Jud Süss (1940) von Veit Harlan ist ein antisemitischer Propagandafilm übelster Sorte und ein sogenannter Vorbehaltsfilm – er kann nicht käuflich erworben und darf nicht öffentlich vorgeführt werden, man musste früher ins Filmmuseum nach Berlin reisen und ihn sich dort anschauen. Mittlerweile sind die Vorschriften gelockert worden – er darf zu Lehrzwecken unter „wissenschaftlicher Leitung mit Expertise“ gezeigt werden; aber natürlich grassieren auch Raubkopien im Netz.
Das Ganze ist verständlich, aber andererseits verwunderlich, da ähnlich schlimme und offen hetzerische Machwerke insbesondere in Form von Belletristik fröhlich bei Amazon feilgeboten werden (Hans Heyck, Kuni Treml-Eggert und andere) und auch noch positive Rezensionen bekommen. Kümmert kein Schwein bzw macht sich niemand die Mühe nachzuforschen und einen Index zu erstellen; es wäre recht einfach, da ja die entsprechenden „Dichter“ heute noch bekannt und googlebar sind. Die Neofaschisten sind gut versorgt hierzulande.
Beim Kellerausräumen bei einem Verwandten fand ich einst reichlich Naziliteratur – teilweise mit Originalwidmungen von Rudolf Heß, den Mythos des 20. Jahrhunderts von Rosenberg, ebenfalls mit Originalunterschrift und dergleichen mehr, weiss der Teufel wo er die herhatte, er hatte seinerzeit keinerlei Drähte „nach oben“; er war als einfacher Soldat seinerzeit bei der 6. Armee im Kessel von Stalingrad und wurde als einer der letzten wegen einer schweren Lungenentzündung nach Hause geflogen, das schützte ihn vor der russischen Endlösung. Danach sprach er nie wieder über den Krieg, aber als 1960 die ersten Jungs mit langen Haaren auftauchten, wurde wieder der Adolf als wirksames Gegenmittel gegen derlei Auswüchse angerufen wie ein Säulenheiliger.
Die Bücher hätte ich sicher gut bei Ebay losgekriegt, sie ruhen jetzt wohlverwahrt und neonazisicher im Museum der Gedenkstätte des KZ Buchenwald in Weimar – dafür hab ich jetzt dort lebenslänglich freien Eintritt, falls ich das wollte – hört sich auch gruselig an – freier Eintritt ins KZ. Aber mir reicht der Besuch des KZs Dachau – da mussten wir als 14-jährige Mädels mit der Lehrerin hin … völlig unvorbereitet. Ich kasperte noch beim Herumstreifen auf dem Gelände mit der Freundin – wir verfügten beide noch über eine gut funktionierende Abwehr und fanden sogar hier noch etwas zu giggeln – in einer offensichtlichen Verweigerung zu realisieren, wo wir waren und wo wir freiwillig niemals hingegangen wären und was uns offensichtlich völlig überforderte – trat durch eine Tür, wollte noch den Witz zu Ende erzählen und kippte fast um – ich stand direkt vor den Verbrennungsöfen, daneben das bekannte lebensgrosse Foto eines Skeletts, das soeben aus dem Ofen geholt wird. Das ging in die ungeschützten Eingeweide. Der Rest des Nachmittags ist im Dunkel der Verdrängung verschwunden.
Auf dem Heimweg wurde einigen Schülerinnen im Bus übel, mir auch – es gab Vorwürfe von der Lehrerin weil „wir uns am Obststand vor dem KZ so überfressen“ hätten. Was stimmte, aber sicher auch seinen Hintergrund hatte – offenbar glaubten wir, uns für das Kommende stärken zu müssen. Die Dame war Olympiasiegerin von 1938, der von Leni Riefenstahl gefilmten Olympiade und selbst alles andere als eine damalige Regimekritikerin. Weiss der Teufel, was sie geritten hat, mit uns dort hinzugehen, sie war immer darauf bedacht uns „hart und widerstandsfähig“ zu machen; im Schullandheim gabs Morgenappelle und erstmal einen ergiebigen Waldlauf vor dem Frühstück. Da gehörte ein KZ-Besuch wohl zum Programm.
