterin durch Dantes Inferno. Die reale Donatella greift aber alsbald zum Gewehr und schiesst auf ihren eigenen Mythos, von dem sie offensichtlich genug hat, bis er platzt – e basta così – damit der Schmarrn endlich ein Ende hat.
Nach diesem pompe funèbre eines gebeutelten Machos erwacht Snaporaz wieder im Zugabteil, die üppige Dame lächelt ihn wieder vielsagend an, zwei zusteigende kichernde Studentinnen, eine davon Donatella, werfen ihm Blicke zu. Seine Brille, die ihm im Hexenhaus zerbrach, erweist sich immer noch als zerbrochen – Traum- und Realitätsebene sind damit als gleichberechtigt konfiguriert – das Unbewusste kennt weder Zeit noch Unterscheidung zwischen Dreidimensionalem und Fantasmagorischem, beides ist lebensbestimmend.
Was ist das Besondere an diesem Film? Er ist weder feministisch noch feiert oder geisselt er den Machismus, er ist keine blutleere Satire und der Regisseur geht milde mit seinen Darstellern um, ebenso wie das Frauengericht mit dem Eindringling. Die tragende Gefühlsspur des Filmes ist die überschäumende Lebensfreude und letztlich Gutartigkeit der Frauen in allen Formen der Schönheit und Hässlichkeit, mit Körpern die nicht perfekt, aber anziehend sind. Die vom Regisseur (seine leicht masochistische Komponente ist allenthalben zu spüren, dominante Frauen erschrecken Fellini durchaus nicht, ich darf an Amarcord und die Zigarettenverkäuferin erinnern) niemals blossgestellt, entlarvt oder intellektuell definiert und damit entfremdet werden, sondern in ihrer einfachen Menschlichkeit gezeigt. Man kann sich im Rachemodus in die jeweiligen Zerrbilder des anderen Geschlechts verbeissen – und die eigenen dabei natürlich unangetastet lassen – man kann sich aber auch in einer Position der Augenhöhe und Wertschätzung darüber austauschen, und seinen Spass dabei haben, insbesondere bei Fellini’schen Darstellungsweisen. Humor versteht so manches zu transzendieren. Italienische Frauenverbände haben sich wütend von diesem Film distanziert, aber es kommt auch bei Frauen manchmal vor, dass sie den Schuss nicht gehört haben.