Dreissig Jahre später hatte ich junge Mädchen gleichen Alters in der Praxis, die den schulisch organisierten Besuch von Schindlers Liste schlecht verkraftet hatten – offensichtlich wegen einer weniger gut funktionierenden Verdrängung und Alpträumen mit Panikattacken.
Vorvorgestern, also passend zum Karfreitag Jud Süss erstmalig gesehen, etwas unter Extrasystolen gelitten hinterher, keine Übelkeit, wenigstens das. Somatische Symptome bedeuten, dass die rationale schützende Abwehr oder andere reifere Bewältigungsmechanismen wie Versprachlichung unterlaufen werden und der Körper die Erregungsabfuhr übernimmt, wie man das von Kindern kennt.
Was soll man sagen? Vor einiger Zeit stellte ich mir die Frage, ob man einen schlecht gemachten, aber gut gemeinten Film schlecht finden darf. Hier geht’s umgekehrt: Übelste antisemitische Propaganda – gekonnt gemacht für die damalige Zeit, so wie ein Maschinengewehr technisch gut gemacht sein kann für einen mörderischen Zweck. Eine solide Leistung von den Schauspielern und Mitläufern Ferdinand Marian als Joseph Süss Oppenheimer und Heinrich George als geldverschlingender Herzog Alexander von Württemberg, der sich Herrn Oppenheimer als Finanzberater hielt und nicht schlecht damit fuhr.
Die Vorlage war der gleichnamige Roman von Lion Feuchtwanger, der sich wiederum an der historischen Figur des Joseph Oppenheimer orientierte. Von beiden Vorlagen weicht der Film propagandabedingt sehr stark ab.
Würde er heute noch funktionieren – abgesehen vom schlechten Ton? Ja – auf zweierlei Art, je nachdem wie man gepolt ist: Gegenüber den tumben deutschen Betonköpfen im Film und dem verfressenen Herzog Alexander erschien mir Oppenheimer in seiner mephistophelischen Gerissenheit und Schleimerei fast sympathisch – mit Sicherheit die intelligenteste Figur in diesem Film, auch zumindest die am ehesten männliche Erotik ausstrahlende – da haben wohl Regisseur Veit Harlan und sein Protege Goebbels (Jud Süss war dessen Lieblingsfilm, neben Kolberg) ein Eigentor geschossen. Bei entsprechend anders gepoltem Publikum werden die antisemitischen Vorurteile natürlich bestens bedient, wobei dieses Publikum sich dergleichen alte Schinken sicher nicht ansehen würde, selbst wenn’s auf ihrer Linie läge.
Die schwer erträgliche Frauenfigur (Kristina Söderbaum, Gattin des Regisseurs und seinerzeit als „Deutschlands schönste Wasserleiche“ zu zweifelhaften Ehren gekommen) macht diesem Titel wieder alle Ehre und der Zuschauer ist relativ erleichtert, als sie endlich in den Wellen verschwunden ist und nicht länger die deutsche hirnamputierte Gefühlstussi gibt. Bei Rosenberg – ich hab die Schwarte ja dann doch gelesen – hiess es, der Mann übernehme in der Familie „die Architektonik“, die Frau „die Lyrik“. Vielen Dank!
Wie gesagt – der Film funktioniert heute etwas andersherum – gottlob bzw erzeugt in seiner Übertragungswirkung einige Verwirrung: Man findet den sympathisch, den man nicht sympathisch finden darf , weil es ja ein Verbrecher ist, aber entdeckt dann, dass man ihn ja sympathisch finden darf, weil er ja nur unter dem Naziregime zum Verbrecher gemacht wurde … der Verstand fasst es, das Gefühl tappt etwas im Nebel des Widerstreitenden herum. Darum ist wohl auch der Israel-Palästina-Konflikt so schwer gefühlsmäßig zu verarbeiten, wobei der ja mit dem Judentum gar nichts mehr zu tun hat – was aber immer noch als Konnotation mitschwingt und die politischen Haltungen und rationale Entscheidungen mit beeinflusst – falls in der Politik überhaupt etwas rational sein kann. Es gibt keinen unbelasteten Neuanfang und Geschichte ist zyklisch.
Wer sich für nähere Hintergründe interessiert: Es gibt einen Jud-Süss-Making-of-Film: Jud Süß – Film ohne Gewissen, über das Leben des Schauspielers Ferdinand Marian, der zusehends unter den Druck und Einfluss von Goebbels geriet, der um die jüdische Abstammung von Marians Frau wusste und ihn damit erpresste. Marian fürchtete mit dieser Kotzbrockenrolle alle Sympathien seines Publikums zu verspielen, beugte sich aber dem Druck des Reichspropagandaministers, ähnlich wie Gustaf Gründgens und Heinz Rühmann, der sich von seiner jüdischen Frau scheiden liess um weiterspielen zu können.
Ich habe es mir angetan anlässlich des Verfassens eines Buches über deutsche Nachkriegsfilme (einige meiner ersten Posts hier handeln davon), mir die wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Mein Kampf zu bestellen – mein Briefträger spricht heute noch nicht mit mir, nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Gewichts: 2 Schwarten à 30 x 20 x 10 cm approximativ. Das Durchpflügen hat sich gelohnt – ich entdeckte Neues am Führer – nämlich einen ausgeprägten Autismus, er schien wie in einer Blase zu leben und zu schreiben, Menschen und Begegnungen spielen in den Tagebuchaufzeichnungen über seine Wiener und Münchner Jahre keinerlei Rolle (ausgenommen das Gedankengut herausragender und einschlägiger politischer Persönlichkeiten), war mir vorher nicht so aufgefallen. Nicht unbedingt neu, aber es ist ein Unterschied, ob man nur weiss oder auch spürt. Die Welt durch Hitlers Augen gesehen … wie hinter Milchglas, durch das gelegentlich markige Worte von Gesinnungsbrüdern hindurchdringen und ansonsten Kreisen als der eigene Satellit um das eigene Selbst. Innenansichten – die zeitraubende Lektüre reut mich nicht.
Der von mir ansonsten sehr geliebte Wissenschaftsjournalist Volker Elis Pilgrim – der in den 70ern sehr mit dem Feminismus sympathisierte, in einer Talkshow mit Strickzeug sass und jedem Mann empfahl, sich probehalber einmal anal penetrieren zu lassen, um Frauen besser verstehen zu können – schrieb kurz vor seinem Tod drei Bücher à 400 Seiten, in denen er in Band 1 nachweist, dass Hitler und Eva Braun überhaupt kein Sexleben gepflegt haben, sondern dass – Beobachtungen zufolge – Hitler durch Filme mit Folterungen und sadistischen Handlungen bis zum Höhepunkt erregt wurde, also nicht als Borderline-Patient oder narzisstisch Persönlichkeitsgestörter einzuordnen wäre, sondern als hochgradig sadistisch-psychopathische Serienkillerpersönlichkeit. Ich glaub’s – aber ich fürchte, heutzutage interessiert das keinen mehr. Durch den dritten Band, in welchem Pilgrim seine Serienkillertheorie nochmal akribisch nachweist, muss ich mich noch hindurcharbeiten, aber die Frage ist, ob man zum Beweis dieser These 1200 Seiten aufwenden muss – die Serienkillerei hat Hitler ja schon längst selbst unter Beweis gestellt.
Karfreitagsgedanken …